Kapitel 1 - Der Geschworene

95 11 9
                                    

Das matte Licht der Straßenlaternen blendete mir entgegen, als ich den von Kopfsteinpflastern gezierten Weg in Richtung Bahnhof nahm. Noch war es dunkel, ebenso frostig, doch innerhalb der nächste zwei Stunden würde dieser Stadtteil Londons in den güldenen Strahlen der Sonne baden. Schon nun war meine Vorfreude auf das Jahr vergraben unter der Anwesenheit einer einzigen Person - er würde dort sein. Derjenige, den ich aus tiefstem Herzen verabscheute. Anstelle mir jedoch Gedanken über ihn zu machen, vermisste ich jemanden ganz anderen, von dem ich mir eher gewünscht hatte, dass er den Qualen Askabans entfliehen konnte. Jahr um Jahr verstrich ohne ihn, mit jedem folgenden wurde die Sehnsucht schlimmer. Damals war es kein Geheimnis gewesen, dass mein Cousin Lysandre Black und ich eine Hassliebe zueinander teilten. Nicht selten hatten wir uns Beleidigungen an den Kopf geworfen, doch auf der anderen Hand konnte ich mich genauso an die schönen Dinge mit ihm erinnern, auch wenn ich das niemals zugeben würde, geschweige denn vor meiner Familie. Ja, meine Familien war genauso abstrakt wie die Beziehung zwischen Lysandre und mir. Wenn es um Ansehen ging, war ich der Vorzeigesohn. Ich war einwandfrei erzogen, hatte Benehmen, Esprit und Prestige, einen nahezu fehlerfreien und reinblütigen Stammbaum, war mit zwölf Jahren ein gezeichneter Todesser geworden, vollbrachte meine ersten Muggel- und Schlammblutmorde mit fünfzehn. Während die letzteren Dinge unter Verschluss blieben, wurde mir in den Sommerferien eine weitere Last auferlegt: Der unbrechbare Schwur. Dieser führte zu jenem ungebändigten Hass auf ihn, Alain Porter. Von Beginn an war ich unzufrieden mit der Idee eines Aufpassers, immerhin hatte ich bereits mehrfach bewiesen, dass ich auf mich selbst aufpassen konnte, doch was an diesem Tag geschehen war - und dessen reiner Ursprung die Ablenkung war -, hatte all meine Zweifel auf ein neues Podium gehoben. Durch diese geringfügige Unachtsamkeit seitens Porter hatte sich das Band in die falsche Richtung gewandt. Die Geschworenen waren verwechselt.

Mit missmutiger Miene betrat ich den King's Cross-Bahnhof, die Ärmel meines Hemds hochkrempelnd und einen Blick auf meinen linken Unterarm werfend. An der Stelle, wo das Dunkle Mal sein sollte, glitten lediglich feine Narben über meine Haut, die sich über die ganze Armspanne zogen. Ohne weiteres Zögern folgte ich den Gleisen in Richtung der Wand zwischen Gleis 9 und 10. "Na dann, auf ein neues Jahr...", murmelte ich kaum hörbar vor mich hin, bevor ich durch die Backsteine lief und mich wenige Meter vor der schwarzen Dampflokomotive wiederfand. Um mich herum war eine Vielzahl von Kindern zu sehen, die sich von ihren Eltern verabschiedeten, sich umarmten, untereinander begrüßten, oder bereits in den Zug stiegen. Fast schon monoton sah ich mich nach einer ganz bestimmten Person um - Luna. Luna Lancester war ein Halbblut - tatsächlich hatte ich mich mit ihr abgegeben - ging in die fünfte Klasse und war ebenso nach Slytherin eingeteilt worden. Wenige Minuten des Suchens vergingen, dann betrat ich kopfschüttelnd den Hogwarts Express und folgte den langen Gängen der Wagons. Anstelle eines intensiven Nachsehens streiften meine Augen die einzelnen Abteile kaum, bis ich die Tür zu einem leeren öffnete und mich am Fensterplatz niederließ, meine Tasche auf den gegenüberliegenden Sitz werfend und die Arme vor der in ein weißes Hemd gekleideten Brust verschränkend. Der Blick aus dem Fenster zeigte erneut das Anfangsszenario, als ich den Bahnsteig betreten hatte: Eltern, Kinder und eine Vielzahl von Koffern, über die nicht selten jemand stolperte. Ein theatralisches Seufzen verließ meine Kehle, bevor ich die Augen schloss und den Kopf an die Wand lehnte. Vielleicht fand ich nun den fehlenden Schlaf der vergangenen Nächte...

Man hätte sich keine schönere Art des Aufwachens erdenken können - ein ruckartiges Halten des Zuges. Mitten im nirgendwo. Oh, wie sehr ich es doch hasste...
Müde blinzelte ich einige Male, hob den Kopf und wurde zu aller erst von einem unangenehmen Gefühl in der überdehnten Halsbeuge begrüßt. Dann sah ich etwas demotiviert zu meiner Seite, wo ich eine Silhouette ausmachte. Luna. Mit Umhang. Und halb auf meinem Schoß. Allein diese Situation verleitete mich zu einem Dauerkopfschütteln, welches allerdings nur wenige Sekunden andauerte, ehe ich Lunes musterte. Das braune, lange Haar lag in ihrem Gesicht, umrahmte dieses, betonte die tiefbraune Farbe ihrer Augen und den Teint ihrer Haut. Allein ihr Erscheinungsbild zog mich etwas herunter, weshalb ich mich still wieder der Dunkelheit hingab, immerhin lag noch die Hälfte der Fahrt vor uns.

Es war ein ganz tragischer Fehler gewesen, zu schlafen. Vollends zermürbt schlurfte ich hinter Luna her, die augenverdrehend zu mir nach hinten sah, ein Lächeln zeichnete ihr Gesicht. Noch im Halbschlaf ließ ich mich auf die Bank des Slytherin-Tisches fallen, darauf bedacht, nicht den Kopf auf das dunkle Holz zu hauen. Dumbledore hatte sich noch nicht erhoben, eine Bestätigung dafür, dass wir nicht zu spät waren. Wie auch? Immerhin waren wir mit die ersten gewesen, die die Kutsche genommen hatten. Mein Blick wanderte in Richtung des Lehrertisches, wo ich ihn ausmachen konnte. Bastard. Seine Augen waren zu Boden gerichtet, sein Ausdruck mehr als überfordert. Leide, Porter. Leide, wie ein in Flammen stehender Straßenköter. Geh' elendig an alledem zu Grunde und erhebe dich nie wieder. Gerade als ich mich abwandte, erklangen die Worte des bärtigen Schulleiters und die Erstklässler wurden hereingeholt. Es war kaum mehr als eine Handvoll Schüler, von denen ich eine besonders fixierte. Narcissa, meine jüngste Schwester, reihte sich hinter einem blonden Mädchen, dessen Blick unsicher umher schweifte. Ich spürte ein kurzes Pieksen an meinem Oberschenkel, weshalb ich mit hochgezogener Augenbraue zu Luna sah, die wiederum verwirrt zu Porter hochstarrte. "Ich kenn' den Typen!", ihre Stimme war gesenkt, allerdings auf eine gewisse Weise drängend, weshalb ich kurz seufzte. "Wow, Glückwunsch?", das dazugehörigen 'Ich auch' schenkte ich mir, immerhin musste sie nicht alles wissen. "Narcissa Black.", Professor McGonagall riss mich aus den düsteren Gedanken und ließ mich stattdessen nach vorne sehen, wo sich Cissi auf den Stuhl fallen ließ, den Sprechenden Hut auf den Kopf gesetzt bekommend. "Slytherin!", die Euphorie in dessen Unterton war erneut zu hören, wie bei jedem der Häuser. Auf meine Lippen legte sich ein mattes Lächeln, während sich das aschblonde Mädchen glücklich zu den anderen neuen Slytherins setzte, meinen zufriedenen Blick bemerkend und ihn erwidernd.
Die Häusereinteilung ging noch eine Weile weiter, in der ich die Zeit nutzte und etwas mit Luna über die vergangenen Ferien sprach, das Knurren meines Magens weitestgehend ignorierend. "Na, Hunger?", grinste sie mich an, worauf ich kurz die bleichgrauen Augen verdrehte. "Dezent."
"Nun, nachdem wir die neuen Schüler der Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberei begrüßen durften, lasst uns auch einen Blick auf den Zuwachs der Tutoren werfen. Ihr ab sofortiger Lehrer in Verteidigung gegen die dunklen Künste: Professor Alain Porter!" Begeistertes Klatschen, Getuschel, Vorfreude. Nahezu angewidert wandte ich den Blick ab. "Und nun, lasset das Festmahl beginnen!"

Lächel' doch einmal, Black.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt