„Ein Jahr beginnen"Oder„Drei Kleine Vögel"

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Es gab natürlich einen offiziellen Bericht. Für so eine Sache gab es das immer und es schien immer gleich abzulaufen. Zeit, Ort, Art des Zwischenfalls, Beteiligung von außen und dann - wenn es möglich war, die Situation zu beurteilen - eine Art Schlussfolgerung. Die Schlussfolgerung in diesem besonderen Bericht war kurz und unvollständig, da zu dem Zeitpunkt, an dem der Bericht ausgefüllt wurde unklar war, was genau an diesem Morgen geschah. In diesen Tagen wurden mit alarmierender Regelmäßigkeit viele dieser Berichte ausgefüllt und dieser Vorfall war nur in einem Aspekt besonders: dem Ort.

Diese Art von Vorfall passierte normalerweise nicht in Hogwarts.

Aber zuerst ein paar Worte über Carlotta Meloni:

Wenn du verstehst, wie sich ein Audrey-Hepburn-Film auf eine Person auswirken kann, kannst du vielleicht Carlotta Meloni ein wenig besser verstehen. Sie war schön. Sie hatte diese Art von Schönheit, auf die du einmal an der Bushaltestelle oder im Park einen Blick wirfst und die du dann für den Rest deines Lebens nicht mehr vergessen wirst. Carlotta Meloni war absolut hinreißend.

Sie wusste es auch.

Wie hätte sie es auch nicht gekonnt? Carlotta hatte langes, scheinendes, kastanienfarbiges Haar und Augen in genau derselben Farbe. Ihr Teint war olivfarben und fehlerlos glatt, eine Tatsache, die sie auf grünen Tee und Meditation zurückführte, aber die in Wirklichkeit wahrscheinlich eher etwas mit Glück in der Genetik-Lotterie zu tun hatte.

Als Gryffindor-Sechstklässlerin mit mittlerem Talent und durchschnittlichen Noten, versprühte Carlotta nichtsdestoweniger eine Aura von Perfektion. Sie hatte zarte Hände, volle schwarze Wimpern, eine schmale, elegante Nase und war - wenn auch klein - gertenschlank. Carlottas Stimme war sanft und melodiös. Sie konnte die langweiligste Information sich unglaublich spannend anhören lassen... besonders, wenn ihr Publikum zufälligerweise männlich war.

Carlotta Meloni lebte ein relativ unkompliziertes Leben. Sie meditierte eine halbe Stunde jeden Morgen und war eine strenge Vegetarierin. Sie glaubte an etwas, das „freie Liebe" genannt wurde, was vermutlich der Hauptgrund dafür war, weshalb der Großteil ihrer Freunde dem anderen Geschlecht angehörten. Man musste ihr es wahrscheinlich hoch anrechnen, dass sie trotz allem eine enge Freundin von Shelley Mumps blieb - ein Mädchen, das mit den Jahren immer hässlicher zu werden schien, während Carlotta hübscher wurde.

Carlotta schien immer zufrieden mit ihrem Leben. Sie war glücklich, leicht umgänglich und nie verschlossen (mit Ausnahme der morgendlichen halben Stunde). Sie war zuversichtlich und ruhig und lief mit ihrem Kopf hoch erhoben (sie hatte eine tolle Haltung, wirklich). Carlotta hatte keinen Grund, irgendwas zu bereuen, soweit es irgendjemand beurteilen konnte.

Nun, das war, was ihre Klassenkameraden im offiziellen Bericht aussagten.

Carlotta Meloni war glücklich.

Sie war glücklich genau bis zu dem Moment am zweiten September - gegen zehn nach sechs -, als sie in das Feuer des Gryffindor-Gemeinschaftsraumes starrte und versuchte, sich die Pulsadern aufzuschneiden.

Schicksal kommt manchmal auf seltsamen Wegen, denn James Potter rauchte zu viel, aber wenn er niemals damit angefangen hätte (wie es ihm Remus Lupin das vergangene Jahr geraten hatte) oder wenn er mit der Angewohnheit aufgehört hätte (wie es ihm seine Mutter über die Sommerferien geraten hatte), wäre es Carlotta Meloni gelungen, sich ihr eigenes Leben zu nehmen. Wie auch immer, da James nie auf jemanden hörte, war er am Morgen des zweiten Septembers immer noch ziemlich süchtig und wenn es anders gewesen wäre, wäre er nicht um zehn vor sechs nach draußen gegangen um kurz eine zu rauchen. Und so wäre er nicht um sechs Uhr zehn und fünfzehn Sekunden zum Gryffindor Gemeinschaftsraum zurückgekehrt, gerade rechtzeitig um seinen Zauberstab zu ziehen und Carlotta Meloni von etwas abzuhalten, dass sie nicht mehr lebendig bereuen könnte.

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