1. Kapitel

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Tag 137

So lange warst du bereits allein.
Die Sonne war soeben aufgegangen und ein neuer - gottverdammter - Tag begrüßte dich.
Du saßt in einem hohen Baum, dessen tiefe Baumkronen dich vor neugierigen Augen beschützten und dich als eine von ihnen zählten.
Müde und schlechtgelaunt starrtest du auf den kleinen Kalender, den du vor Monaten aus einem leerstehenden Haus mitgenommen hattest.
Es war dir wichtig, die Zeit und die Tage nicht aus den Augen zu verlieren. Eine kleine Hoffnung, die dir dabei half, dich an deiner übrig gebliebenen geistlichen Gesundheit zu klammern.

Der Kugelschreiber in deiner Hand, mit dem du jeden verstrichenen Tag markiertest, gab den Geist auf, genau dann, als du für dein tägliches X ansetztest.
Du seufztest angeschlagen und holtest weit aus, um den nervigen Stift ins Jenseits zu befördern.
Mit einem ungeheuren Schwung schmisst du ihn durch die Luft und legtest desinteressiert den Kopf nach hinten, der dicke Baumstamm diente dir als Lehne.
Gedanklich machtest du dir bereits eine neue Liste, von Dingen, die du dir besorgen musstest.
In dieser infizierten Welt war nichts mehr, was es mal war, aber zu deinem Leidwesen wurde jeder Tag nur noch schwerer.
Trotzdem konntest du stolz auf dich sein.
Andere hielten nicht mal annähernd so lange aus wie du und das auch noch Mutterseelen allein.

Deine letzte Gruppe war ein Haufen von Idioten gewesen, die dich bloß aufgenommen hatten, weil du ein Mädchen warst und die Anzahl von Männern überwog. Das hatte dich nicht besonders interessiert, aber sie hatten sich ins Verderben gestürzt und beinahe wärst du mit ihnen drauf gegangen.
Vielleicht war es deine Dickköpfigkeit, die dir den Hintern gerettet hatte, vielleicht auch nur großes Glück, aber du wusstest nicht, ob du dankbar dafür sein konntest.

Es waren bereits Wochen vergangen, seitdem du den letzten lebendigen Menschen gesehen hattest und das einzige das dich vor dem Wahnsinn rettete, war dein ausgeprägter Verstand.
Manche Tage verbrachtest du damit zu reisen, von einem Fleck zum anderen zu kommen, ohne gebissen oder angegriffen zu werden.
Andere Tage vergingen indem du schrecklich hungertest, aber nie die Stimme verlorst und irgendwelche Lieder sangst, an die du dich noch erinnertest.
Du schlepptest stets ein kleines Notizbuch mit dir herum, diese gingen dir selten aus.
In Zeiten wie diesen schien niemand mehr Interesse an Intelligenz oder geistlicher Gesundheit zu haben, weshalb du Papier oder Hefte immer fandest.
Alles was sie interessierte, waren Waffen, Essen und Sex.
Die wenigen Menschen die noch übrig waren, verwandelten sich in Tiere, jedenfalls die, denen du begegnet warst, weshalb du dich nun strikt von jedem und allem fernhieltst.

Du sahst auf den Block hinab und blättertest ein wenig darin herum. Die letzte Liste, die du geschrieben hattest, ähnelte deiner jetzigen, die du dir unglücklicherweise merken musstest.

„Essen... und Wasser wäre noch gut", dachtest du laut nach. „Ich habe noch zwei Flaschen, aber... na ja. Denk an einen Stift, denk an einen Stift, denk an einen-"
Dein lauter Gedankengang wurde durch ein Rascheln unterbrochen und du verstummtest sofort.
Es war bestimmt bloß ein Beißer, der herumlungerte und du bezweifeltest, dass er dich hören oder riechen konnte, so weit oben, wie du saßt.

Langsam löstest du den Knoten deines Seils, den du jedes Mal vor dem Einschlafen machtest um nicht herunterzufallen.
Deinen schweren Rucksack schnapptest du dir von dem Ast, der über dir hing und beobachtetest noch kurz den Boden.
Du hattest wirklich keine große Lust, einen Beißer zur Strecke zu bringen in dieser warmen Morgenstunde.
Wütend genug warst du, aber deine Gliedmaßen schmerzten und ächzten.
Deinen geliebten Vorschlaghammer stecktest du dir zwischen Hose und Gürtel und verstautest das Handmesser, das du aus Notfallgründen beim Schlafen bei dir trugst, in deinen Rucksack.
Der schwere Hammer hatte dir bereits in vielen Situationen das Leben gerettet und du könntest dir das alles nicht ohne dieses Ding vorstellen.

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