Kapitel 7: Basketballfans

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Die Tage nach dem Diebstahl laufen ungewöhnlich reibungslos. Ruby ist erstaunt darüber, denn weder der Sprit noch andere Autofahrer oder ihr Gewissen machen ihr Probleme. Stur fährt sie auf den Highways, große wie kleine, und Landstraßen entlang, den Fokus immer auf die Straße gerichtet.
   Nebenbei fallen ihr auch die Veränderungen in der Landschaft auf, die sie jedoch weitgehend unbeachtet lässt, um sich nicht abzulenken. Die dunkelgrünen dichten Nadelwälder weichen hellen und saftig grünen Laubbäumen, die in größeren Abständen zueinander wachsen. Einige dieser Bäume waren riesig, weit höher strecken sich ihre Äste gen Himmel als so manches Haus hoch ist. Abwechselnd erscheinen auch weitläufige Graslandschaften, die mit allerlei Blumen bestückt sind.

   Gerade hat sie sich eine Landstraße ausgesucht, die von üppigem Gebüsch zu beiden Seiten begrenzt ist. Kaum ein Auto fährt hier entlang, und nur ab und zu sieht sie ein Bauernhaus am Ende der Getreidefelder rechts der Straße. Gerade richtig.

   Ruby entscheidet sich eine kleine Pause zu machen und die Reste der Supermarkteinkäufe zu essen. Deshalb fährt sie rechts von der Fahrbahn und stellt das Auto auf einem breiten Streifen Gras ab. Es ist gerade Nachmittag, die Sonne brennt vom hellblauen Himmel herab. Sie nimmt ihren Proviant und setzt sich auf das Autodach, um etwas Sonne zu tanken. Es könnte schlechter sein.
   Etwa eine Stunde, vielleicht auch länger, sitzt sie nun so da und schaut in die Ferne der hügeligen Landschaft, isst die letzten Kekse auf und nippt an einer Flasche Wasser.

   Dann entschließt sie sich weiterzufahren, denn noch hat sie ihr Ziel nicht erreicht. Sie packt ihre Sachen zusammen und setzt sich wieder hinter das Steuer. Doch als sie den Zündschlüssel dreht, ertönt nur ein heiseres Husten und Röcheln vom Motor. Ruby macht den Wagen aus und versucht ihn nochmals zu starten, doch auch diesmal will er nicht.
   "Bitte, bitte spring an! Komm schon!", fleht sie das Auto an, aber es nützt alles nichts.
   Vorsichtshalber öffnet sie die Motorhaube, falls ein Teil offensichtlich kaputt ist, doch alle Schläuche scheinen unbeschädigt an ihrem Platz zu sein und es ist auch kein Rauch zu sehen.
  "Vielleicht ist es trotzdem das Kühlwasser", murmelt sie, doch der Behälter ist noch bis kurz unter das Maximum mit Wasser befüllt. Frustriert knallt sie die Motorhaube zu und versucht es noch ein letztes Mal, ohne Erfolg. "Was mache ich jetzt?"

   Hier zeigen sich die Nachteile der menschenleeren Idylle. So sehr Ruby es genossen hat, die Straße für sich allein zu haben, so sehr bereut sie es jetzt. Wenn ich auf dem Highway geblieben wäre, hätte ich sofort jemanden um Hilfe bitten können, der nächste Rastplatz ist nie weit. Aber hier im Nirgendwo... So vergeht eine Stunde, dann noch eine, ohne dass auch nur eine Menschenseele an Ruby vorbei fährt.

   Es wird Abend, die Sonne nähert sich dem Horizont bedrohlich an. Fast schon hat Ruby die Hoffnung verloren, dass sie es heute noch von diesem Fleckchen Erde wegschafft, da ertönt aufgeregtes Hupen in einiger Entfernung. Es wird immer lauter und Ruby horcht auf.
   Am Ende des sichtbaren Teils der Straße taucht ein dunkelblaues Auto auf, in dem vier Personen in orangenen T-Shirts sitzen, mit kleinen Fahnen wehen und Unverständliches grölen. Mit einem Satz springt Ruby von der Motorhaube, stellt sich an die Seite der Straße und fuchtelt mit den Armen, um auf sich aufmerksam zu machen. Tatsächlich hält das Auto an.

   "Können wir dir helfen?", fragt der Beifahrer sie.
   "Ich hoffe", antwortet Ruby. "Mein Auto hat irgendwie den Geist aufgegeben und ich weiß nicht wieso. Es hat genug Sprit und sonst sieht auch alles heile aus." Hoffnungsvoll sieht sie die potentiellen Retter an. Sie erkennt auf den Fahnen ein Logo mit einem Basketball darauf, was bedeutet, dass sie wohl gerade bei einem Spiel waren.
  "Wir werfen mal einen Blick drauf", erwidert der Beifahrer nach kurzer Absprache mit den anderen.
   "Danke."

   Bis auf die Fahrerin steigen alle Basketballfans aus und begutachten das, was unter der Motorhaube zu sehen ist.
   "Starte den Motor", weist ein Mann sie an, er hat eine Glatze und Ruby schätzt ihn auf etwa fünfzig Jahre. Sofort springt Ruby hinter das Lenkrad und startet den Motor, der darauf unaufhaltsam vor sich hin röchelt.
   "Uh, das klingt aber nicht so gut", kommentiert eine Frau im gleichen Alter wie der Mann mit kurzen grauen Haaren und leuchtend grünen Augen.
   Ruby's Augen werden groß, als sie das hört.
   "Alles halb so wild", beruhigt der Mann sie. "Du hast wahrscheinlich nur Startschwierigkeiten. Das einzige, was du dir vielleicht zulegen solltest, ist eine neue Autobatterie" So viel Geld hat sie zwar nicht, aber wenn sie erstmal noch ein paar Kilometer weit kam, würde sie sich überlegen, wie es weitergehen soll. Erleichtert nickt sie dem Mann zu und lächelt, seit Tagen das erste Mal.
   Der Fahrer parkt sein Auto vor Ruby's und öffnet ebenfalls die Motorhaube. Dann schließt der ältere Mann die Batterien der Wagen aneinander an, um Ruby Starthilfe zu geben. Währenddessen startet Ruby das Auto erneut, und sie ist überrascht, wie mühelos es jetzt anspringt.

   "Vielen Dank!", sagt sie.
   "Nicht dafür." Die Basketballfans bauen die Brücke zwischen den Batterien wieder ab und steigen in ihr Auto. "Mach den Motor nur so schnell nicht aus, sonst bekommst du womöglich wieder Schwierigkeiten. Ach ja, und an deiner Stelle würde ich wirklich heute noch weiterfahren. Es sind zwar noch vierzig Kilometer bis zum nächsten Highway, aber da findest du bestimmt jemanden, wenn du Hilfe brauchst." Mit einem Zwinkern schließt er das Fenster, das Auto wird gedreht und hupend fahren die hilfsbereiten Fans weiter.

   Überwältigt von so viel Hilfe bleibt Ruby noch einen Augenblick stehen, schaut dem Auto hinterher und winkt. Der Motor läuft kurz im Leerlauf, dann setzt sie sich hinein und fährt weiter. Mittlerweile ist es fast dunkel, die Sonne ist hinter dem Horizont verschwunden. Sie ist müde, doch den Highway möchte sie noch erreichen. Von dort aus will sie weiterfahren, aber verlassene Landstraßen wird sie auch in Zukunft versuchen zu meiden.

Ruby's ReiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt