2000
Auf einem fernen Planeten, unzählige Lichtjahre von der Erde entfernt, standen zwei Wesen nebeneinander vor einem riesigen Wurmloch, einem Portal zur Erde.
Das größere der beiden Wesen war menschengleich und dann doch wieder nicht. Es war groß, ein gutes Stück größer als ein durchschnittlicher Mensch, und hatte auffallend lange Gliedmaßen. Die Haut war schneeweiß, nein, noch weißer, fast schon unwirklich hell, und sie hatte keine Ähnlichkeit mit der Haut eines Menschen, denn sie war viel dicker und beinahe unverwundbar. Auch das Gesicht hätte nicht gut in die Menschenwelt gepasst: Nur ein einziges Auge zierte es, darunter fand man Nasenlöcher, aber keine Nase. Der Mund war breit, lippenlos, und umgab 52 scharfe Zähne, die einen Menschen ohne weiteres hätten zerreißen können.
Das Geschlecht des Wesens war nicht eindeutig zuzuordnen, bis es den Mund auftat und sprach. Die extrem tiefe, kräftige Stimme verriet, dass das Wesen männlich war.
Das kleinere Wesen sprach mit einer femininen, leicht rauchigen Stimme, und es sah menschlicher aus. Schwarzes Haar, das bis zum halben Rücken reichte, leicht schräg gestellte, große Augen, eine lange, gerade Nase und volle, blutrote Lippen. Auch sie überragte den Durchschnittsmenschen, doch die Proportionen passten zu ihrer Größe. Sie hatte die Figur einer schlanken, gut trainierten jungen Frau. Die einzigen Dinge an ihr, die verrieten, dass sie kein Mensch war, waren die glühend roten Iriden zwischen den dunklen Wimpern und die zwei spitzen, langen Fangzähne, die ihr das Aussehen einer Vampirin verliehen. Dabei war sie mit denen genauso wenig verwandt wie mit den Menschen.
Das große Wesen sprach sie an.
"Hast du denn gar keine Angst, Samantha?"
Sie dachte einen Moment über diese Frage nach. Nachdenklich strich sie mit den Fingerkuppen über die Edelsteintätowierungen, die ihre linke Schläfe, Augenbraue und Stirnseite schmückten. Sie wusste, dass die Rubine bei ihrer Berührung aufleuchteten. Rubine. Ihre Steine. Ihre Macht.
Die Macht, die sie verlieren würde, sollte sie auf die Erde gehen.
"Ein bisschen schon. Aber ich habe mich bewusst dafür entschieden. Das Orakel sagt, ich werde mein Gegenstück erst dort finden. Also werde ich danach suchen. Und falls ich es gefunden habe, kann ich es mit hierhin nehmen."
"Aber du weißt, dass du deine Kräfte dort nicht nutzen können wirst?"
Sie nickte. "Ja, das weiß ich. Aber ich finde, das ist es wert."
Der Größere nickte. "Ich bin trotzdem froh, dass ich deine Mutter hier kennengelernt habe. Obwohl natürlich auch nicht sicher ist, ob du dein Gegenstück auf der Erde finden wirst. Du kannst jahrhundertelang suchen und ihn oder sie trotzdem nicht finden."
Die Schwarzhaarige seufzte tief. "Ich weiß, aber ich will es probieren. Ich war schon zu lange alleine. Zweihundert Jahre in Einsamkeit sind lang."
"Ich weiß.", flüsterte der Ältere. Ihre Mutter war bei ihrer Geburt durch einen technischen Fehler im Krankenhaus gestorben. Seitdem war er genauso verlassen wie sie selbst. Natürlich hatten sie einander, doch das war nicht dasselbe.
Sie umarmte ihren Vater. "Ich verspreche, mir wird nichts geschehen. Du weißt, auch wenn ich meine Kräfte nicht aktiv einsetzen kann, bin ich trotzdem schwerer verwundbar als die Menschen."
Er lächelte sanft. "Ich wünsche dir viel Glück, und ich hoffe wirklich, dass du dein Gegenstück finden wirst." Dann schob er seine Tochter in das Wurmloch. Sie beide hassten lange Abschiede.
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La Femme de Rubis
FantasyDie Frau der Rubine. Eine Übernatürliche, eine Großmacht, die auf ihre Kräfte verzichtet, um auf der Erde ihre wahre Liebe zu finden, ihr Gegenstück, mit dem sie den Rest ihres so ziemlich unsterblichen Lebens verbringen kann. Niemand, nicht einmal...