kapitel 2

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Eden


Ich bin mir nach wie vor nicht sicher, ob es tatsächlich die beste Idee war, dass wir alle zum Flughafen gefahren sind, um Daves Sohn zu empfangen. Soweit ich weiß, ist Kadens Mum erst vor ein paar Monaten verstorben und Dave war rüber nach Chicago, um ihm Beistand zu leisten, nachdem Jahre lang Funkstille zwischen ihnen geherrscht hat. Wie das Wiedersehen verlaufen ist, hat Dave nicht erzählt, aber ich kann es mir auch so denken – der verkrampfte Ausdruck auf seinem Gesicht und die Tatsache, dass er nicht eine Sekunde lang damit aufhört, hin und her zu gehen, seit wir den Flughafen erreicht haben, verrät vieles – Dave gehört eigentlich zu den ausgeglichensten Menschen, denen ich je begegnet bin.

Zugegeben, das sind nicht gerade viele.

Ich sitze neben meiner Mum in der Wartehalle auf einem dieser harten Plastikstühle. Der Flughafen von Benton's Creek ist relativ überschaubar – eine Lande- und Startbahn, ein kleiner Kiosk, zweiCheck-In-Schalter und eine große Halle, wo sich sowohl der Wartebereich für die Passagiere befindet, als auch das Band der Gepäckausgabe.

Nervös zupfe ich am Ärmel des schwarzen Cardigans, den ich über der Bluse trage – letztendlich habe ich mich ohne doch zu nackt gefühlt. Die Kapuze habe ich mir über den Kopf gezogen und ich beobachte durch die losen Strähnen meiner Haare, wie die Leute um uns herum ihren Geschäften nachgehen. Die Zeit vergeht viel zu schnell, denke ich mir. In circa zehn Minuten wird das Flugzeug landen, in dem Kaden Walker sitzt, und kein Weg scheint daran vorbeizuführen, dass ich ihn kennen lerne.

Ein Gefühl der Übelkeit macht sich in mir breit und ich presse die Arme gegen meinen Bauch.

Ich werde das schaffen, sage ich mir. Ich werde das schaffen. Und zwar ohne, ihm auf die Füße zu kotzen! Vorzugsweise.

Die zehn Minuten vergehen wie Sekunden und plötzlich bleibt Dave wie erstarrt stehen, als fast drei Dutzend Passagiere in die Halle fluten. Mum steht auf und streicht nervös ihr Kleid glatt, bevor Dave fast automatisch die Hand nach hinten ausstreckt und Mum sie ergreift und sich dicht neben ihn stellt. Hier zieht einer Kraft aus dem anderen und Dave kann betonen, so viel er will, dass er sich auf das Wiedersehen mit seinem Sohn freut – die Angst nagt an uns allen. Wenn auch aus den unterschiedlichsten Gründen.

Ich bleibe auf dem Stuhl sitzen und im Hintergrund, behalte die Menschen aber im Auge. Bis jetzt sind alle zu sehr damit beschäftigt, an ihr Gepäck zu kommen, als auf uns zu achten, darum kann ich nicht erkennen, ob irgendjemand von den Ankömmlingen auf uns aufmerksam geworden ist.

Das Grummeln in meinem Bauch wird schlimmer und ein unangenehmer Druck legt sich auf meine Brust, der mir das Atmen erschwert. Mir fällt auf, dass ich angefangen habe, mit den Beinen zu zappeln, und höre sofort damit auf. Meinem Vater hatte es nie gefallen, wenn ich das getan habe ...

Lass das, Eden! Denk jetzt nicht an sowas!

Gott, am liebsten wäre ich gerade am anderen Ende des Landes. Auf der einen Seite will ich, dass Kaden so lange wie möglich verschwunden bleibt und sich viel Zeit lässt, bevor ich ihm begegnen muss. Aber dann wiederum will ich es endlich hinter mich bringen – dieses Abwarten darauf, was als nächstes passiert, ist die reine Folter.

Inzwischen fühlt es sich an, als wäre mein Magen zu einem schweren, harten Klumpen versteinert.

Ein erstickter Laut, der aus Daves Richtung kommt, bringt mich dazu, zu ihm aufzusehen. Ich sehe sein Profil an, er hat die Lippen zusammengepresst. Seine Hand scheint fast krampfhaft die Finger meiner Mum zu zerquetschen. Da sie aber nicht wirkt, als würde sein Griff ihr etwas ausmachen, sage ich nichts. Stattdessen schaue ich in die Richtung, in die beide starren.

Und hole tief und scharf Luft.

Der Pulk der Leute hat sich gelichtet und nun schwärmen die einzelne Personen zum Ausgang hin. Aber eine großgewachsene Gestalt hebt sich von den anderen deutlich ab – ein Kerl, ungefähr in meinem Alter,der zu uns hinüber schaut und immer näher kommt.

Alles in mir ist wie erstarrt.

Dave hat uns nicht gesagt, dass sein Sohn groß ist. Er ist zwar selbst ziemlich hochgewachsen, aber Kaden scheint ihn sogar zu überragen. Mir bricht der Schweiß aus und ich fahre mit den Händen über denJeansstoff meiner Hose. Ich komme nicht gut mit großen Kerlen klar. Dave weiß das. Er hätte mich vorwarnen müssen.

Aber das ist noch nicht einmal das, was wirklich die leise Panik in mir hervorruft.

Kaden Walker sieht unbestreitbar gut aus – er ist nicht auf eine klassische oder gar engelhafte Weise schön, es ist eher die raue,markante Art von gutem Aussehen eines Bad Boys, die jedes Mädchen sich nach ihm umdrehen lässt. Auch jetzt bin ich mir sicher, dürfte sich das eine oder andere weibliche Geschöpf nach ihm den Hals verrenken, aber ich nehme sie nicht wahr, weil alles an mir sich auf Kaden konzentriert.

Ich bin mir nicht sicher, ob sein Haar eher dunkelblond oder braun ist, aber es ist leicht gewellt und rahmt ein scharfgeschnittenes Gesicht mit hohen Wangenknochen, einem kräftigen Kiefer und geschwungenen Lippen ein. Er geht aufrecht, trotz der großen Tasche, die er sich über die Schulter geworfen hat und die ziemlich schwer aussieht. Seine ganze Haltung strotzt von Selbstbewusstsein. Selbst die Art, wie er auf uns zukommt, sagt einiges über ihn aus – er wirkt kein bisschen nervös, eher grimmig und zielstrebig und vielleicht eine Spur zu arrogant.

Aber das alles nehme ich nur beiläufig wahr.

Das, was mich am meisten fesselt – und mich auf den Stuhl praktisch festnagelt – sind seine Augen.

Er hat faszinierende, wunderschöne grüne Augen, die von dichten Wimpern umrahmt sind.


Und der Blick aus diesen Augen, ist so kalt und gnadenlos, dass alles in mir drinnen zu Eis gefriert.

Unbreak MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt