Jess Glynne ~ Take Me Home
Montag, 28.August
"Emma, was ist los mit dir? Seitdem ich dich am Samstag zur Party abgeholt habe, bist du komisch drauf. Ich mache mir langsam Sorgen, das passt überhaupt nicht zu dir.", richtete sich Lou besorgt an mich, während wir zusammen zur Schule liefen. Was sollte ich ihr sagen? Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte, doch was wirklich in mir vorging, durfte niemand wissen. Mir musste irgendetwas einfallen, wie ich sie davon überzeugen konnte, das alles in Ordnung war. "Mir ging es nur nicht so gut, das ist alles. Wahrscheinlich habe ich mir in dem Restaurant, wo ich mit Luke war, den Magen verstimmt.", sagte ich und versuchte, sie besänftigend anzulächeln. "Okay, wie du meinst.", erwiderte sie nach einigen Sekunden und musterte mich mit zusammen gezogenen Augenbrauen. Wenn ich sie so besorgt sah, bekam ich immer ein schlechtes Gewissen, dass ich ihr viele Dinge verschwieg. Sei es die Sache mit Bryce, oder dass Aufeinandertreffen mit Justin, es waren alles Situationen, die ich meiner besten Freundin vorenthielt. Heute war eh nicht mein Tag. Meine Eltern waren spät in der Nacht nach Hause gekommen und quetschten mich beim gemeinsamen Frühstück aus, als wäre ich eine Zitrone. Besonders mein Vater hatte dieses Gespür dafür, wann mich etwas bedrückte oder etwas nicht stimmte. Doch beide erkannten einfach nicht, dass ich nicht reden wollte. Genauso wie Lou jetzt. Es wurde mir langsam zu viel, ich brauchte meinen Freiraum. Um nicht weiter daran zu denken, drehte ich meinen Kopf wieder Richtung Straße und bog, Lous Blick ignorierend, auf den Schulhof. Meine Augen huschten umher und blieben schließlich bei Luke stehen, der mit Justin und Finn an der alten Eiche lehnte. Sofort kamen mir Erinnerungen an Samstag Nacht.
Luke hatte angeboten, mich nach Hause zu bringen, da er gemerkt hatte, dass ich mich unwohl fühlte. Er hat die ganze Zeit geredet, wahrscheinlich, um mich abzulenken, doch ich hatte nie richtig hingehört. Er war so nett und zuvorkommend, doch meine Aufmerksamkeit war nicht hundertprozentig bei ihm. Ein Teil von mir konnte nur an die Situation vor 7 Monaten denken, die mich fast jede Nacht in meinen Träumen heimsuchte. Wie sich zwei starke Arme um meinen Oberkörper wandten und schmerzhaft zudrücken, so dass alle Luft aus meinen Lungen wich. Wie ich beinahe mein Bewusstsein verlor und nur noch die ekelerregende schleimige Stimme von Bryce an meinem Ohr hörte. "Du gehörst mir Emmalein, vergiss das niemals. Egal, was nach dieser Nacht geschieht, du bleibst für immer mein Eigentum." Danach wurde alles um mich herum schwarz.
"Emma!", riss mich eine bekannte Stimme aus meiner Erinnerung. Verwirrt aber auch dankbar, blickte ich in zwei grün-graue Augen. Luke. "Ja?" "Geht es dir besser?" Innerlich seufzte ich. Musste das heute wirklich jeder fragen? War es zu viel verlangt, mich einfach in Ruhe zu lassen? Es nervte einfach nur noch! Als ich zur Seite sah und auch noch erkannte, dass Finn mich ebenfalls besorgt ansah, konnte ich mich nicht mehr zusammen reißen. "Nein, verdammt! Mir geht es nicht gut. Lasst mich einfach mit euren Fragen in Ruhe!", fauchte ich, ließ alle einfach stehen und begab mich ins Innere der Schule. Ich rauschte in den Geschichtsraum und ließ mich mit beschleunigtem Puls und einem, wahrscheinlich hochroten, Kopf auf meinen Platz plumpsen. In meiner Rage bemerkte ich erst jetzt, dass noch niemand anwesend war. War wohl auch besser so, dann hatte ich Zeit, wieder runter zu kommen. Ich atmete tief durch und packte monoton meine Materialien aus, um auf andere Gedanken zu kommen, irgendetwas zu tun zu haben. Plötzlich näherten sich Schritte, die vor meinem Tisch Halt machten. Langsam sah ich der Person ins Gesicht und erkannte verdutzt, dass es sich um Justin handelte. "Was willst du?", wollte ich wissen. Wenn er mich jetzt auch noch fragte, was los sei, konnte ich für nichts garantieren. Ohne zu antworten, hielt er mir seine Hand hin. Meine Stirn legte sich in Falten. Justin bemerkte mein Zögern und verdrehte die Augen. "Komm einfach mit. Du musst mich nicht berühren, auch wenn ich dir versichern kann, dass ich keinen Ausschlag verursache." Unwillkürlich bogen sich meine Mundwinkel leicht nach oben. Ich überdachte kurz meine Optionen.Entweder konnte ich hier im Unterricht sitzen, wo wir eh nur Organisatorisches bezüglich eines Ausfluges in ein Museum besprachen, oder ich würde mit Justin mitgehen. Dass ich schwänzte, ignorierte ich einfach mal, angesichts meines Gefühlszustandes. Auch wenn ich nicht einmal wusste, wohin er mich bringen würde, ließ mich das Argument, dass ich mich bei der ersten Möglichkeit den besorgten Blicken meiner Freunde aussetzen müsste, eine Entscheidung treffen. "Okay." Seine Hand ergriff ich dennoch nicht. Schnell packte ich meine Sachen wieder ein und schulterte den Rucksack auf meinem Rücken. Nach einem kurzen Blick auf mein Handy, stellte ich fest, dass es erst in 10 Minuten zum Stundenbeginn klingeln würde. Kein Wunder, dass noch niemand anwesend war. Gemeinsam mit Justin ging ich nach draußen, wo wir zum Glück niemandem unserer Freunde begegneten. Auch wenn sie sich sicher denken konnten, dass ich mit ihm weg war, wollte ich nicht in ihre Gesichter schauen, besonders nicht in Lukes nach der Aktion vorhin. "Wo bringst du mich eigentlich hin?", fragte ich ihn schließlich, als sich mein Verstand wieder meldete. Justin schaute zu mir und grinste mich leicht an. "Dahin, wo du mich zum zweiten Mal angerempelt hast." Ich wollte schon protestieren, dass er Schuld war, doch er unterbrach mich. "Spar's dir, ich weiß, dass es dir deinen Tag versüßt hat, aber es ist gerade kein guter Zeitpunkt, da du jeder Zeit wieder ausrasten könntest.", feixte er und behielt sein Grinsen bei. "Es war zwar eher ein bitterer Beigeschmack, aber wie es so schön heißt - Geschmäcker sind verschieden.", konterte ich, musste aber einsehen, dass es nicht besonders einfallsreich war. Justin lachte nur kurz auf, was seine Zähne mehr zum Vorschein brachte. Er hatte schöne Zähne. "Man, heute ist echt nicht dein Tag. Es macht gar keinen Spaß, mit dir zu diskutieren.", schmollte er. Ich streckte ihm nur die Zunge raus, musste aber auch Grinsen. Entweder bildete ich es mir nur ein, oder Justins Augen strahlten jetzt richtig. Er grinste nun ebenfalls und drehte seinen Kopf wieder Richtung Straße. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir uns schon etwas weiter von der Schule entfernt hatten.
Den Rest des Weges hing jeder seinen Gedanken nach. Der vernünftigere Teil von mir wollte, dass ich umkehrte, da es falsch war, zu schwänzen. Besonders im Abschlussjahr. Außerdem vertraute dieser Teil Justin nicht, da er sich daran erinnerte, dass ich ihn eigentlich nicht mochte. Dennoch war ich in diesem Augenblick neben ihm und unterhielt mich über alles Mögliche. Absurd. Der andere, leichtsinnigere Teil von mir überwog im Moment und schaltete die Logik komplett aus. Ich wusste nur, dass ich das jetzt brauchte. Dass ich ihn brauchte. Niemand von meinen Freunden konnte mir das geben, was er mir gab. Das Gefühl, keinem Rechenschaft schuldig zu sein und vor niemandem die perfekte Emma spielen zu müssen. Aus diesem Grund tat ich etwas, was ich bis vor wenigen Tagen nie in Erwägung gezogen hätte. "Justin?", fragte ich ihn leise. Sofort blickte er zu mir auf und ließ sein Gesicht einen fragenden Ausdruck annehmen. "Was ist, Emma?", wollte er sanft wissen. Ohne zu überlegen, beugte ich mich nach vorne. Ich schlang meine Arme um seinen Rumpf und verschränkte meine Hände in seinem Nacken. Meinen Kopf lehnte ich zögerlich an seine Brust, die mir gerade wie der sicherste Ort der Welt erschien. Sein Geruch war wie Balsam für meine Seele. Er roch so maskulin und dennoch so sanft, dass ich alles andere ausblendete. Ich hatte erwartet, dass Justin mich von sich schieben würde, doch nach kurzem Zögern legte er ebenfalls seine Arme um mich und zog mich etwas näher an ihn. Erleichtert seufzte ich und reckte meinen Kopf etwas, um an sein Ohr zu gelangen. "Danke.", flüsterte ich und berührte mit meinen Fingerspitzen die wenigen Haare in seinem Nacken. "Wofür?", raunte er. "Für die Auszeit.", antwortete ich und schmiegte mich wieder an seine Brust. Für deine Ablenkung. Für unsere Unterhaltung. Für deine bloße Anwesenheit. "Gern geschehen, Emma."
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Wärt ihr mit Justin in dieser Situation mitgegangen?
(Das Hinweisen auf Grammatik- und Rechtschreibfehler ist erwünscht.)
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my hidden demons
Teen Fiction•Du musst die Vergangenheit loslassen, damit die Zukunft eine Chance hat.• - unbekannt *Pausiert* Wenn man neu in der Stadt ist, heißt das eigentlich, sein altes Leben hinter sich zu lassen, einen Neustart zu wagen. Für Justin Croft ist das allerdi...