Flo teilte den Stapel Papiere, den er vor sich auf dem Tisch hatte, in fünf Teile auf. Vier davon legte er vor sich hin, den fünften schob er erst einmal zur Seite.
„Das hier", sagte er und schaute in die Runde, „sind Studien, die sich mit dem Thema befassen. Vier unterschiedliche, voneinander unabhängige Studien von völlig eigenständigen Instituten."
Nacheinander klopfte er auf die Papierstapel.
„Da haben wir einmal die Sorbonne in Frankreich. Dann die Universität Witten / Herdecke. Das Max-Planck Institut. Und die Brookings Institution in Washington D.C. Alle vier sind fundierte Studien, die streng nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten aufgebaut sind. Die eine These und Antithese aufstellen; sowohl wissenschaftliche Argumente nutzen, als auch empirische Daten auswerten. Die auch Argumente zulassen und betrachten, die der aufgestellten These zuwider laufen. Die Statistiken auswerten und vergleichen."
Einen Augenblick sammelte sich Flo, und dann fuhr er fort.
„Sie alle kommen dabei unabhängig voneinander zu einem ganz ähnlichen Ergebnis. Ratet doch mal: Wie viel Prozent der Bevölkerung betrifft der Virus und seine Folgen?"
Fragend sah er die anderen an.
„Nun, vielleicht ... fünf? Oder zehn?", sagte Felix. Er hatte es kaum ausgesprochen, da wurde ihm bewusst, was er da gesagt hatte. Selbst wenn es fünf Prozent sein mögen. Bei derzeit um die achtzig Millionen Einwohnern wären das allein in Deutschland schon vier Millionen Menschen! Da konnte niemand von einer geringfügigen Randgruppe sprechen!
Felix stöhnte auf, denn so hatte er das noch niemals betrachtet.
„Mag so hinkommen", sagte André.
Die anderen nickten.
Flo grinste. Ja, mit einer solchen Antwort hatte er gerechnet.
„Seid ihr sicher?", fragte er. „Schaut euch doch mal um. Wir sitzen hier mit elf Mann um diesen Tisch, und allein von uns sind vier Leute in einer Sub- Dom-Beziehung."
Er blickte zu Max, und von ihm zu Rick und Anna.
Niklas hatte schnell mal überschlagen. Er schnaufte. „Das sind ca. fünfunddreißig Prozent!"
„Genau", sagte Flo. „Und ob ihr es glaubt oder nicht, jede dieser vier Studien kommt, trotz ganz unterschiedlicher Prämissen und Herangehensweisen, zu einem Ergebnis zwischen fünfundzwanzig und vierzig Prozent der Bevölkerung! Weltweit!"
Sie alle holten tief Luft. Das schlug doch ein wie eine Bombe, und sie brauchten einfach ein wenig Zeit, um sich wieder zu sortieren.
„Das ist unglaublich", sagte Jako. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das stimmt." Er sah ziemlich abweisend drein. Marti hob die Augenbrauen und sah ihn erstaunt an.
Flo schob die Ausdrucke in die Mitte des Konferenztisches. „Hier. Ihr könnt das gerne nachlesen."
Jako schnappte sich direkt den ersten Stapel und begann ihn durchzugehen.
„Ich bin auch ziemlich erstaunt", sagte Steve. „Aber, Flo, wie bist die an diese Studien herangekommen?"
Flo zuckte mit den Schultern.
„Um ehrlich zu sein, ich hab einfach verschiedene Institute, die sich mit soziologischer und demografischer Forschung befassen, angefragt. Und man hat mir ohne zu zögern die Unterlagen zugesandt."
Olli hob den Kopf und fragte erstaunt: „Wie bitte?"
„Ja", sagte Flo und nickte Max zu, der nun den Beamer erst einmal ausstellte.
„Das hier sind öffentliche zugängliche Forschungen. Die Ergebnisse wurden zwar ausschließlich in ganz speziellen Fachblättern veröffentlicht. Dennoch könnte jeder, der daran interessiert ist, Zugriff darauf erlangen. Sie werden nicht geheimgehalten oder so. Allerdings scheint sich außerhalb sozialwissenschaftlicher Kreise niemand dafür zu interessieren."
„Wir haben uns umgehört", übernahm nun Max.
„Wir haben uns durch Ämter und Behörden gepflügt. Haben nach Dienstanweisungen, Direktiven, Regelanpassungen oder ähnlichem Gesucht. Nichts, was irgendwie darauf Bezug nimmt. Die Polizei verweigert Stellungnahmen zu dem Thema, was sie gegen die steigende Gewalt gegen Sub-Dom-Paare unternehmen wird. Ihr wisst ja, wie das ist, es gibt immer ewig gestrige, und die, die vor ein paar Jahren noch gegen Ausländer gehetzt haben oder alles gehasst haben, was nicht heterosexuell war, haben zu ihrer Partitur des Hasses nun auch noch Sub-Dom Beziehungen hinzugefügt. Und da bleiben Gewalttaten leider nicht aus."
Er sah hinüber zu Flo.
„Angepöbelt worden sind wir auch schon. Na ja. Jedenfalls, laut Polizei gibt es das nicht."
„Richtig", sagte Flo. „Von staatlicher Seite gibt es also keinerlei Anstrengungen, diese Informationen zu verbreiten, im Gegenteil es wird viel dafür getan, um es zu negieren. Kleinzureden. Und Probleme, die sich zwangsläufig ergeben, wie bei jeder weitreichenden Veränderung, zu vertuschen."
Max nickte. „Es hat in einigen Städten Deutschlands Versuche gegeben, analog zum CSD so etwas wie eine Sub-Dom-Pride zu organisieren. Einfach um unser Lebensgefühl zu feiern, denn so wie wir sind, so sind wir nun mal, und wir lieben es, so zu sein, nicht wahr?"
Florian nickte und lächelte ihn verliebt an. Anna nickte ebenfalls, und Rick sagte: „Stimmt. Wieso auch nicht?"
„Tja", sagte Max, „alle diese Versuche sind verboten worden. Angeblich, weil Anschläge von rechtspolitischen Gegnern zu erwarten wären. Nun, das glaube ich gerne, aber die Aufgabe des Staates wäre meiner Meinung nach gewesen, die feiernden vor diesen Anschlägen zu schützen und Attentäter im Vorfeld ausfindig zu machen. Statt dessen verbietet man diese Veranstaltungen. Es ging dabei doch nur darum, das ganze nicht ins Blickfeld der Öffentlichkeit gelangen zu lassen."
„In Italien", sagte nun wieder Flo, „hat man eine Veranstaltung, die trotz Verbot stattfand, als Krawall eingestuft und ist mit Schlagstöcken und Wasserwerfern darauf los. In Amerika wurden die feiernden abgedrängt in wenig bevölkerte Industriegebiete und dann ebenfalls gewaltsam aufgelöst und so könnten wir euch noch eine ganze Menge Beispiele bringen."
„Die Tatsache", sagte Max, „dass die Regenbogenpressen sich weder hierzulande noch anderswo auf die ganze Angelegenheit stürzt, ist mit Sicherheit auch auf staatlichen Druck zurückzuführen. Denn normalerweise würden die dreißig Prozent der Bevölkerung nicht einfach ignorieren, die ja auch eine gewissen Kaufkraft darstellen und die Pressegeier, die von der Sensationsgier der Leute leben, müssten all das doch eigentlich als gefundenes Fressen betrachten. Dass sie das nicht tun, kann nur bedeuten, dass sie sich widrigenfalls gewaltigen Ärger einhandeln würden."
„Ihr seht also", sagte Flo, „das es sich keineswegs nur um eine Randerscheinung handelt. Dreißig Prozent der Bevölkerung und die Tendenz ist seit Jahren weltweit stagnierend, es ist also nicht wahrscheinlich, dass das ganze sich absehbar in Wohlgefallen auflöst. Ich will also dieses Video machen und frage auch noch einmal: werdet ihr mich und Max unterstützen?"
Olli nickte.
„Ja", sagte André knapp.
Rick und Anna nickten ebenfalls, Felix, den die hohe Anzahl immer noch erschütterte stimmte ebenfalls zu. Niklas fragte: „Was kann ich tun?" Das war so typisch Niklas, das alle schmunzeln mussten. Steve sagte: „'türlich."
Und Marti setzte an: „Klar, ich hab ja vorhin schon gesagt, Jako und ich werden auch unterstü ..."
Da knallte Jako, der bis eben noch mit den Papieren geraschelt hatte, den Stapel, den er in der Hand hielt, auf den Tisch.
„Nein!", sagte er harsch.
„Ich halte das immer noch für maßlos übertrieben, und ich werde eine solche Hysterie mit Sicherheit nicht unterstützen!"
Dann stürzte er aus dem Raum und schmiss die Tür hinter sich zu.
Marti lief knallrot an.
„Ich ... habe keine Ahnung ... was mit dem los ist ...", stotterte er und dann lief er seinem Mann hinterher.
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Das Virus
FanfictionLe Floid, Flo, will ein Video veröffentlichen. Es steht fest, dass das ziemlichen Staub aufwirbeln wird. Wie gut, dass sein Max für ihn da ist und all seine Freunde ihn ebenfalls unterstützen. Denn Flo hat vor, mal wieder kein Blatt vor den Mund zu...