Kapitel Sechsunddreißig

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„Wir können." Elaine kommt so schnell um die Ecke, dass ich mich erschrecke und fast meine Tasche fallen lasse. Ich werfe ihr einen genervten Blick zu, aber sie kichert bloß und geht voran. Ich drehe meinen Kopf zu Michelle und rolle mit den Augen. Ich sollte meine Schwester im Wald aussetzen.

Schweigend gehen wir zu meinem Auto. Elaine hat zwar einen Führerschein, aber mehr auch nicht, was daran liegt, dass ihr Auto, eigentlich ihrem jetzt Ex-Mann gehört und sie nie Geld zur Seite gelegt oder gespart hat. Kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass das hier ihr erster Job ist, mit dem sie eigenständig Geld verdient.

Damit sie nicht auf die Idee kommt, sich mit mir zu unterhalten, stelle ich das Radio auf so laut, dass ich fast schon Kopfschmerzen bekomme und fahre los. Nach einer Weile, in der ich tatsächlich meine Ruhe habe, abgesehen von dem Rapper, der mir mit voller Kraft ins Ohr schreit, wagt sie es sich tatsächlich, den Lautstärkeregler zu betätigen. Ich werfe ihr einen scharfen Blick zu.

„Kannst du mich am Leos rauslassen?", fragt sie und klappt den Spiegel in der Sonnenblende raus, nur um ihren Lippenstift nachzuziehen. Ich ziehe verwirrt sie Augenbauen zusammen. „Klar", antworte ich skeptisch. „Du geht's wieder aus?", hänge ich hinten dran und sehe zu ihr rüber. Sie nickt während sie Puder in ihrem Gesicht verteilt. Wann genau ist mein Auto zu einem Beautysalon mutiert?

„Mhm." Sie sieht konzentriert in den Spiegel und löst das Haargummi aus ihren Haaren.

„Solltest du auch mal", fügt sie dann noch hinzu. Bevor ich wirklich realisiert habe, wie spitz ihre Bemerkung eigentlich gewesen ist, drückt mein Fuß auf die Bremse. Ein Auto hinter mir hupt laut und der Fahrer zeigt mir den Mittelfinger, als er an mir vorbeifährt.

„Denkst du wirklich, du bist in der Position, solche Sprüche zu reißen?" Mein Puls steigt von null auf hundertachtzig und mein Blut beginnt zu kochen. Ich kann es einfach nicht fassen, dass sie wirklich so große Eier hat. Erschrocken sieht sie zu mir und dann nach hinten.

„Reg dich ab, das war doch nur Spaß." Als wäre das selbstverständlich, rollt sie mit den Augen. Gestresst fahre ich mir durch die Haare und seufzte.

„Raus", zische ich genervt, die Augen geschlossen.

„Was?", fragt sie perplex.

„Raus aus dem verdammten Wagen!", keife ich lauter und sehe sie direkt an. Ich habe die Schnauze voll von ihr und ihrer Art. „Du willst ausgehen? Dann lauf und verpiss dich aus meinem Auto", erkläre ich und lehne mich über sie drüber, um die Tür zu öffnen. Sie scheint immer noch nicht ganz zu wissen, was dort vor sich geht, schnallt sich aber trotzdem ab und steigt aus.

„Viel Spaß", sage ich grinsend, als sie die Autotür schließt und fahre mit quietschenden Reifen davon. Soll sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst, Gott verdammt. Die Art wie sie mit mir umgeht, wie sie einfach hier auftaucht und denkt, sie könnte alles für sich einnehmen, es nervt mich abgrundtief. Erst schafft sie es, unsere Mutter um den Finger zu wickeln, dann meinen Chef und jetzt das. Soll sie aber sehen, was sie macht, wenn sie niemanden hat, der ihr hilft oder sie durch die Gegend fährt.

Die Fahrt nach Hause vergeht viel schneller, wenn man seine Ruhe hat und keine Zicke neben sich. Die Stille gibt mir Platz zum Nachdenken und mir kommen Nathans Worte wieder in den Kopf.

Du solltest erst mal nicht alleine aus dem Haus gehen, vor allem wenn es dunkel ist.

Ich schüttle den Kopf um die Gedanken in die hinterste Ecke zu vertreiben. Von unserem Parkplatz zur Haustür sind es zehn Meter und außerdem lasse ich mich nicht einsperren. Ben wird nichts tun, was ihm Probleme bringt und ich weiß, was passieren würde, wenn Grey von einer Aktion Wind bekommen sollte.

GREYWo Geschichten leben. Entdecke jetzt