Kapitel 3

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Ich zog den Schlüssel aus meiner Handtasche und betrachtete noch einmal das Altbauhaus, in dessen oberste Etage sich die WG befand. Ich hatte den Schlüssel schon bekommen, als all meine Möbel vor zwei Tagen hierher geschafft wurden. Das war vielleicht ein Aufwand.

Außerdem hatte ich Angst, den neuen Mitbewohnern schon auf die Nerven zu gehen. Doch es waren Semesterferien, deshalb waren auch vier von den fünf Leuten nicht da, also lernte ich nur Max kennen. Einen zwanghaft ordentlichen Rechtswissenschaftenstudenten im vierten Semester. Als ich mich vorgestellt hatte trug er ein sauberes Hemd mit Bügelfalte und Jeans, die auch aussahen, als wären sie gebügelt worden. Ich hoffte nur, dass er nichts gegen ein bisschen Chaos hatte, das ich automatisch mit in die Wohnung bringen würde.

Ich war nicht dreckig oder so. Ich saugte sogar jeden Tag mein Zimmer, aber mit der Ordnung hatte ich es nicht so. Hier und da lagen hin und wieder schon einige Sachen herum. Auch, wenn es noch in Maßen war. Einen richtigen Saustall hatte ich nie. Dennoch hoffte ich, dass ich mit diesem Thema bei Max nicht anecken würde. Sonst wirkte er ganz sympathisch. Ein bisschen reserviert, vielleicht auch etwas schnöselhaft, aber höflich.

Er hatte mir erzählt, dass die anderen Mitbewohner entweder bei ihren Eltern waren, im Urlaub, oder über's Wochenende feiern. Das störte mich überhaupt nicht, so konnten ich, meine Familie und die Möbel ihnen nicht im Weg stehen.

Die Wohnung hatte ich nur über eine Kontaktanzeige gefunden. Das Mädchen der WG, Helena, hatte schon Mails mit mir geschrieben, während ich noch in Amerika war, aber schon die Zusage für die Uni in Hamburg hatte. Somit machte ich mich auf Zimmersuche.

Helena und ich hatten geschrieben, alles Finanzielle und Organisatorische über das Telefon ausgemacht und schon war alles geklärt. Dass das so einfach geht, hätte ich nie gedacht. Aber so kam es, dass sich Helena nur durch das Telefon, Max persönlich und alle anderen noch gar nicht kannte. Nicht, dass es nötig gewesen wäre, aber angenehm.

Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und sah vor mir die ganzen Stufen. Bis nach Oben. Aber das war der Preis für die schöne Aussicht. Ich hievte meinen Koffer Stufe für Stufe nach oben und merkte, wie mir immer wärmer wurde.

Schließlich stellte ich das Monstrum von Gepäck mit einem lauten Knall auf den Fliesenboden. Ich stand vor der großen, weißen Flügeltür, in der jeweils in jeder Seite eine Scheibe Milchglas eingebracht war. Dahinter konnte man leicht Bewegungen wahrnehmen. Icb atmete noch einmal tief durch, fuhr mir mit dem Handrücken über Stirn und Wange und steckte schließlich den Schlüssel ins erneut ins Schloss, während ich meinen Koffer schon wieder in der Hand hatte, als die Tür von innen aufgerissen wurde.

Ein blondes Mädchen mit glatten Haaren, wie ich sie nie haben werde, und braunen Rehaugen stand vor mir. Sie war in etwa so groß wie ich, vielleicht ein paar Millimeter kleiner und sie schaute mich überrascht an.

"Kann ich dir helf.." begann sie, brach aber ab. "Ah, du bist bestimmt Mila." Sie lächelte freundlich. Ich nickte. "Ja, meine Möbel sind schon hier und.. Darf ich vielleicht erst einmal reinkommen?" fragte ich höflich. "Ohja, natürlich." Sie trat beseite. Ich griff wieder nach meinem Koffer und zerrte ihn in die Wohnung.

Die Wohnung sah nicht anders aus. Warum denn auch? Doch erst jetzt hatte ich den Nerv, mich endlich mal umzusehen. Der Flur war lang und schmal, ohne eine Biegung. Von ihm gingen acht Türen ab. Drei von jeder Längenseite und von der Stirnseite jeweils zwei. Ich hatte das Zimmer gegenüber vom Bad bekommen. Wem die zwei anliegenden Zimmer gehörten, wusste ich nicht.

"Das mit den Möbeln hat mir Max schon erklärt." sagte das Mädchen dann. "Ich bin übrigens Helena." - "Das dachte ich mir schon."

"Alle anderen sind in der Küche. Naja, alle bis auf Mo, der ist noch unterwegs." plapperte Helena weiter und ich nickte nur. "Wenn du willst, kannst du dich zu uns setzen." Hm.

"Ich würde erstmal gerne meine restlichen Sachen auspacken." erklärte ich. "Ja klar." nickte Helena hastig. "Dann.. Herzlich Willkommen." - "Danke."

Mit diesen Worten drehte ich mich um und hörte nur noch, wie Helena mit tippelnden Schritten in die Küche verschwand.

Kurz vergessen machen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt