Die Tribute von Panem - Mein letzter Wunsch

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„Sei vorsichtig."

„Du auch."


Tränen kriechen unter meinen geschlossen Lidern hervor und zieren mein Gesicht mit der Trauer, die ungestüm mein Herz erfüllt.

Es waren ihre letzten Worte bevor sie mich mit meiner inneren Verzweiflung zurückließ und mit selbstbewussten Schritten davon stapfte, ohne zu wissen, ob wir uns jemals wieder in die Arme schließen würden. Ihr ist es ebenso schwer gefallen, wie mir. Ich konnte es in ihren Augen sehen.

Ihre widerhallende Stimme vertreibt die Angst in meiner Brust und erinnert mich erneut daran nicht zu verdrängen, wie man langsam ein und ausatmet. Doch ein massiver Druck lastet in meiner Magengegend, als ich vorsichtig die Augen aufschlage und mir erneut ins Bewusstsein eingeschärft wird, dass ich mich in einer Falle befinde. Nur wenige Meter entfernt von dem zusammengestapelten grünen Holz, das ursprünglich als Lagerfeuer dienen sollte, um die Karrieros von ihr wegzulocken. So weit ist es allerdings nie gekommen.

Leises Wimmern entschlüpft meiner trockenen Kehle, als ich erneut versuche mich aus dem spröden Netz, das meinen gesamten Körper umschließt, zu winden. Doch der Kampf ist zwecklos. Das hatte ich schon wenige Minuten später begriffen, als mich die Falle einkeilte, noch bevor ich das letzte Feuer entfachen konnte. So nah und doch so weit entfernt.

Der Schock fuhr mir durch meinen ganzen Körper, als ich zu Boden gezwungen wurde und angsterfüllt darauf gewartet habe, dass sich mein Mörder aus dem Dickicht erhebt. Meine einzige Hoffnung war, dass er mir einen kurzen, schmerzlosen Tod bereitet. Doch stattdessen passierte nichts.

Ich betrachte die Sonne, die bedachtsam die Himmelsdecke hinaufkriecht, den Himmel in ein sanftes orange färbt und die Blätter der hochragenden Bäume mit einer goldenen Schicht überzieht. Wie der flüsternde Wind ihre prachtvollen Blätterkleider zum Tanz auffordert.

Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.

Noch besteht Hoffnung.

Doch wäre Katniss nicht schon längst hier gewesen? Oder hatte sie mich im Stich gelassen? Nein, das würde sie niemals tun. Ich vertraue ihr.

Sie muss anderweitig aufgehalten worden sein. Vielleicht haben die Karrieros sie aufgegriffen und nun überlegen sie fieberhaft, wie sie sie am qualvollsten zur Strecke bringen. Ich schlucke und verbanne diesen grausamen Gedanken. Sie wird kommen. Sie muss.

Mit letzter Kraft webt meine Stimme erneut die Viertonmelodie, die all meine Hoffnung in sich birgt und ich bete, dass sie sich einen Weg zu Katniss Gehör bahnt.

Bereitwillig nehmen die Spotttöpel mein Lied auf und tragen den Funken weiter. Doch dann verändert sich die Melodie schlagartig und ein neuer Gesang kristallisiert sich aus den Vogelkehlen. Katniss Melodie.

Ich kann meine Schreie nicht länger zurückhalten. „Katniss! Katniss!"

Die Worte befreien sich von meiner Zunge und obwohl ich mir bewusst bin, dass ich unsere beiden Leben in Gefahr bringe, fühlt es sich unerwartet gut an, dass mir mein Herz droht vor Freude aus der Brust zu springen.

„Rue!" Sie ist da. „Rue! Ich komme!" Tränen der Erleichterung sickern über mein Gesicht und ein Lächeln umspielt meine Lippen. Gleich ist sie da.

Ein Glücksgefühl steigt meinen Körper empor und vernichtet all die finsteren Gedanken, die sich wie Schatten in meinen Kopf eingenistet haben. Für einen unscheinbaren Moment.

Ein Rascheln, das hörbar nah ist, lässt mich aufhorchen und noch ehe ich meine Augen auf den Übeltäter richten kann, weiß ich, dass Katniss zu spät kommen wird.

Tribute von Panem ~ Mein letzter WunschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt