Mein Lieblingsstift

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Mein Vater ist Arzt. Das heißt, er läuft dauernd in einem weißen Mantel rum, schreibt mit ernstem Gesicht wichtige Dinge auf sein Klemmbrett und hat wenig Zeit für mich.

„Makani, meine Arbeit ist sehr wichtig. Es gibt Menschen, denen es nicht so gut geht wie dir.", hat er mir jedes Mal aufs Neue erklärt, wenn ich ihn gefragt habe, warum er keine Zeit hat mit mir zu spielen. „Und Ärzte wie ich können ihnen helfen. Damit sie bei ihren Familien bleiben können."

Können sie nicht bei ihren Familien bleiben, wenn Papa ihnen nicht hilft? Warum? Gehen sie weg, wenn sie Krebs haben?

Mein Vater ist auf Krebs spezialisiert. Krebs ist etwas Schlechtes, was sehr weh tut, und wenn man Krebs hat, muss man unbedingt ins Krankenhaus, hat Papa gesagt.„Was genau ist Krebs?", habe ich ihn mal gefragt. „Wie das Tier Krebs? Sind Krebse böse?" Da hat mein Papa sehr ernst geguckt und versucht es mir zu erklären. „Nicht wie die Tiere, Makani. Krebs ist, wenn du etwas Schlechtes in deinem Körper hast. Es ist so klein, dass du es nicht sehen kannst und wenn du es nicht im Krankenhaus bekämpfen lässt, breitet es sich aus. Im schlimmsten Fall ist es nicht mehr aufzuhalten und der Patient muss gehen."„Wohin muss er gehen?"„An einen Ort wohin ihn seine Familie nicht begleiten kann."Das klang sehr traurig, alleine wohin gehen zu müssen wo man sich nicht auskennt.

Doch eines Tages kam mir eine tolle Idee. Zumindest eine bessere als wieder den ganzen Tag mit der blöden Nanny und ihrem gruseligen Hund verbringen zu müssen. Der Hund hat nur noch ein Auge und die Nanny kann nicht kochen.„Papa, nimm mich mit!" „Nein Makani, ich möchte nicht dass du da hingehst."Mein Vater hatte mir gar nicht richtig zugehört, aber dabei würde ich es nicht lassen. „Wenn du mich nicht mitnimmst, suche ich selbst nach deinem blöden Krankenhaus!", rief ich ihm schmollend hinterher. Das wirkte. Papa weiß, dass ich nicht bluffe. „Das wär mal wieder ne typische Aktion von dir.", seufzt er und scheint aus irgendeinem Grund nicht besonders glücklich. „Na gut, ich nehme dich mit, aber in die Patientenzimmer darfst du mich nicht begleiten, okay?"„Okay." Langsam schob ich meine Hand in die von Papa und strahlte unschuldig zu ihm hoch.

Das Ganze endete damit, dass ich im Krankenhaushof auf einer Bank saß und bunte Schmetterlinge in mein Zeichenbuch malte. Immer noch besser als mir die Urlaubsgeschichten der Nanny anzuhören. Außerdem sah ich manchmal Papa an mir vorbeilaufen. Er lächelte mir jedes Mal zu.

„Was machst du da?" Erschrocken ließ ich meinen Buntstift fallen. Meinen Lieblingsstift. Der Junge, der vor mir stand, bückte sich und hob ihn auf. Dann hielt er ihn mir mit einem freundlichen Lächeln hin. Vorsichtig nahm ich ihn an. Der Junge schaute erleichtert, dass ich ihm nicht böse bin. Er trug ein komisches weißes Hemd mit grünen Punkten darauf. Die Hose sah genau so aus. Ich glaube, ich habe schon mehrere Leute in diesen Klamotten gesehen. Vielleicht eine Art Uniform?

Der Junge machte mich neugierig und so klemmte ich meinen Block unter meinen Arm, stand auf und reichte ihm die Hand. Er war ein bisschen kleiner als ich.

„Ich heiße Makani. Wie der Wind."

Der Junge lächelte und nahm meine Hand.

„Wie heißt du?"

„Shou. Das bedeutet Fliegen."

Ich weiß nur, dass Leben anders istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt