Kapitel 2: Crashed Down ♫

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KAPITEL 2: CRASHED DOWN

Jonathan Benson öffnete das Gartentor mit einem knarrenden Geräusch.

Den ganzen gestrigen Tag hatte er mit Marc gemeinsam verbracht und sein Freund hatte natürlich keine Gelegenheit ausgelassen, ihn auszufragen. Nur zögerlich und oberflächlich, wie er eben war, hatte Jonathan ihm von der ersten Unterrichtsstunde im Krankenhaus berichtet. Leider konnte Marc an seinen Lippen ablesen, ob er die Wahrheit sagte oder bloß so rasch wie möglich aus einer Situation flüchten wollte. Sein bester Freund, der seit Jahren an seiner Seite wanderte, bemerkte, dass etwas in ihm rumorte, das er um jeden Preis verbergen wollte. Er wusste selbst nicht, wieso er hier und jetzt den Weg von dem in die Jahre gekommenen Gartentor bis hin zu dem hübschen Haus durch den Schnee watete. Wahrscheinlich, weil Lenia Barrett die einzige Person war, die ihm irgendwie, auf eine obskure Weise, gesagt hatte, dass sie an seine Musik glaubte. Ein Schauer lief über seinen Rücken.

Jonathan Benson schüttelte den kalten Schnee von seiner Kapuze und drückte sein Kinn enger in den warmen Schal, der von der Feuchtigkeit klamm und schwer geworden war.

Träume waren etwas für Menschen, die noch Wünsche, Hoffnungen und Glück verspürten. Für Menschen, die etwas in sich besaßen, das nach außen strahlen konnte. Träume waren nichts für Jonathan.

Seine Realität bestand nicht aus einem geborgenen Haus, das auf Träumen gebaut war. Die Säulen, die sein Haus stützten, bestanden aus Enttäuschung, Versagen, Resignation, Frust, Wut, Verzweiflung und einem inneren Hass auf sich selbst. Säulen, die heruntergekommen waren, verstaubt und die jeden neuen Tag weiter bröckelten.

Die Träumer konnten ihr Haus auf den Schultern tragen, wenn es einmal auf sie herabstürzte, und aus den Trümmern ein neues Haus errichten, das noch stabiler war als das alte.

Wenn sein Haus auf ihn herabstürzte, würde er zur Seite treten, um zuzuschauen, wie es in sich zusammenkrachte, sich auf einen der Trümmer setzen und Säulen bauen, die noch kleiner und noch wackeliger standen als die zuvor. Sein Haus fand nie einen festen Halt. Niemals.

Links von ihm knirschte eine rostige Hollywoodschaukel unter den Schneemassen. Er sog Sauerstoff zwischen seinen Zähnen ein, bis seine Wangenknochen spitz hervortraten, und tat einen langen Schritt, um die drei schmalen Stufen hoch zum Eingang zu überbrücken. Unter dem Vordach, das die kleine Plattform überdachte, hing ein graues Schild, auf dem in verschnörkelten schwarzen Buchstaben die Botschaft »Welcome« zu lesen war. Er fühlte sich unwohl, wenn er an seine erste Begegnung mit Lenia zurückdachte. Das sterile Zimmer, das eindringlich nach Krankenhaus roch, die unangenehm knisternde Stimmung. Seine noch unangenehmere Aufgabe, die ihn kalt lassen sollte.

Er zog sich die Handschuhe von seinen langen Fingern und zwang sich ruhig zu atmen. Dreimal streckte er entschlossen seinen Daumen in Richtung der Klingel, nur um ihn jedes Mal wieder ruckartig zurückzuziehen, bevor seine Haut den Knopf berühren und verbrennen konnte.

»Komm schon, Jonathan«, mahnte er sich und trippelte auf und ab. »Reiß dich zusammen.« Er machte eine Faust und knackte jeden einzelnen seiner Knöchel einmal. Dann warf er einen wehmütigen Blick zurück zum Gartentor und nach links und rechts. Die Gardinen hinter den breiten Fenstern blieben unberührt. Für den Weg zum Tor zurück würde er nicht länger als zwanzig Sekunden brauchen. Er würde wieder in dem dichten Schneegestöber verschwinden und mit seinem Schatten eins werden, bevor ihn jemand bemerkte.

Seine Augen liebäugelten mit der Klingel. Jonathan Benson schüttelte seinen Kopf, schulterte seinen Gitarrenkoffer und machte kehrt. Getrieben schnell bahnte er sich seinen Rückweg durch den Garten.

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