Der erste Eindruck zählt

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Unbeschwert saß Eawyn an dem prachtvollen Tisch, der ausreichend mit Essen gedeckt war, und aß einen Apfel. Genüsslich biss sie in das saftige Fleisch und legte ihre nackten Beine auf den Tisch. „Eawyn!", ertönte eine schrille Stimme.

„Ja ja. Ist ja gut.", sagte sie und schwang gelangweilt die Beine vom Tisch.

„Junge Dame!", sagte ihre Mutter Rhiada wütend. Eawyn blickte sie an. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wippte wütend mit dem Fuß auf dem Boden.

„Wie läufst du schon wieder rum? Ich habe es dir schon oft genug gesagt, zieh dir gefälligst etwas an!"

„Wieso denn? Mich sieht doch niemand.", sagte Eawyn verärgert. Ständig machte ihre Mutter ihr Vorschriften wie sie sich zu verhalten hatte und was sie tragen sollte.

„Es reicht, Eawyn!", schrie ihre Mutter, kam auf sie zu, zog sie am Ohr hoch und zischte leise: „Dich wird niemals ein junger Lord um deine Hand bitten, wenn du weiterhin Widerworte gibst!" Damit ließ sie Eawyn los und ging zur Tür. Mit einem lauten Knall war ihre Mutter aus dem Zimmer verschwunden.

„Ich will auch keinen Idioten heiraten, verdammt noch mal!", schrie Eawyn gegen die Tür und drehte sich beleidigt weg. Warum sollte sie unbedingt verheiratet werden? Nur weil ihre Mutter selbst nicht verheiratet war? Eawyn wollte keinen fremden Mann heiraten, den sie nicht liebte.

„Lieber würde ich sterben.", murmelte sie vor sich hin und betrachtete ihren Apfel. Sie legte ihn zurück auf den Teller, stand auf und suchte ihre Sachen zusammen. Lederhose, Lederstiefel und eine dunkelgrüne Tunika schmückten ihren zierlichen Körper. Schnell flechtete Eawyn sich ihre roten Haare zu einem lockeren Zopf zusammen und ging die Holztreppe nach unten zur Haustür.

„Ich bin in der Stadt!", schrie sie durch das Haus und wartete keine Antwort ab, sondern schloss einfach die Tür.

 ~

Die Abendsonne stand schon tief hinter den Bergen und nur noch vereinzelte Sonnenstrahlen fanden den Weg durch das dichte Grün des Waldes. Ihr Haus befand sich abseits von den anderen Dörfern, in einem Wald. Eawyn hatte nie gefragt, warum sie nicht in einem Dorf mit anderen Menschen zusammen lebten, denn sie war froh um die Ruhe und Freiheit, die der Wald ihr schenkte. Hier fühlte sie sich wohl, als ob dies ihre Heimat wäre. Auch dieses Mal, lauschte sie den zwitschernden Vögeln und vertraute ihren Sinnen. Mit geschlossenen Augen ging sie durch den Wald, absorbierte jedes Geräusch, jeden Duft und jede Brise des Windes, der sich sanft um ihren Körper schlängelte. Eawyn liebte die Natur. Doch was sie am allermeisten liebte, war das Feuer. Es war ihre Lebenskraft, es war schon fast wie eine krankhafte Sucht, die sie empfand, wenn Eawyn nicht in die Hitze des Feuers eintauchen konnte. Allein der Gedanke daran, ließ ihre Handinnenflächen kribbeln. Ihr ganzer Körper wurde heiß und Eawyn tat das, wovon sie niemanden wissen lassen durfte. In jeder ihrer Handflächen züngelten sich rote Flammen, die sich in jedem Auflodern ergänzten aber doch unterschiedlich waren. Eawyn stöhnte laut auf, als die Macht des Feuers ihren Körper durchfuhr und jede einzelne Zelle in brand steckte. Nur mit reiner Selbstbeherrschung konnte Eawyn die Flammen unterdrücken, die immer weiter ihre Arme hochkrochen und fast ihre Kleidung versenkten. Keuchend vor Anstrengung stand sie in dem mittlerweile dunklen Wald und versuchte ihren Puls wieder zu beruhigen. Doch plötzlich stellten sich ihre Nackenhaare auf und ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinab. Ruckartig drehte sie sich um und durchsuchte die Dunkelheit nach dem Etwas, das sie unruhig machte. Als es im Blätterdach raschelte und Eawyn ein Eichhörnchen ausmachte, atmete sie erleichtert aus und machte sich weiter auf den Weg in die Stadt.

 ~

„Oh Eawyn, du siehst mal wieder verführerisch aus, in dieser engen Lederhose." Mit einem Grinsen betrachtete Rask ihr Hinterteil.

„Finger weg, Rask. Das gute Stück gehört nur mir.", lachte sie verführerisch und schlug seine Hand weg, die Rask auf ihren Hintern gelegt hatte.

„Tatsächlich. Tut er das, ja?", knurrte er und griff nach Eawyn's Hüften. Sie quiekte leicht, als Rask seine Lippen auf ihre presste und unter ihre Tunika griff.

„Nicht hier, Rask!", kicherte sie leise unter seinen Lippen.

„Es wird schon niemand kommen.", antwortet er und drückte sie gegen die Hauswand der Taverne. Sie befanden sich in einer Seitengasse, die kaum beleuchtet war und nur selten von Bürgern in der Nacht genutzt wurde. „Nein Rask. Ich will das nicht!" Panik stieg in ihr auf als Rask immer weiter an ihrem Körper nach oben glitt. Mit einem Ruck stieß Eawyn ihn weg und blickte ihn wütend aber auch ängstlich an.

„Jetzt zier dich doch nicht so, Eawyn. Du bist doch sonst nicht so.", sagte er grinsend, doch Eawyn konnte Wut in seinen grünen Augen erkennen.

„Nein, heute nicht Rask.", erwiderte sie und setzte zum gehen an. Sofort wurde sie am Handgelenk gepackt und ihre Nackenhaare stellten sich ruckartig auf. Rask hatte sie wieder an die Hauswand gedrückt und seine Hand auf ihren Mund gepresst.

„Du wirst jetzt schön ruhig sein und den Mund halten, verstanden?" Aus großen Augen blickte sie ihn an und nickte.

„Braves Mädchen.", sagte er zufrieden und begab sich zu ihrem Hals, den er langsam küsste. Eawyn wimmerte leise und Ekel stieg in ihr auf. So war Rask noch nie gewesen. Sie hatte ihm vertraut, doch er hatte ihr Vertrauen einfach missbraucht. Wut machte sich in ihrem Körper breit und ersetzte den Ekel schlagartig, als Rask seine Hand um einer ihrer Brüste legte. Eawyn zitterte vor Wut. Es fiel ihr schwer sich zu beherrschen, schaffte es jedoch ruhig zu bleiben, sodass Rask seine Hand von ihrem Mund nahm. In dem Moment lief ihr wieder ein eiskalter Schauer den Rücken hinab und kurz danach wurde Rask von ihr gerissen. Geschockt blickte sie die Gestalt an, die Rask einfach so gegen die gegenüber liegende Hauswand geschleudert hatte und er nun reglos am Boden liegen blieb. Wie gelähmt blickte sie die Gestalt an, die im Schutz der Schatten stand. Eawyn kniff die Augen zusammen und erkannte einen großen Mann, der sie anstarrte. Schlagartig stieg ihr das Blut in die Wangen und sie strich sich ihre Tunika glatt.

„Ehm... danke.", sagte sie leise und blickte beschämt zu Boden. Gott, war das peinlich. Ein Fremder hatte sie vor Rask gerettet, aber wahrscheinlich hatte er alles zuvor beobachtet. Am liebsten wäre sie an Ort und Stelle tot umgekippt. Als sich der Mann bewegte und aus den schützenden Schatten trat, blickte sie hoch und starrte ihn mit großen Augen an. Dieser Mann war riesig. Eawyn stockte der Atem. Seine tiefschwarzen Haare fielen ihm über seinen nackten muskulösen Oberkörper und reichten bis an seine Brustwarzen. Eine verblasste Narbe verlief über seine linken Mundwinkel und seine Augen glichen flüssigem Gold. Dieser Mann war das Ebenbild eines Gottes, so schön und gefährlich, dass Eawyn schlucken musste, als er sie aus diesen einzigartigen Augen anstarrte. Sie konnte nicht anders, als den Blick zu senken und auf seine nackten großen Füße zu gucken. Sogar seine Füße waren perfekt geformt, mit schlanken Knöcheln und strammen Waden. Immer weiter glitt ihr Blick nach oben und saugte jedes kleinste Detail dieses Mannes auf. Doch als sie merkte, dass er keinen Fetzen Stoff an sich trug, sondern in seiner schönsten Form vor ihr stand, riss sie ihren Kopf zur Seite und lief blutrot an. Warum stand dieser schöne Mann, ihr Retter, nackt in der Dunkelheit? Vorsichtig blickte sie in seine Richtung und erkannte, dass er lächelte. Eawyn hatte geglaubt, Rask's Grinsen sei verführerisch gewesen, doch das Grinsen dieses Mannes ließ ihre Knie weich werden und jede Zelle ihres Körpers in Flammen aufgehen. Seine weißen Zähne blitzten im schwachen Schein der Lampe auf und ließen ihn noch gefährlicher erscheinen, als er schon war. Sein ganzer Körper strahlte Macht aus, Macht, jeden zu unterwerfen und Macht, jeden zu töten. Eawyn schluckte wieder schwer. Doch ihr Hals war trocken und jeder Atemzug schmerzte in ihrer Kehle. Dieser Mann war kein normaler Mensch. Er wirkte wie ein Raubtier, mit diesen goldenen Augen und einem Körper, der nur für das Kämpfen geschaffen war. Alles an ihm wirkte gefährlich. In dem Moment setzte Eawyn's Denkfähigkeit wieder ein und ihr Instinkt, weg zu laufen, explodierte förmlich in ihrem Körper. „Ich... eh... ja... danke nochmal!", stammelte sie, blickte noch ein letztes Mal in das schöne Gesicht des Fremden und lief los. Das letzte was ihre geschärften Sinne aufnahmen, war ein tiefes Knurren eines Raubtieres.

Die Gabe - FeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt