Mit all ihrer Kraft zog Rose ihren hellblauen Koffer vom schäbigen Gepäckband auf den Boden des Flughafens. “Ich kann das unmöglich bis zu unsere Wohnung schleppen, ich bin zu schwach”, beschwerte sie sich, während sie ihren Rucksack schulterte, der mehr wog als ein Rucksack sollte. Ihre Mutter warf ihr nur einen schnellen Blick zu und schüttelte enttäuscht ihren Kopf. “Ich habe dir doch gesagt, du sollst weniger einpacken. Warum hast du nicht auf mich gehört?” Rose verdrehte ihre Augen. Ja, sie hätte ein paar ihrer Bücher in die Umzugskisten packen können, die schon vor ein paar Wochen hier hingeliefert wurden. Aber war ein Leben ohne Bücher überhaupt lebenswert? Sie bezweifelte es stark.
“Aber du hast Glück. Wir nehmen uns ein Taxi.” Roses Mutter beugte sich runter, um Roses kleinen Bruder Leo dabei zu helfen, sein graues Sweatshirt auszuziehen. Verständlich, denn obwohl sie noch im Flughafen waren, war es schon so warm, dass es Rose nicht wundern würde, wenn sie von Satan höchstpersönlich begrüßt werden würden sobald sie den Flughafen verlassen und die Insel betreten.
“Mir gefällt es hier nicht. Es liegt überall Müll herum, es ist viel zu heiß und jemand hat Limonade auf meinen Koffer verschüttet”, beschwerte sich Victoria, Roses Schwester, und band ihre langen Haare zusammen zu einem hohen Zopf. “Ich habe es euch doch gesagt, hier zu Leben ist ein Schicksal schlimmer als der Tod.” Rose verdrehte ihre Augen.
“Wir sind erst seit zehn Minuten hier.”
“Und ich bereue jede einzelne davon.”
Rose seufzte und nahm Leos Hand, um ihn davon abzuhalten, einen auf Mufasa zu machen und von den Massen zertrampelt zu werden. Es fühlte sich so an, als ob alleine hier am Flughafen mehr Menschen waren als in ihrer gesamten alten Schule. Rose folgte ihrer Mutter zum Ausgang des Flughafens, wo sie ihr Gepäck in den Kofferraum eines merkwürdig gelbes Autos räumten und dann in dieses einstiegen. Rose quetschte sich gegen ihren älteren Bruders Jake, zog Leo auf den Sitz neben ihr und half ihm, sein Anschnallgurt anzulegen.
“Wie lange fahren wir?”, fragte Jake, offensichtlich schon gelangweilt.
“Ungefähr zwei Stunden", antwortete Roses Mutter. Ihre Augen waren schon geschlossen, vermutlich versuchte sie ein wenig Schlaf nachzuholen. Jake zog eine Grimasse bei dem Gedanken an die lange Fahrt und tauschte einen genervten Blick mit Victoria. Jake und Victoria waren Zwillinge, und neben ihrem Geburtstag teilten die beiden noch ihre braunen Locken, die stechend grünen Augen, herausragendes magisches Talent und das gewisse Talent, nervende Dramaqueens zu sein. Rose hatte nichts dergleichen und vielleicht war das der Grund, warum sie sich nicht so gut mit den Zwillingen und umso viel besser mit Leo verstand.Die Autofahrt war lang und nicht sonderlich spannend. Genau wie ihre Mutter schloss Victoria nach kurzer Zeit ihre Augen und lehnte ihren Kopf gegen Jakes Schultern. Rose hatte endlich die Gelegenheit, ihr Buch weiterzulesen, während Leo damit beschäftigt war, einen Cookie nach dem anderen zu essen. Gerade als der Mörder in Roses Buch geschnappt wurde, kamen sie an ihrem Zielort an- ihrem neuem Zuhause.
Rose nahm Leo die leere Keksschachtel ab und half ihm, aus dem Auto auszusteigen. Sie standen vor einem weißen Haus. Blumen säumten den Weg zum Eingang und es stand sogar eine kleine Palme daneben. “Das ist alles?”, fragte Jake und versuchte gar nicht erst, seine Enttäuschung zu verdecken. Verglichen mit ihrem alten Haus war dieses tatsächlich klein, aber Rose dachte, es war eigentlich ganz süß.
“Hör auf, dich zu beschweren. Du hast noch nicht mal alles davon gesehen”, antwortete Roses Mutter scharf und packte ihren Koffer, um ihn aus dem Kofferraum zu heben. “Nimmt euch euer Gepäck, dann könnt ihr es auch von innen sehen.” Die Geschwister nahmen sich ihre Koffer mehr oder weniger enthusiastisch und folgten ihrer Mutter ins Haus. Wie die Außenseite war es auch Innen im schlichtem weiß gehalten. Ihre Mutter zeigte ihnen ihre Räume und auch wenn Roses Zimmer gar nicht mal so speziell an sich war, war sie sofort begeistert von der unglaublichen Aussicht von ihrem Fenster. Hinter ihrem Garten war ein kleiner Sandstrand, der in den sanften Wellen eines azurblauen Ozeans endete. Rose löste sich vom Fenster und hievte ihren Koffer auf das Bett, dass in der Mitte des Raumes stand. Sie fing sofort an, auszupacken. Da morgen der erste Tag in ihrer neuen Schule war, legte sie sich schon mal ein Outfit für den nächsten Tag zurecht. Sie wollte einen wirklich guten ersten Eindruck machen , denn das war ihre Chance, endlich ein paar Freunde zu finden und kein kompletter Loser zu sein. Rose seufzte bei dem Gedanken an ihre alte Schule. Sie war die einzige nicht-magische Person da gewesen, was nicht nur bedeutete, dass sie die einzige Schülerin war, die nicht die Kurse besuchen durfte, wo den Schülern beigebracht wurde, Magie anzuwenden, sondern auch, dass sie eine komplette Außenseiterin gewesen war. Sie musste die langweiligsten Kurse besuchen wie Mathe oder Englisch. Aber morgen könnte das tatsächlich ein Vorteil für sie sein. Roses Gedanken wurden von Klopfen an der Tür unterbrochen, welches sie sofort umdrehen ließ.“Komm rein!”, rief sie, während sie ihr letztes T-Shirt in den Schrank lag. Die beige Tür öffnete sich und Leo steckte sein kleinen Kopf durch die Tür.
“Mommy sagt, wir essen jetzt Abendbrot", sagte er grinsend und offenbarte dabei seine kleine Zahnlücke.
“Okay, ich komme.” Rose folgte Leo ins Esszimmer, ein kleiner, in hellen grau gestrichenen Raum mit zwei großen Fenstern, die eine großartige Sicht auf den Strand erlauben. Der Tisch war bereits gedeckt und ein Geruch nach Hühnchen und Basilikum lag in der Luft. Rose setzte sich neben Leo und ihre Mutter reichte ihr schon einen Teller voll Essen. Rose hatte noch nicht mal bemerkt, wie hungrig sie war, bis sie das Essen jetzt sah. Schnell nahm sie sich die Gabel und fing an, zu essen.
“Habt ihr schon eure Schultaschen gepackt?”, fragte Roses Mutter, während sie Wasser ausschenkte.
“Ja, ich bin sogar schon fertig”, antwortete Leo stolz.
“Ich hab noch nicht mal angefangen”, murmelte Victoria. Es war offensichtlich, dass sie sich nicht auf die neue Schule freute. Sie und Jake waren nicht nur Klassenbeste in den magischen Fächern, sondern auch sehr beliebt in ihrer alten Schule gewesen. Jetzt hatten sie weder magische Fächer noch Beliebtheit- jedenfalls noch nicht.
“Dann solltest du das.”
“No Shit, Sherlock”,knurrte Jake und verzog sein Gesicht.
“In welche Klassen werden wir denn gehen?”, fragte Rose schnell,ein Versuch, die Zwillinge und ihre Mutter davon abzuhalten, schon wieder zu streiten.
“Leo kommt in die zweite Klasse und ihr werdet es morgen erfahren. Wahrscheinlich werdet ihr in denselben Jahrgang gehen müssen, wenn nicht sogar in dieselbe Klasse.”
“Was? Warum?”, fragte Jake entrüstet.
“Wir sind fast ein ganzes Jahr älter als sie!”, beklagte sich Victoria.
“Ja, aber ihr habt einige wichtige Fächer verpasst wie Mathe oder Naturwissenschaften in eurer alten Schule. Das müsst ihr jetzt nachholen. Es wird euch nicht umbringen”, antwortete ihre Mutter ruhig.
“Aber Mathe war doch nie wichtig!”, beschwerte sich Victoria.
“Naja, hier ist es das, also find dich damit ab.”
Danach war es erstmal ruhig. Rose aß schnell den Rest ihren Hühnchens auf, um möglichst schnell wieder zurück zu ihrem Zimmer zu gehen. Sie war schon mehr als nervös genug wegen morgen und die angespannte Stille am Tisch half nicht gerade weiter. Als ihre Mutter aufstand um das Geschirr zu spülen, folgte ihr Rose froh mit aus dem Raum. Mit schnellen Schritten ging sie zurück in ihr Zimmer und fühlte eine Welle der Erleichterung über sich hereinbrechen, sobald sie die Tür schloss. Rose setzte sich auf die graue Bettdecke und nahm ihr Lieblingsbuch vom Nachtisch. Mit müden Augen fing sie an zu lesen, schlief aber nach nur zwanzig Seiten ein.

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This is not magic
FantasyAuf ihrer alten Schule war Rose die einzige Person ohne magischen Kräfte. Deswegen ist sie umso begeisterter, als sie umziehen- nach Kalifornien, USA. Endlich würde sieauf eine normale Schule gehen umgeben sein von normalen Schülern und Lehrern. ...