Noch mehr Probleme

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,,Was ist passiert?"

Schweigen.

,,Du bist nicht sehr gesprächig, oder?"

Schweigen.

,,Was hörst du gerne für Musik?"

Schweigen.
Der Vampir sah ihn nicht mal an.

,,Hey. Ich habe dich freiwillig mitgenommen. Meinst du nicht, dass du es mir  schuldig bist, dass du dich ein bisschen mit mir unterhältst?"

Der Vampir drehte seinen Kopf zu ihm und sah ihn ausdruckslos an.

,,Natürlich. Wir wissen beide, dass du ein gefährliches Monster bist und du mich töten wirst, wenn du wieder fit bist."

Der Vampir sah ihn verletzt an, doch er bekam es nicht mit.

,,Wir wissen aber auch, dass du es ohne meine Hilfe nicht mal bis zum Klo schaffst. Weißt du, ich habe es satt. Ich war schon immer der durchschnitt. Ich bin durchschnittlich sportlich, durchschnittlich gut in der Schule gewesen, durchschnittlich beliebt. Ich bin der Typ den man einmal sieht und wieder vergisst. Was meinst du, warum ich mir die Haare grün gefärbt habe? Ich möchte anders sein. Auffallen. Endlich jemand sein, auf den man stolz sein kann. Ich habe dich mitgenommen, obwohl du ein Vampir bist. Ich habe dich mitgenommen, weil du mir Leid getan hast. Weil ich nicht wollte, dass die Polizei dich mit nimmt und Experimente an dir durchführt, um dich zu erforschen. Ich habe dich mitgenommen, weil ich dachte, dass du anders bist."

Er sprang auf. Es musste hier raus. Hektisch stürmte er in den Flur und striff sich seine Chucks über. Sein Handy war in seiner Hosentasche, den Schlüssel schnappte er sich von der Fensterbank. Und er rannte los.

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Schon nach ein paar Minuten bereute er, dass er sich nichts übergezogen hatte. Er fror in seiner Jogging Hose und dem Hoodi. Dennoch wollte er nicht umdrehen. Er wollte nicht zu dem Vampir zurück laufen, dass würde den Eindruck erwecken, dass er zurück gekrochen kam und um Vergebung flehte. Dabei hatte er doch nichts falsch gemacht. Abgesehen davon, dass er illegaler Weise einen Vampir bei sich versteckte.
Dieser blöde Vampir. Was hatte er sich nur dabei gedacht, ihn überhaupt mit zu sich zu nehmen? Er wusste die Antwort, wollte es aber nicht wahr haben. Er raufte sich die Haare, er wollte nicht mehr an den Vampir denken.
Und auf einmal wusste er, wo er hin konnte.

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Er saß auf seinem Lieblingsplatz, seinem Stammplatz. Unter andern Umständen hätte er den Film, in den ihn sein Kumpel kostenlos rein gelassen hatte, vermutlich spannend gefunden, aber unter diesen Umständen konnte er sich nicht einmal an den Namen des Films erinnern. Er machte sich Sorgen um den Vampir und hasste sich dafür. Das war schon immer so gewesen. Er brüllte jemanden völlig gerechtfertigt an und bekam hinterher die Heftigsten Schuldgefühle. Verzweifelt probierte er, seine Gedanken auf den Film zu lenken, und schaffte es tatsächlich, für einige Minuten auf die Leinwand zu starren, bevor seine Gedanken wieder zu dem Vampir glitten. Was er jetzt wohl machte? Bewegen konnte er sich nicht alleine, was er wohl machte, wenn er auf's Klo musste? Mussten Vampire überhaupt auf's Klo? Ihm fiel wieder ein, dass er überhaupt keine Ahnung von Vampiren hatte. Wie würde der Vampir reagieren, wenn er zurück kam? Und was würde er machen? Würde der Vampir wieder die Schuld bei sich suchen? Würde er wieder darum bitten, umgebracht zu werden?
Er sprang auf, stürmte aus dem Saal, ignorierte die Verdutzten Gesichter.
Der Vampir war offensichtlich suizidal, und er ließ ihn nach so einer Diskussion einfach alleine zurück.
Von dem Kino bis zu ihm war es nicht weit. Höchstens eine Halbe Stunde. Mit schnellen Schritten lief er durch die Gassen, den Kopf hoch erhoben. Es hatte geschneit, und es schneite immer noch, doch er bekam es nicht mit. Er fror, doch es war ihm egal. Er öffnete die Haustür und stürmte die Treppen nach oben. Auf der Treppe vor seiner Wohnung blieb er entsetzt stehen.
Vor seiner Wohnung standen zwei uniformierte Polizisten. Der eine drehte sich um, sah ihn an.

,,Fabian Schneider?"

,,Ähm ja. Ist was passiert?"

Seine Gedanken kreisten um den Vampir. Was hatte er angestellt?

,,Ihre Nachbarin, Frau Rottenmeier-"

,,Fräulein Rottenmeier!"

,,Wie bitte?"

,,Sie besteht darauf, Fräulein Rottenmeier genannt zu werden."

,,Ach so. Ok. Auf jeden Fall, Fräulein Rottenmeier ist der Meinung, dass sie einen Vampir bei sich verstecken."

,,Ok. Und wie kommt sie auf diesen Schwachsinn?"

Sein Herz sprang in seiner Brust auf und ab, er konnte kaum noch klar denken. Was sollte er nun machen? Natürlich! Der Vampir war sein Kumpel, der vorübergehen bei ihm pennte.

,,...Ok?"

,,Ähh. Was?"

,,Ob wir einen Blick in ihre Wohnung werfen dürfen?"

,,Natürlich. Moment."

Er begann mach seinem Schlüssel zu kramen und dankte sich dafür, dass er das blutige Messer in die Spülmaschine getan hatte und die Klamotten des Vampirs in der Waschmaschine waren. Endlich bekam er auch das blöde Schloss auf, es klemmte schon seit Jahren.
Die Polizisten folgten ihm in die unaufgeräumte Wohnung und ließen sich von ihm durch den kleinen Flur in das Wohnzimmer führen. Sein Blick fiel auf das Sofa, der Vampir war nicht mehr da. Auch der Fernseher war aus. Nichts deutete darauf hin, dass hier ein Vampir gewesen war. Auch in der Küche und dem Bad war niemand. Und auch sein Schlafzimmer war leer. Erleichtert atmete er auf, der Vampir hatte es scheinbar geschafft, sich so gut zu verstecken, dass er nicht gefunden wurde.

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Die Polizisten hatten sich mehrfach entschuldigt und waren anschließend verschwunden.
Er stand im Wohnzimmer und rief nach dem Vampir. Er könne raus kommen, die Polizisten waren weg, er solle raus kommen, oder zu mindest antworten. Doch nichts passierte. Und langsam aber sicher wusste er, dass der Vampir weg war. Traurig schlich er zurück in die Küche und machte sich ein Brot, bevor er sich schlafen legte.

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Er wachte davon auf, dass Sturmböen an sein Fenster peitschten, der kleben bleibende Schnee ihm die Sicht nach draußen verdeckte. Er stand auf, zog sich an, ohne zu wissen, was er vor hatte. Bei diesem Wetter würde keiner freiwillig raus gehen, der noch alle Tassen im Schrank hatte, doch er war verrückt. Erst als er draußen stand, wusste er, was sein Unterbewusstsein von ihm wollte. Sein Vampir war noch hier draußen. Voller Tatendrang dachte er nicht daran, wie groß die Stadt war, dass die Suche noch ewig dauern könnte, er sich nicht einmal sicher war, ob er den Vampir überhaupt finden würde. Er lief einfach in die Dunkelheit.

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Es waren einige Stunden vergangen und er fror erbärmlich. Mit gesenktem Kopf schlich er durch die Gassen. Er hatte die Hoffnung schon aufgegeben. Die ganze Idee war von vorne herein hirnrissig gewesen. Wie hatte er sich nur einbilden können, er hätte eine Chance, den Vampir zu finden. Müde strauchelte er, taumelte zur Seite und musste sich an einer Hauswand abstüzen. Alles war scheiße. Seine Jacke war komplett durchnässt und er freute sich schon auf ein warmes Bad und eine fette Erkältung.
Seine Füße stießen gegen etwas feuchtes, weiches. Im spärlichen Schein der Straßenlaternen erkannte er den blauen Stoff eines dicken Hoodies, der den schmalen Körper einer zusammen gekrümmten Gestalt bedeckte. Seinem Hoodie. Er fiel auf die Knie, befreite die Beine seines Vampirs von dem Schnee, zerrte ihn von dem vereisten Boden. Der Vampir bewegte sich nicht, wehrte sich nicht, doch er lebte noch. Hastig zerrte er den Vampir in seine Arme und lief los. Der Vampir war nicht weit gekommen, er war vielleicht 500 Meter von seiner Wohnung entfernt.
Seine Arme, seine Beine, sein ganzer Körper schmerzte, doch er wusste, dass es das richtige war, den Vampir wieder mit zu sich zu nehmen.

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Er hatte den Vampir ausgezogen und in die Badewanne gesetzt, um ihn aufzutauen. Auch er fror, doch der Vampir war wichtiger. Der Vampir war zwischen drin, als er ihn grade neu anzog, aus seiner Ohnmacht erwacht, hatte wirres Zeug geschwafelt und war in seinen Armen eingeschlafen. Er hatte ihn wieder in sein Bett gelegt und sich selber ein heißes Bad eingelassen und stand nun unschlüssig, ob Er er sich zu dem Vampir legen sollte, oder ob er auf die unbequeme Couch gehen sollte, um sich dann am nächsten Tag nicht mehr bewegen zu können, vor seinem Bett. Er entschied sich dazu, sich zu dem Vampir zu legen, weil er sich am nächsten Tag ja auch noch um den Vampir kümmern müsste. Also hob er die Decke an und legte sich Rücken an Rücken zu dem Vampir.

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