Kaden
Am liebsten würde ich auf etwas einschlagen. Das Ganze hier gleicht einer Teenie-Tragödie, wie sie nur zu gerne in Filmen und Serien dargestellt wird. Nur ist das hier kein beknackter Film, sondern mein Leben. Nur zu gerne hätte ich das Drehbuch hierfür in Stücke gerrissen und verbrannt.
Ich entdecke meinen Dad mit seiner neuen Flamme fast augenblicklich, als ich die Haupthalle des winzigen Flughafens von Benton's Creek, oder wie dieses Kaff heißt, betrete. Schnell flüchte ich mich hinter die übrigen Passagiere, die mit mir das Flugzeug verlassen haben, um zum Gepäckband zu gehen, ohne, dass er mich sofort sieht.
Obwohl ich versucht habe, mich innerlich auf dieses Treffen zu wappnen, sträubt sich nach wie vor alles an mir, zu ihm zu gehen. Er war Jahre lang – Jahre lang! - irgendwo unterwegs, ohne dass ich wusste, wo er sich aufhielt, nachdem er und Mum sich scheiden ließen.Gelegentliche Briefe und Postkarten und Anrufe zu Weihnachten und meinem Geburtstag war alles gewesen, was an Kontakt zu ihm übrig blieb. Selbst das hat mit der Zeit nachgelassen, bis ich mich irgendwann geweigert habe, mit ihm zu sprechen und seine Briefe ungeöffnet wegwarf.
Und als Mum krank geworden ist? Wo war er da? Erst nach ihrem Tod hat er sich dazu aufgerafft, plötzlich vor mir aufzutauchen. Dass ich ihm nicht direkt eine gescheuert habe liegt nur daran, dass meine Mutter es nicht gut geheißen hätte, wenn ich meinen Vater schlage. Aber verdient hätte er es alle Male.
Allein der Gedanke an sie schnürt mir die Kehle zu und ich verdränge ihn schnell in den hintersten Winkel meines Bewusstseins, denn das Letzte, was ich jetzt brauche, ist, sentimental zu werden.
Im Gegenteil, ich muss mich darauf gefasst machen, erneut meinem Dad zu begegnen. Und nicht nur ihm, sondern auch seiner perfekten neuen kleinen Familie. Wirklich, großartig! Eine Wurzelbehandlung ohne Narkose scheint mir in diesem Augenblick reizvoller.
Gott, ich könnte einfach nur kotzen!
Das Schlimmste ist, ich soll diese Leute nicht nur kennenlernen, nein.Ich werde mit ihnen unter einem Dach wohnen müssen. Sie jeden Tag ertragen müssen, mit ihnen frühstücken, zu Abend essen, Teil ihres perfekten Alltags werden.
Ich zögere den Augenblick des Zusammentreffens so lange wie möglich aus und lasse dabei meine Tasche zwei Mal öfters eine Runde drehen, bevor ich mich dazu aufraffe, sie doch noch zu nehmen. Die anderen Fluggäste haben zum Großteil bereits ihr Gepäck und sind auf dem Weg zum Ausgang, somit habe ich ohne hin keine Deckung mehr.
Als ich um die noch wartenden Passagiere gehe und aufschaue, treffe ich sofort dem Blick meines Vaters – er starrt mich wahrscheinlich schon die ganze Zeit an. Ich lasse mir nichts anmerken und setze dieselbe Maske auf, wie jeden Tag in den letzten sechs Monaten, wann immer ich mit anderen Menschen zu tun habe. Ich halte mein Gesicht ausdruckslos und leer, damit sich auch ja nichts von meinen Gefühlen nach Außen hin spiegelt. Wenn Dave Walker glaubt, dass ich einfach so zum Teil seiner neuen Famile und den perfekten Sohn mimen werde, dann hat er sich tief geschnitten.
Ich will kein Teil dieser Familie sein, und sein Sohn bin ich nicht mehr, seit er mich vor Jahren einfach zurückgelassen und aus seinem Leben gestrichen hat.
Man erntet immer das, was man sät, ob es einem gefällt oder nicht. Damit wird mein Vater wohl leben müssen.
Jeder Schritt, den ich in die Richtung meines Vaters mache, fühlt sich schwerer an, als der davor. Aber anstatt es mir anmerken zu lassen, straffe ich meinen Rücken und sehe dem Mann entgegen, den ich überhaupt nicht mehr kenne. Er kennt mich auch nicht. Nicht mehr.
Erst als ich nur noch knapp drei Meter von ihm entfernt bin, fällt mir die Frau auf, die sich eng gegen ihn drückt. Ihre hellblonden Haare locken sich um ein recht hübsches Gesicht, dem das Alter kaum etwas angehabt hat. Nur der Ausdruck ihrer Augen und die Falten darum herum lässt ahnen, dass sie wohl älter ist, als man meinen könnte.Gerade jetzt betrachtet sie mich mit einem nervösen Ausdruck, als wüsste sie selbst nicht, wie sie mit der Situation umgehen soll.
Tja, da sind wir wohl zu zweit.
Mein Blick gleitet an ihr hinab, bis er auf ihre Hand ruhen bleibt, um die sich die Finger meines Dads geschlungen haben. Natürlich, sie ist dann wohl seine neue Braut. Ohne es zu wollen macht sich Unmut und Antipathie in mir breit. Nur wenige Schritte vor ihnen bleibe ich stehen und starre beide kühl an.
Ein Schweigen der Unbehaglichkeit breitet sich aus, als keiner zusprechen anfängt, aber ich werde ganz bestimmt nicht derjenige sein, der die Stimmung hebt. Oh nein, sollen sie ruhig schmoren.
Mein Vater ist schließlich der Erste, der seine Sprache findet. Er räuspert sich. „Kaden", sagt er.
Immerhin, er erinnert sich tatsächlich noch daran, wie ich heiße. Ich hebe eine Augenbraue und schaue wieder zu der Frau an seiner Seite.
Sie schluckt und sieht sichtlich eingeschüchtert aus. Ihre Schultern heben sich und es scheint, als würde sie den Kopf einziehen wollen, sich aber dann dagegen entscheiden.
„Das ist Juliette", sagt Dad und sieht die Blonde warm an. Ich könnte wirklich kotzen. „Sie ist ... ich habe dir von ihr erzählt."
Ja, hat er. Ich hatte ihm reglos dabei zugehört, wie er von ihr praktisch schwärmte, und ich weiß bis heute nicht, wie ich es ausgehalten habe, ohne etwas kaputt zu schlagen. Der Sozialarbeiter hatte mich nach Mums Tod zu einem Therapeuten geschleppt, der meinte, ich hätte ein Aggressionsproblem. Mittlerweile kann ich diese Wut aber ganz gut kontrollieren – zumindest so weit, dass ich nicht bei jeder Kleinigkeit ausraste.
Dad wendet sich an seine Freundin. „Jules, das ist mein Sohn, Kaden."
Ich kann gerade so ein Schnauben unterdrücken.
Juliette setzt ein Lächeln auf, doch ihre Mundwinkel zittern deutlich.„Hallo", sagt sie leise. Dann beißt sie sich auf die Lippe und senkt kurz den Blick, bevor sie mich wieder ansieht. „Es tut mir leid, was mit deiner Mum passiert ist."
Sogleich droht meine Maske zu verrutschen. Kein „Schön, dich kennenzulernen" oder „Ich habe viel von dir gehört", nichts von den üblichen Floskeln. Das Mitgefühl in ihrem Blick ist ein zusätzlicher Schlag und ich muss mich regelrecht zu einer Reaktion zwingen. Ich bringe ein steifes Nicken zu Stande und knirsche mit den Zähnen. Sie hat meine Mum überhaupt nicht gekannt, aber die Wärme in ihren Augen erscheint mir echt zu sein, weit echter, als die geheuchelten Trauerbekenntnisse einiger Verwandter, die ich auf der Beerdigung mir hatte anhören müssen.
Aber deswegen werde ich jetzt bestimmt nicht vor ihr kriechen.
Sie wirft mir noch ein zaghaftes Lächeln zu, bevor sie den Blick abermals senkt.
Wieder breitet sich Schweigen aus.
„Oh, ach ja." Mit einem verlorenem Blick schaut Dad sich um. „Eden!"
Eine Bewegung hinter Juliette erregt meine Aufmerksamkeit und ich beobachte, wie ein dünnes Mädchen mit blasser Haut vortritt. Sie trägt einen schwarzen Cardigan über einer weißen Bluse und hat die Kapuze über den Kopf gestülpt. Lange weißblonde Haare fallen ihr über die Schultern bis zur Brust. Sie hat die Schultern hoch gezogen und die Arme krampfhaft um sich geschlungen, ihre erstaunlich jadegrünen Augen sind geweitet und auf mich gerichtet.
Als sich unsere Blicke kreuzen, zuckt sie kaum merklich zusammen. Sofort legt Juliette einen Arm schützend um sie, lässt ihn aber sofort wieder sinken, als das Mädchen bei der Berührung erneut zusammenzuckt.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Dad die Hand hebt und sich den Nacken reibt. „Kaden, das ist Eden, Juliettes Tochter."
Sie sieht ihrer Mutter ähnlich, bis auf die Blässe und den dunklen Schatten unter den Augen, der ihr sonst überraschend hübsches Gesicht trüben. Außerdem wirkt sie sehr hager, ihre Wangenknochen stechen deutlich hervor und ihr Körper scheint in den Klamotten regelrecht zu verschwinden. Wer um alles in der Welt trägt lange Ärmel und Kapuzen im Sommer? Laut der Information im Flugzeug bei der Landung haben wir hier gerade 29°C!
Ich weiß, dass sowohl Dad, als auch Juliette darauf warten, dass wir uns begrüßen, aber ich kann Eden nur anstarren. Auch sie wirkt wie erstarrt. Ihr Gesicht ist in etwa so ausdruckslos wie meines, ihre Körperhaltung völlig verkrampft. Dafür kann ich in ihren Augen eine Regung erkennen, die mich gleichermaßen innerlich zusammenzucken lässt, wie auch wütend macht.
Da ist nicht bloß Nervosität, wie bei Dad oder ihrer Mutter. Das ist Angst, was ich da sehe.
Angst vor mir.
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Unbreak Me
RomanceEden Scott und ihre Mutter sind gemeinsam durch die Hölle gegangen. Umso erfreuter ist Eden, als ihre Mutter mit Dave ihr Glück gefunden zu haben scheint. Doch ein Schatten legt sich über dieses Glück - Daves Sohn und Edens neuer Stiefbruder, Kaden...