Kapitel 4

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Mein Zimmer sah fast haargenau so aus, wie das, was ich in Mannheim hatte. Ein großer robuster Schrank, eine kleine Kommode, ein weiterer Schrank für meine Klamotten und ein Regal für meine Bücher. Nur mein Schreibtisch war ein anderer und auch mein Bett hatte sich geändert. Doch die weiße Tagesdecke mit den hellblauen Kissen zierte es immernoch. Sogar meine drei Zimmerpflanzen, denen ich aktive Sterbehilfe leistete, waren mit nach Hamburg gekommen. Und auch die weißen, mit kleinen blauen Blumen verzierten Gardinen waren mitgezogen.

Ich seufzte und ließ mich auf den Schreibtischstuhl sinken und schaute mich um. Der Spiegel an der Wand reflektierte das letzte Tageslicht und warf einen leichten, goldenen Schimmer auf mein Bett. Mit einem Seufzen erhob ich mich wieder, um die letzten Sachen in die Schränke zu räumen. Meinen Laptop stellte ich auf meinen Schreibtisch, ebenso meine Handtasche. Den Koffer versteckte ich mit viel Kraftaufwand auf meinem Kleiderschrank, in dem all meine Jacken und Blusen hingen.

Jetzt war alles ordentlich, alles was ich besaß, befand sich in diesem Zimmer, in dieser Wohnung, in dieser Stadt. Ich war nun wirklich angekommen.

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Nachdem ich lange geduscht hatte, meine nassen Locken taten, was sie wollten und ich schnell in schwarze Shorts und ein grünes T-Shirt geschlüpft war, klopfte ich leise an der angelehnten Küchentür und  trat ein, allerdings blieb ich auf der Schwelle stehen. Um den runden Küchentisch saßen Helena und zwei andere Jungs. Max stand an der Spüle und drehte sich um. Eine Weile herrschte ein langes Schweigen, bis ich mir einen Ruck gab und es brach. "Ich bin Mila. Ich wohne jetzt auch hier." - "Ah cool." nickte einer der beiden Jungs und stand als Erster auf, um mir die Hand zu geben. Er hatte blonde, kurze Haare. "Ich bin Fabi.."

Dann drehte er sich wieder zu Helena um. Der andere Junge, mit den braunen Locken, die meinen ziemlich ähnelten, zog eine Grimasse in Richtung des Blonden. "Ich bin übrigends Leon." - "Leo" verbesserte Fabi ihn. "Nein, Leon!" - "Für mich wirst du immer der große Leo bleiben." zog nun der Eine den Anderen auf, woraufhin Leon nur die Augen verdrehte.

"Wir kennen uns schon." die tiefe, markante Stimme von Max würde man überall wieder erkennen. "Ja." nickte ich. "Bist du gut angekommen?" - "Könnte man so sagen." lächelte ich. "Setz dich doch." schaltete sich jetzt auch Helena ein und zog den Stuhl, der neben ihr stand zurück. "Oh, danke." ich setzte mich lächelnd und schaute durch die Runde. Sie wirkten alle recht freundlich und umgänglich. Mal sehen, bis ich ihre Macken kennenlernen würde.

"Willst du was essen?" fragte Max, während er sich die nassen Hände an einem kleinen Handtuch abtrocknete. "Nein, danke. Bei dieser Hitze habe ich keinen Hunger." entgegnete ich. "Geht mir auch immer so." stimmte Helena mir zu. Dann schwiegen wir wieder eine Weile, bis Fabi die Stille durchbrach. "Also ich hab mich schon erschrocken, als neue Möbel im alten Zimmer von Alex standen. Mir hatte wieder mal keiner was gesagt." Sofort hob Helena die Hand und verpasste Fabi einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. "Ich hab es dir bestimmt tausendmal erzählt! Du hast nur nicht zugehört! Die anderen wussten es schließlich auch." Fabi verzog sein Gesicht und rieb sich am Hinterkopf. "Das kann auch sein.." Ich konnte nicht anders und musste schmunzeln. Doch ich sah aus dem Augenwinkel, wie Max die Augen verdrehte. "Warum.. wohnt dieser Alex nicht mehr hier?" fragte ich schließlich, um ein wenig Interesse meinerseits zu zeigen. "Er hat gerade sein Medizinstudium beendet und macht jetzt ein praktisches Jahr in Kiel." erklärte Leon. "Ich studiere auch Medizin." grinste ich und zuckte mit den Schultern. "Ich hoffe du wäschst ab und zu mal ab und machst auch mal sauber." mischte sich jetzt Max ein. "Hat Alex nämlich nie gemacht." - "Ja na klar bringe ich mich hier mit ein, nur hier und da vergesse ich gerne mal mein Zeug." meinte ich und schaute unsicher zu Max, der sich mit der Hand durch die blonden Haare fuhr. "Ja, wird schon alles klappen." sagte Helena zuversichtlich. "Ja,ja du scheinst ja ganz umgänglich zu sein." lachte Fabi und zeigte mit dem Finger auf mich. Und schon spürte ich, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Doch ich versuchte mich schnell wieder zu fangen. "Mal sehen, was ich von dir sagen kann." zwinkerte ich, dann warf ich einen Blick auf die Uhr und ignorierte Fabis Reaktion. Es interessierte mich auch nicht wirklich. Die rote, runde Uhr in der Küche zeigte 21:15 an. Dafür, dass ich mich hundeelend und todmüde fühlte, war es erstaunlich früh. Trotzdem erhob ich mich. "Nehmt's mir nicht übel, aber ich bin total müde. Wir sehen uns morgen." - "Ja, nach einer langen Zugfahrt bin ich auch immer total fertig." sagte Helena und lächelte mir freundlich zu. Ich musste sie unbedingt fragen, was sie studierte. Sie wäre eine super Lehrerin. "Bis morgen." murmelte Leon, Max nickte und Fabi winkte wie ein kleines Kind. Nun gut, einen Idioten gab es wohl in jeder WG.

Da ich diese Nacht nur ruhig schlafen wollte, war ich ziemlich gereizt, als durch die dünnen Wände ein ohrenbetäubender Knall zu hören war. Die Wohnungstür wurde laut zugeworfen, danach wurde etwas im Flur umgeworfen, was mit einem Klirren zu Boden fiel. Zuletzt ein lauter Ausruf: "Scheiße!" Dann war es für einen Moment still. Nur noch die schlurfenden Schritte im Flur waren zu hören. Dennoch war es unmöglich noch einmal einzuschlafen. Mein Wecker zeigte 05:37 Uhr. Schön, hoffentlich war das nicht jede Nacht so. Ich warf die Beine über den Bettrand, zog mir eine blaue Jogginghose an und tappte hinaus durch den Flur in die Küche. An dem runden Küchentisch, an dem gestern Abend die vier anderen Mitbewohner saßen, saß nun ein junger Mann über einem Buch gebeugt. Eine Tasse schwarzen Kaffee stand vor ihm auf dem Tisch. "Du bist also der, der soviel Krach macht." meinte ich und lehnte mich gegen den Türrahmen. Erst jetzt schien er mich zu bemerken und er hob den Kopf, sodass ihm das hellbraune Haar in die Augen fiel. Unter den Haarspitzen leuchteten bernsteinfarbene Augen auf und er zwinkerte mir zu: "Und du bist die, die davon noch wach wird.. Du musst die Neue sein." Die Neue! Wie das klang! Und schon nach wenigen Worten und einer einzigen Reaktion, konnte ich ganz genau beurteilen, welcher Typ Mann da vor mir saß. "Ich heiße Mila." - "Ich bin Mo.. Naja, eigentlich Moritz, aber kein Idiot nennt mich so." Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee und strich sich die Haarspitzen aus den Augen. Natürlich war er auf eine gewisse Art und Weise attraktiv, und das wusste er auch. Und genau das war es, was ihn zum Arsch machte. Ich kannte solche Typen zu Genüge. "Wann bist du angekommen?" fragte er nach einer Weile und ich seufzte innerlich und setzte mich auf dem Stuhl gegenüber von ihm.

Kurz vergessen machen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt