kapitel 1

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Eden


Eigentlich sollte ich mir nicht so viele Gedanken darüber machen, was ich anziehe. Aber letztendlich ist mein Bett beladen mit den ganzen Klamotten, die ich mir rausgesucht habe. Um genau zu sein, liegt ein ganzer Berg an Oberteilen und Hosen auf der Decke und ich stehe daneben und betrachte die Bescherung.

Was soll ich nur anziehen? Der erste Eindruck zählt, so heißt es doch.

Und wenn ich heute meinen Stiefbruder kennenlernen soll, dann will ich, dass er den besten ersten Eindruck von mir bekommt. Immerhin werden wir ab heute zusammenleben, Tür an Tür.

Der Gedanke lässt meinen Magen sich krampfhaft zusammenziehen.

Tief durchatmen, Eden, sage ich mir. Mit Dave kommst du auch zurecht. Mittlerweile, zumindest. Anfangs habe ich so meine Probleme gehabt, aber nachdem ich mitansehen konnte, wie gut er meine Mutter behandelt, wie lieb und fürsorglich er ist - da ist irgendwann die Angst verschwunden. Okay, vielleicht nicht ganz.

Schuld sind die Albträume, die ich einfach nicht los werde. Mum hat uns beide vor Jahren bei einer Therapie angemeldet - sie selbst geht immer noch regelmäßig zu den Sitzungen, während ich nach einemJahr abgebrochen habe. Zwar hatte ich gemeint, dass es mir gut geht, aber die Wahrheit ist das nicht. Es fällt mir einfach nur schwer über das zu sprechen, was in der Vergangenheit passiert ist. Eigentlich will ich alles nur vergessen. Nur ist das nicht so leicht.

"Eden?" Ein leichtes Klopfen an meiner Türe.

"Du kannst rein kommen", rufe ich, woraufhin sich die Türe öffnet und meine Mutter das Zimmer betritt.

Juliette Scott ist eine sehr hübsche Frau - sie ist relativ groß mit ihren 1,75m, aber während sie früher immer gebeugt gegangen ist und sich klein gemacht hat, steht sie nun aufrecht und mit geradem Rücken.Das herzförmige Gesicht strahlt - auch etwas, was früher undenklich gewesen ist. Die dunklen Schatten unter ihren Augen sind längst verschwunden, ebenso die Blässe in ihren Wangen. Stattdessen ist ihre Haut nun ständig gerötet vor Glück und ihre Augen strahlen fröhlich und heiter. Auch das Lächeln auf ihren Lippen ist neu. Und dafür werde ich Dave ewig dankbar sein.

"Bist du schon fertig?", fragt sie mich. Dann fällt ihr Blick auf den Kleiderhaufen. "Eher nicht, wie es scheint", beantwortet sie ihre eigene Frage.

Ich gebe einen frustrierten Laut von mir. "Ich weiß einfach nicht, was ich anziehen soll!"

"Ach,Schatz." Meine Mutter schmunzelt und stellt sich neben mich, damit wir Seite an Seite das Chaos betrachten können. "Am besten denkst du nicht zu viel darüber nach", sagt sie. "Zieh das an, was du magst und sei, wer du bist. Kein Grund, dich in Schale zu werfen."

Ich schnaube. Mein Blick wandert vielsagend über das hübsche Sommerkleid, das sie angezogen hat. Es ist sicher neu, denn ich habe es noch nie zuvor gesehen. Auch hat sie ihre Haare zu Locken gedreht - sie hat dieselbe hellblonde Haarfarbe wie ich. Wir werden beide oft gefragt, ob wir unsere Haare färben, aber dem ist nicht so.

Ihre großen grau-blauen Augen sehen mich an. "Was ist?"

"Kein Grund, dich in Schale zu werfen",äffe ich ihren Ton nach und hebe die Augenbrauen. "Als ob du ständig so aussiehst!" Ich mache eine wedelnde Handbewegung in ihre Richtung, die ihre Erscheinung von Kopf bis Fuß einschließt.

Ich sehe, wie ihre Wangen rot anlaufen und sie sich verlegen auf die Lippe beißt. "Das ist etwas anderes ... schließlich bin ich dieStiefmutter!"Sie schluckt und fährt sich mit der Hand durch die Haare. "Oh Gott, dieses Wort klingt irgendwie ..."

"Ungewohnt?"

"Schrecklich!", stöhnt sie.

Ich muss lächeln. "So schrecklich nun auch wieder nicht." Ich zögere, dann lege ich Mum eine Hand auf den Oberarm. "Ich glaube,niemand könnte sich eine bessere Stiefmutter wünschen."

Ihr Blick ist warm, als sie mich ansieht, und die Liebe darin so tief und ehrlich, dass ich einen Kloß im Hals bekomme. Ich blinzle schnell und schaue wieder den Kleiderhaufen an. Ich kann noch immer nicht so richtig mit Gefühlen umgehen. Und ich weiß, dass diese Tatsache Mum traurig macht. Darum versuche ich, zumindest in ihrer Gegenwart, so normal wie möglich zu erscheinen.

"Also, zurück zum Hauptproblem", sage ich. "Was ziehe ich an?"

Ich höre, wie Mum tief Luft holt - wahrscheinlich muss sie sich selbst erst sammeln. Als sie wieder spricht, klingt sie fröhlich. Wie viel davon gespielt ist, kann ich nicht sagen. Wir sind beide extrem gut darin, anderen etwas vor zu machen. Auch uns selbst gegenüber. "Wie wäre es mit dem süßen Oberteil, das ich dir letztens gekauft habe und du immer noch nicht angezogen hast?" Sie geht zu meinem Kleiderschrank und holt eines der wenigen Stücke hervor, die ich nicht rausgesucht habe. Die Bluse ist wirklich sehr süß, mit aufgesticktem Blumenmuster und gekürzten Ärmeln. Allerdings passt sie nicht zu mir. Nur bekomme ich, bei dem Gedanken, meiner Mutter das zu sagen, ein ziemlich schlechtes Gewissen, da sie sich so gefreut hat, als sie sie mir schenkte. Zusammen mit zwei Kleidern, Sandalen und einer Shorts - was ich alles noch nie angezogen habe.

Ich schlucke, während ich die Bluse begutachte. Die Ärmel würden kaum meine Oberarme bedecken und zu viel Haut frei lassen.

Aber die Hoffnung in Mums Augen lässt mich mein Unwohlsein runterschlucken und ich setze ein Lächeln auf. "Na gut, warum nicht?", murmele ich schließlich.

Sie strahlt daraufhin so sehr, dass ich weiß, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. "Du wirst toll darin aussehen! Kaden wird sicher ganz bezaubert sein, sobald er dich sieht!"

Sie kommt zu mir, legt das Kleidungsstück oben auf den Klamottenhügel und legt, nach einem kurzen Zögern, die Arme um mich. Ich lasse sie mich umarmen - sie ist die einzige, der ich das erlaube. Nach einer Sekunde lässt sie mich aber wieder los und meine Schultern, die ich unbewusst versteift habe, entspannen sich.

Ich kann an ihren Augen sehen, dass Mum das nicht entgangen ist. Aber sie behält ihr Lächeln bei. "Zieh dich schnell um", sagt sie. "Dave will gleich losfahren."

"Okay. Ich beeile mich."

Dann verlässt Mum das Zimmer wieder und ich atme tief durch.

Unbreak MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt