Kapitel 2

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Ich war bereits mit 15 schonmal eine Woche hier gewesen. Damals mit meiner besten Freundin aus Mannheim.

Ihre Großmutter besaß ein kleines Häuschen in der Nähe und für eine Woche in den Sommerferien durften wir bei ihr wohnen und Hamburg unsicher machen.

Zu diesem Zeitpunkt war meine beste Freundin schon 16.

Ich weiß noch, wie ich mich in einem Restaurant einmal tierisch geärgert hatte, weil sie sich eine Weinschorle bestellt hatte und ich es nicht durfte. Denn ich war ja noch 15.

Heute sind wir bestimmt keine besten Freundinnen mehr, doch wir haben uns nie aus den Augen verloren.

Aber jetzt, wo ich in Hamburg wohnte und sie in der Schweiz an der Universität Freiburg, der einzigen zweisprachigen Universität der ganzen Schweiz, Philosophie, Anglistik und Germanistik studierte, würden wir uns wohl eher nicht sooft sehen.

Ich meine, für uns beide hatte ein neuer Lebensabschnitt begonnen.

Auch meine andere ehemalige beste Freundin studierte weit weg von Hamburg.

Für sie war schon in der 10. Klasse klar, dass sie einmal in München Geschichts- und Kunstwissenschaften studieren würde.

Und die Vierte, und Letzte aus unserer damaligen Mädchenclique, blieb in Mannheim und studierte dort Tiermedizin.

Alle waren so ziemlich im Süden von Deutschland, nur mich zog es in den Norden. Ich hoffte trotzdem, dass wir in Kontakt bleiben würden.

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Mit quietschenden Bremsen rollte die S21 ein und riss mich somit aus meinen Gedanken. Ich hob meine Tasche vom Boden und zog meinen Koffer erneut hinter mir her. Wie erwartet, war die Bahn rappelvoll. Auf einen Sitzplatz wagte ich nicht einmal zu hoffen. Also blieb ich im Türbereich stehen, stellte meine Tasche zwischen meinen Beinen ab, während ich mich an einer Haltestange festhielt und mit der anderen Hand meinen Koffer umklammerte. Gott sei dank musste ich bis zur Sternschanze nur drei Stationen fahren. Länger hätte ich es sicherlich nicht ausgehalten. Es roch nach Schweiß, sowie schlechtem Atem. Durch die verschwitzten Körper war die Luft hier drinnen ziemlich unerträglich feucht.

Vielleicht fühlte sich auch nur mein Körper so an; meine Kleidung klebte unheimlich und die feinen Härchen, die sich aus meinem Dutt gelockert hatten, klebten feucht an meinem Nacken.

Einfach alles klebte und alles war verschwitzt. Aber .. ich fühlte mich gut.

Ich freute mich, endlich von zu Hause weg zu sein. Ich freute mich auf die neuen Leute, auch wenn ich ziemlich schüchtern war, freute mich auf die Umgebung und vorallem auf die WG und das Studium.

Auch wenn ich erst vor anderthalb Jahren gefeiert hatte, nie wieder lernen zu müssen.

Wir hatten es alle im Chor gebrüllt und danach sind wir in einen Club gegangen, um dort zu feiern. Es war ein schöner Abend. Und genauso hätte der Abend vor meiner Abreise nach Amerika stattfinden sollen, doch der endete mit meiner besten Freundin aus Mannheim, die jetzt in München war, auf ihrem Bett vor dem Fernseher, mit einer riesen Packung Schokoeis, unzähligen Taschentüchern, der anderen Freundin am Telefon, vielen Tränen und den Film Dirty Dancing.

Der Grund hatte sogar einen Namen:

Tobias.

Tobias und ich waren an diesem Tag, den 5. August 2012 genau ein Jahr zusammen, als er mir erklärte, dass er es nicht aushalten würde, wenn ich ein Jahr lang in Amerika sein würde. Er sagte auch, er mochte Fernbeziehungen nicht und auf mein Argument, dass ich in einem Jahr wieder da sein würde, reagierte er nur mit einem Kopfschütteln und ich wusste sofort, dass es vorbei war.

Nach genau einem schönen, aber auch anstrengendem Jahr.

Seitdem gab es auch keinen anderen Jungen mehr in meinem Leben, schließlich war Tobias auch mein erster Freund, mit fast 17. Ich wusste, dass ich in all diesen Beziehungen eine ziemliche Spätsünderin war.

Nach diesem Jahr in Amerika hatte ich eh keine Zeit mehr für einen Freund, da ich mit dem Umziehen beschäftigt war.

Ich wurde plötzlich aus meinen Gedanken gerissen, als die Bahn abrupt anhielt und ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte und vornüber gekippt wäre.

Im letzten Moment fing ich mich wieder und las das Schild, das den Namen Sternenschanze trug. Ich stieg schnell aus und atmete erneut die muffige Luft ein, die sich hier überall zu verteilen schien.

Mit einer energischen Bewegung strich ich mir das schräge Pony aus den Augen und marschierte los.

Wieder Rolltreppen nach oben, einen verzweigten Gang entlang, zuletzt Treppenstufen nach oben, bis ich die weiße Tür erblickte, welche nach draußen führte. Ich stoppte, räumte meinen Koffer aus dem Weg und atmete tief durch; frische Luft.

Nach der abgestanden Luft im Bahnschacht empfand ich sogar die schwüle Luft der Hamburger Innenstadt als erfrischend.

Dann kramte ich meinen Stadtplan aus der Handtasche und warf einen Blick darauf.

Das Haus, in dem ich ab heute wohnen würde, stand in der Bartelstraße und ich befand mich gerade in der Schanzenstraße.

Das heißt, ich musste der Schanzenstraße folgen und dort, wo die Kampstraße abging, links einbiegen.

Ich seufzte, packte den Stadtplan wieder weg und griff genervt nach meinem schweren Koffer, den ich nun wieder hinter mir her zog.

Kurz vergessen machen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt