Prolog

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Die Sonne lugte wärmend durch die Wolken und trotzdem ließ ihn eine kühle Brise erschaudern. Er saß auf einem der Felsenbrocken an der steilen Küste und stierte gen Horizont, versunken in Gedanken und versuchte, zu verstehen, was in ihm vorging. Seine Gefühle waren seit Wochen eine einzige grausame Achterbahnfahrt und er fühlte sich verdammt seltsam. Obwohl, „seltsam" war wohl nicht die richtige Bezeichnung, stattdessen traf es desorientiertes Chaos eher.

Wie konnte das nur möglich sein? Er war ein starker Krieger, ein Bild von einem Mann, einst ein Drachenjäger. Naja, bis zu dem Tag, als ein schlanker, rotbrauner Wuschelkopf mit seiner blonden Gefährtin in seinem Revier auftauchte, auf Drachen reitend und ihn nach und nach davon überzeugend, welch tolle Kreaturen diese Reptilien eigentlich waren.

Der Hüne lächelte und tätschelte Schädelbrechers Flanke, der im Halbschlaf entspannt vor sich hinmurmelte.

Und hier war er also: Eret, Sohn von Eret, Drachenreiter- und Retter. Sein Drache war nun der, welcher einst Haudrauf gehörte, dem Oberhaupt von Berk, Vater seines mittlerweile besten Freundes. Haudrauf, der im Kampf gegen diesen Blutfaust-Bastard gefallen war.

Eret stützte sein tätowiertes Kinn auf seine Hände und seufzte. Sein bester Freund ... Haudraufs Erbe ... Hicks der Hüne III. Und der Grund, warum er gerade die Welt nicht mehr verstand.

Jedes Mal, wenn er an Hicks dachte, schien sein Herz schier aus seiner Brust springen zu wollen. Noch schlimmer war es, wenn er ihn um sich hatte.

Das schelmische Leuchten in seinen wunderschönen, smaragdgrünen Augen, die Wärme in seinem schiefen Lächeln, die Sommersprossen und dieses fast schon lächerlich sexy, verwuschelte, rotbraune Haar. Zu allem Überfluss dann noch sein riesengroßes Herz.

Eret seufzte erneut und murmelte: „Was in Helheim stellst du da bloß mit mir an, Hic?"

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Ein paar Wochen zuvor hatte Eret zum ersten Mal bemerkt, dass Hicks Gefühle in ihm erweckt hatte, die er nicht verstand - nicht verstehen wollte. Sie hatten zusammen im Wald trainiert, wie üblich eben. Ein paar Klimmzüge, Situps, leichtes Schwerttraining. Aber es war ein ungewöhnlich heißer Sommertag für die Archipelagos gewesen, und als die Hitze nach einer Weile unerträglich wurde, zog Eret seine Tunika aus, was Hicks ebenfalls tat.

Er schluckte hart bei dem bloßen Gedanken daran: wie die Schweißperlen über Hicks' schlanken Oberkörper liefen und sich eine verführerische, feuchte Spur auf seiner blassen Haut bildetet. Und auch, wenn Hicks kein Muskelprotz war, so hatte er mittlerweile von seinem Training mit Eret einen schönen, definierten Körper. Genau richtig, nicht zu viel, so, dass es zu seiner Gesamterscheinung passte.

Eret starrte ihn an und fühlte sich von einem auf den anderen Moment wie versteinert, bis lange, grazile Finger vor seinem Gesicht schnippten: „Eret, bist du da drin?"

Er wurde schlagartig knallrot und versuchte, diesen Umstand irgendwie zu verbergen, doch glücklicherweise bemerkte das Oberhaupt nicht, dass Eret ihn angestarrt hatte.

„Yup, nur die Hitze macht mich irre, lassen wir's besser gut sein für heute, Hic.", war die Antwort des Schwarzhaarigen. War ja auch nicht ganz gelogen.

Später an diesem Tag, alleine zurück in seiner Hütte, konnte Eret nicht mehr aufhören, an diesen Mann zu denken, der ihm bis dato so vertraut war. Und nun gingen ihm tausende Gedanken durch den Kopf, die mit reiner Freundschaft so gar nichts mehr am Hut hatten, Gefühle und Vorstellungen, die er sonst nur kannte, wenn es um heiße Frauen ging.

Er wusste bis heute nicht, was sich an diesem Tag für ihn veränderte. Hicks war derselbe wie immer. Auch war es nicht das erste Mal, dass Eret dessen nackten Oberkörper zu Gesicht bekam. Wenn sie im Sommer trainierten, kam es öfter mal vor, dass beide sich ihrer Tuniken entledigten, um ein bisschen Luft an die überhitze Haut zu lassen. Also was in Helheim ging hier vor sich? Zumal er ja schließlich immer auf Frauen gestanden hatte.

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Der Schrei eines tödlichen Nadders riss Eret schließlich aus seinem Gedankenstrudel und er stöhnte genervt auf, gleich realisierend, dass es sich um Sturmpfeil handelte. Er hatte jetzt echt keine Lust auf eine Unterhaltung mit der Frau seines besten Freundes ... zu peinlich berührt.

„Hey, Eret!", die blonde Wikingerin glitt aus dem Sattel, elegant wie eh und je.

Schädelbrecher hingegen öffnete seine Augen und hob seinen massigen Körper vom Boden auf, um seine Drachenfreundin zu begrüßen, während Astrid auf Eret zuging.

„Auf Patrouille?" Der Hüne vermied es, sich zu ihr umzudrehen, bloß keinen Blickkontakt.

„Grad fertig, war schon auf dem Rückweg ins Dorf und da hab dich hier alleine sitzen sehen. Du guckst aus der Wäsche wie ein leidendes Yak Kalb, dass seine Mutter verloren hat."

Eret winkte ab: „Quatsch, mir geht's gut."

„Klar! So siehst du auch aus! Und mach mir ja nichts vor, hörst du?! Du bist seit Wochen nicht du selbst, und ich mache mir Sorgen!"

Die Frau des Oberhauptes war offensichtlich nicht überzeugt und ließ sich auf einem Stein neben Eret nieder. Ehrlich gesagt wusste sie selbst nicht, wie sie darauf kam, wahrscheinlich weibliche Intuition oder so was. Er hatte sich die letzte Zeit so merkwürdig verhalten und sie war nun froh, ihn endlich mal unter vier Augen zu erwischen, um in Ruhe mit ihm reden zu können.

„Mir geht's wirklich gut, Astrid. Ich muss mir nur über ein paar Dinge klar werden ... Persönliche Dinge, weißt du."

„Jetzt erzähl mir nicht, Raff steht nicht mehr auf dich und du schiebst deshalb Liebeskummer!"

Eret konnte nicht anders, er prustete los: „So schlimm isses noch lange nicht!"

„Gut zu wissen", Astrid kicherte, wurde aber gleich wieder ernst, „aber bist du sicher, dass du nicht darüber reden willst? Vielleicht würdest du dich dann besser fühlen, oder es würde dir dabei helfen, dir über ... ein paar Dinge klar zu werden."

„Äh, ich denke, ich werde damit alleine fertig, aber trotzdem danke, Süße." Der große Mann, mit dem zum Zopf gebundenen, schwarzen Haar heftete seinen Blick wieder auf den Horizont und sah zu, wie der Ozean die Sonnenstrahlen reflektierte.

Die Kriegerin zu seiner Linken zuckte schließlich die Schultern: „Wie du meinst, aber vielleicht solltest du dich wenigstens Hicks anvertrauen. Der macht sich auch Gedanken."

Die Röte stieg Eret wieder ins Gesicht und er versuchte, so beiläufig wie möglich zu antworten: „Das mach ich wahrscheinlich auch."

Ha! Von wegen! Er würde bestimmt nicht mit Hicks reden! BESTIMMT NICHT!

Mit einem Lächeln auf den Lippen boxte ihm Astrid kameradschaftlich gegen den massigen Bizeps: „Okay, dann lass ich dich jetzt mal in Frieden. Außerdem ist meine To do Liste immer noch ziemlich lang. Aber, wenn du doch reden willst, ich bin immer für dich da. Bis später."

„Machs gut, Astrid, und danke.", Eret winkte ihr nach, als sie auf Sturmpfeil davon flog.

Mit Hicks reden. Klasse Idee, das wäre hundert pro eine tolle Unterhaltung, so á la: „Hey Kumpel, wie geht's? Du, ich hab 'en großes Problem! Also, der Grund, warum ich mich die letzten Wochen so merkwürdig benehme, ist, ich hab mich unsterblich in dich verliebt und träume davon, dir das Hirn rauszuvögeln."

Er zog eine Grimasse und wendete sich dann seinem Rumpelhorn zu: „Wir haben auch noch einiges auf unserer Agenda heute, oder? Na los, mein Freund."

Schädelbrecher stupste ihn liebevoll mit der Schnauze und Eret kletterte in den Sattel. Vielleicht würden seine Pflichten ihn ein wenig von seinen Gefühlen ablenken, die er neuerdings für diesen verdammt attraktiven Wuschelkopf hatte ...

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