Teil2

2K 151 25
                                    


Irgendwann am frühen Nachmittag fühlte sich Jeremy für den Rest des Tages stark genug. Heute waren keine Proben oder sonstigen Termine angesetzt und er konnte an einem freien Tag machen was er wollte. Er griff zum Handy und wählte Junes Nummer. Von allen Sängern und Musikern, die gestern dabei waren, war sie wohl diejenige, die er wirklich als gute Freundin bezeichnen würde. Es dauerte etwas, dann zwitscherte sie ihr typisches „Hier ist Ju-une, was gibt's?"

„Hi June, ich bin's. Bist du in deinem Zimmer? Ich muss mit dir reden."

„Dann komm gleich, ich bin immer für dich da."

Das war eine so kurze und direkte Antwort, dass Jeremy sich fragte, ob sie schon genau wüsste, was er mit ihr zu bereden hatte. Zuzutrauen wäre es ihr. Normalerweise entging ihr rein gar nichts und eine Knutscherei auf einer Premierenfeier schon überhaupt nicht. Sie hatte nicht einmal nachgefragt, warum er, obwohl sie beide im selben Hotel untergebracht waren, extra anrief. Ihr musste klar sein, dass irgendwas passiert war. Er schaute noch kurz in den Spiegel, um sicher zu gehen, dass sein Rolli tat, wofür er ihn aus dem Koffer gekramt hatte, dann machte er sich auf. 

Junes Zimmer war in der nächsten Etage und die Tür stand bereits offen, sodass er nicht erst klopfen musste. 

„June? Hi!" 

 Sie saß am Fenster und blätterte in der Zeitung. 

„Da bist du ja. Hast du unsere Kritiken gelesen? Die sind phantastisch! Hier, die Times spricht von einer wegweisenden Neuinterpretation und der Guardian lobt dein eindringliches Spiel. Meines natürlich auch ..." 

 Sie redete noch weiter. Also hatte sie keine Ahnung, sie dachte, er wolle sie wegen der Kritiken sehen! 

„June, ja das ist alles toll ..." 

Jetzt kam er sich fast wie ein Esel vor, weil er alles, aber auch wirklich alles von vorn erklären müsste. Als sie endlich von der Zeitung aufsah, merkte sie, dass etwas anderes wie ein Elefant im Raum stand.

„Was ist denn so viel wichtiger als der Triumph von gestern Abend?"

Er überlegte kurz. 

„Hast du gestern Abend bei der Party irgendwas bemerkt?"

„Was soll ich denn da bemerkt haben? Was ist los, du bist doch sonst nicht so zögerlich?"

„Hast du mitgekriegt, ob ich da mit irgendwem geflirtet habe? Oder irgendwer mit mir?"

Sie schaute halb verständnislos, halb amüsiert. 

„Ob ich? Hey, seit wann flirtest du wieder? Nein, das hab ich nicht mitgekriegt!" 

Na fantastisch. Wenn es nicht mal June mitbekommen hatte, wie sollte er dann je etwas herausfinden? Er erzählte ihr nun einfach alles, was er sich bisher zusammengereimt hatte. Von dunklen Locken, wahrscheinlich jemand der raucht ... Sie hörte fasziniert und neugierig zu. 

„Und du kannst dich nicht erinnern? Nicht vielleicht an einen Namen, oder ob er irgendwas zu dir gesagt hat, bevor er über dich hergefallen ist?" 

Nein, das konnte er wirklich nicht. Sie lächelte vielsagend.

„Ich nehme an, dass da in dem ganzen Zigarettenrauch in dem Pub vielleicht auch ein bisschen was Anderes dazwischen war. Oder ich habe deutlich mehr getrunken als sonst. Sonst hätte ich nicht so einen Filmriss."

Sie nickte langsam. Das schien wohl einleuchtend.

„Du warst ausgelassener als sonst", fiel ihr dann plötzlich ein, „also dachte ich, du hättest ordentlich was getrunken. Und dann warst du irgendwann weg und ich dachte, du wärst schon ins Hotel. Sorry. Das war's. Ich bin dann irgendwann mit den anderen gegangen. Da waren die Schauspieler schon weg."

„Was für Schauspieler?" 

Das war doch eine brauchbare Information. Oder nicht?

„Hab ich nicht mitgekriegt. Von irgendeinem Theater."

„Irgendeins? Na, immerhin weißt du das."

Er schaute ihr fest in die Augen. Sie konnte keine weitere Auskunft geben. Ihr war bewusst, um was es hier ging. Er würde sonst nicht reden, er würde sonst nicht fragen. Er würde sonst weitermachen wie bisher, seit ...

„Und ich weiß noch etwas", hörte er sie jetzt plötzlich in sanftem Tonfall, „du solltest in den Pub gehen und die Typen da fragen. Es scheint dir ja wichtig zu sein. Sonst könntest du es auch einfach vergessen."

Sie sah das also genau so wie er. Wenn es nicht absolut außergewöhnlich gewesen wäre, dann wäre es auch nicht passiert und er wäre jetzt nicht so ... auf der Suche.

„Ich kann mitkommen, wenn du magst", bot sie an.

„Danke, aber das möchte ich allein tun."



>>>Nur zur Info: das auf dem Bild ist Thomas Hampson, amerikanischer Bariton, geht voll ab:)

Wenn der herausfindet, was meine Fantasie mit ihm anstellt, dann fall' ich in Ohnmacht...

No lies, keine LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt