Epilog - Olli und Sven

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Olli hing mit Sven rum.
So bezeichnete er es jedenfalls.
Nach dem anfänglichen Misstrauen hatte sich Olli in jenen Tagen im Sommer, als Sven viel Zeit mit ihnen allen in ihrem Büro verbrachte, letztendlich dafür entschuldigt. Sven hatte sich darüber gefreut, auch wenn er Ollis Vorsicht verstanden hatte: die Situation war immerhin kompliziert gewesen, und es war nur vernünftig gewesen, einem im Grunde doch Fremden nicht sofort völliges Vertrauen zu schenken.
Nun, jedenfalls, Olli hatte sich entschuldigt und Sven hatte ihn darauf hin auf ein Bier eingeladen.

Seitdem hatten sie sich oft getroffen. In einer kleinen Szenekneipe, wo man manchmal Abends Jazzmusik live erleben konnte; in einem Bistro ganz in der Nähe des Polizeipräsidiums; in einem Café in der Nähe des Parks.

Das erste mal war etwas seltsam gewesen, sie beide hatten sich eigenartig gefühlt und nicht recht gewusst, worüber sie reden sollten. Doch dann hatte sich so nach und nach herausgestellt, dass sie erstaunlich viel gemeinsam hatten.
Sie schätzten Jazz; sie zogen italienisches Essen allem andern vor; sie reisten gern; sie waren sehr interessiert an fernen Ländern, fremden Kulturen.

Und sie hatten beide einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.
Nun, Sven war aus genau diesem Grund einst zur Polizei gegangen und hatte sich im letzten Sommer aus eben diesem Grund so sehr in die Ereignisse um Ollis Freunde hineinziehen lassen.
Es waren chaotische, aufregende Tage gewesen, doch er bereute es nicht eine Sekunde. Denn mal abgesehen davon, das sich offenbar alles zum Guten wendete und die Menschen mit dem Kanazé- Virus nun endlich die ihnen zustehenden Rechte bekamen, hatte das ganze ihm diese Freundschaft mit Olli eingebracht. Und das allein war jeden Tropfen Angstschweiß wert gewesen.

Jene Tage im Sommer hatten viel in Sven verändert.
Er hatte sich tiefer und intensiver mit der Sub-Dom-Kultur auseinander gesetzt, als er es vorher für möglich gehalten hatte.
Er selber war nach wie vor so Vanilla, wie man nur sein konnte. Er war nicht von dem Virus betroffen und war ganz froh darüber. Er konnte sich all diese Dinge: Knien, Gehorchen, Unterwerfung, Strafen, Demut nicht in einer Liebesbeziehung vorstellen, konnte es nicht mit Liebe in Einklang bringen.

Doch wie gesagt, nur weil man selber etwas nicht mochte, musste es noch lange nicht falsch sein, und man konnte etwas durchaus akzeptieren, ohne es wirklich zu verstehen.

Denn was er durchaus verstand, war die Tatsache, dass Subs und Doms mit ihrem Lebensstil glücklich waren und nichts anderes wollten.
Und das war genug für ihn, um es einfach als Lebensstil anderer zu akzeptieren.

Er selbst hatte immer noch nicht die Frau fürs Leben gefunden. Und die glücklichen Paare in Ollis Freundeskreis, die beiden von Joikos, die Krügers, die Riecks hatten die Sehnsucht in ihm geweckt, so etwas auch für sich zu finden. Nun, er wurde schließlich auch nicht jünger, nicht wahr?

Seine Freundschaft mit Olli war ihm sehr wichtig geworden. Es gab vieles, was er an dem jüngeren Mann bewunderte. Er mochte Ollis Sinn für Gerechtigkeit. Seine kindlich fröhliche Art. Seine Verspieltheit, die Leidenschaft mit der er sich in ein Computerspiel stürzen konnte und darin versinken, als würde die Welt um ihn herum nicht mehr existieren.
Aber auch die Ernsthaftigkeit, die er an den Tag legte, wenn es um wirklich wichtige Dinge ging.
Den Mut, den Olli gezeigt hatte.
Sein Geschick, wenn es darum ging, ihn, Sven, zum Lachen zu bringen.

Und als er an diesem besonders verregneten Samstag im Oktober in jenem kleinen Café Olli gegenüber saß, um gemeinsam mit ihm zu frühstücken, fiel ihm auf, dass er auch diese kleine neckische Geste mochte, mit der Olli einen Croissant-Krümel aus seinem Mundwinkel wischte und dann von seinem Finger abschleckte ... Herrgott, diese Zunge, diese kleine flinke Zunge ...

Und in diesem Moment ging Sven auf, dass er den Wunsch nach der Frau fürs Leben vielleicht ein wenig umformulieren sollte.
Vielleicht sollte er offener sein und darauf vertrauen, dass ihm eines Tages der Mensch fürs Leben begegnete ...
und vielleicht, nur vielleicht, war er ja auch schon in sein Leben getreten.

Olli dagegen kämpfte im Augenblick mit seinen eigenen inneren Dämonen.
Er schaute auf den Mann, der ihm gegenüber saß und seufzte. Er hörte ehrlicherweise nicht richtig zu, als Sven vom letzten Fußballtournier des Polizeisportvereins erzählte.
Ihm gingen andere Dinge durch den Kopf.

Jene Verliebtheit in Flo, die ihn im Sommer noch gequält hatte, war nach und nach verkümmert. Wenn er in seiner Wohnung allein war und vor sich hin träumte, war Flos Gesicht nach und nach verblasst, und ein anderes war erschienen.
Sven.

War das nun ein Fall von "Vom Regen in die Traufe"?
Eine hoffnungslose Verliebtheit durch eine andere, ebenso hoffnungslose ersetzt?
Ach Mann, Olli, dachte er traurig, du hast einfach kein Händchen für so etwas.

Apropos Händchen.
Als er nach dem Zucker griff, um sich seinen Latte Macchiato zu süßen, hatte just in diesem Moment auch Svens Hand den Zucker angesteuert, und beide berührten sich.
Sie zuckten zurück, verlegen, erschrocken.

Es hatte sich angefühlt wie ein Stromschlag.
Einen Augenblick sahen sie sich entgeistert an.
Dann jedoch legte Sven seine Hand, sanft und vorsichtig, auf Ollis.

Olli schluckte. Es fühlte sich gut an. Warm. Zärtlich.
Er blickte auf und sah in zwei tiefe Augen, in denen Unsicherheit und Hoffnung funkelten.

Er zog seine Hand nicht zurück und hoffte das wäre Zeichen genug.
Ein schüchternes Lächeln ließ sein Gesicht erstrahlen, und wurde von einem ebenso schönen Lächeln auf Svens Gesicht gespiegelt.

Es war ein erster winziger Schritt.
Sie wussten beide nicht, was sie nun weiter tun sollten, doch der erste Schritt war getan.
Sie würden vermutlich auf ängstlichen wackligen Beinen den Weg weitergehen, doch sie würden ihn zusammen beschreiten.

Sie hatten alle Zeit der Welt, für sich herauszufinden, was die Zukunft bringen würde.

Und das fühlte sich in diesem Augenblick einfach nur wunderbar an.

Das VirusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt