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Im Bus stiegen mir dann doch immer wieder Tränen in die Augen, aber ich bemühte mich sie wegzublinzeln und ans wesentliche zu denken. Was mache ich jetzt?


Auf Zoey konnte ich nicht zählen und mein Instinkt lud mir Theo auch erstmal rauszuhalten, aber wem könnte ich es denn sonst anvertrauen? Langsam aber sicher wurde mir klar, dass ich wohl oder übel alleine war.


Ich hörte weder Musik oder spielte auf meinem Handy, ich saß einfach da und fuhr nach Hause.


Als ich die Tür öffnete wartete zu meiner Überraschung meine Ma auf mich.


»Wo bist du gewesen? Ich hab mir Sorgen gemacht, als ich nach dir gucken war und du nicht mehr in deinem Zimmer geschlafen hast.«


»Es tut mir leid. Ich war bei Zoey, weil ich mich entschuldigen wollte.«


Sie zog mich an sich und murmelte in meine Haare


»Tu das nie wieder! Ich bin froh, dass es dir gut geht.«


»Versprochen«


Ich hätte ihr gerne gesagt, dass es mir nicht so gut geht, aber wenn sie nachfragen würde warum, hätte ich ihr das alles verschweigen müssen und wusste nicht, ob ich das könnte. Also lächelte ich sie noch einmal an und ging an ihr vorbei in mein Zimmer.


Mein Blick viel als erstes auf das Foto, dass immer noch auf meinem Bett lag. Ich konnte nicht mehr. Alles kam wieder hoch. Die verdrängte Trauer über Lia, die Wut auf Zoey, die Wut über mich und meine Hilflosigkeit und ich brach abermals in Tränen aus. Ich nahm das Bild und wollte es zerreißen, aber tat es nicht. Einerseits weil es mein einziger Hinweis war und Andererseits, weil es nichts bringen würde. Anstatt schaute ich es an, bis ich nur noch verschwommen sehen konnte und meine Tränen drauf tropfen. Ich wischte mir über die Augen um wieder sehen zu können und erschrak.


Die Tropfen auf dem Bild waren aus Blut.


Ich strich sie weg und schaute panisch aufs Bild. Mich überkam ein Déjà-vu Gefühl und schrie innerlich, bis ich eine rote Träne auf der 10 jährigen Zoey entdeckte.


Nein das durfte nicht wahr sein. Ich nahm mein Handy und rief sie an, aber niemand nahm ab. Ich wählte die Nummer von ihr Zuhause mit der kleinen Hoffnung, dass sie nur nicht ran gegangen ist wegen dem Vorfall grade eben, aber es ging ebenfalls niemand dran.


Ich rann nach unten zu meiner Ma und flehte sie an Mich zu Zoey zu fahren. Sie war ein wenig verwundert, aber zögerte nicht und fuhr mich hin. Und fragte mich dann im Auto


»Was ist den los? Ist was schlimmes passiert?«


»Ich kann sie nicht erreichen und hab so ein komisches Gefühl.«


»Woher?«


»Nachdem was mit Lia passiert ist... ach ich weiß auch nicht.«


Log ich aber ich konnte ihr schlecht sagen, dass mir ein Bild ihren Tod prophezeit hat und das genau das Selbe auch vor dem Tod von Lia passiert ist.


»Schatz, ich mache mir sorgen um dich! Du sagst zwar dir geht es gut und ich wollte dir Freiraum lassen, aber eine Freundin von dir ist verstorben und du siehst aus, als hättest du oft geweint und du bist ganz aufgelöst. Ich weiß nicht was ich machen soll, wenn du nicht mit mir kommunizierst.«


»Bitte mir geht es gut. Ich hab nur... Ich mache mir Sorgen. Wir hatten uns eben naja nicht gestritten aber... ich will nur einfach nicht im Streit auseinander gehen und sie geht nicht ran.«


Es stimmte sogar. Ich würde es mir nie verzeihen wenn wir so auseinander gingen.


»ok. Ich verstehe. Aber ich bin immer für dich da, falls du mal reden möchtest. Jetzt rechts?«


»Ja«


Sie fuhr um die Ecke und wir waren da.


Ich wartete nicht bis wir standen, sondern schnallte mich direkt ab und sprintete sofort zur Tür, als sie dann hielt. Sie stand leicht offen, was mich zugleich beunruhigte und erleichterte, weil ich keinen Gedanken daran verschwendet hatte, wie ich überhaupt ins Haus kommen sollte. Ich stieß die Tür weiter auf, ging hinein, stürmte hoch in Zoeys Zimmer, schlug ihre Zimmertür auf und da saß sie. An ihrem Schreibtisch und schrieb irgendwas. Ich war erschrocken und erleichtert zu gleich. Mir war alles egal, worüber ich mich aufgeregt hatte.


»Ich bin so froh, dass es dir gut geht!«


Aber sie reagierte nicht. War sie noch sauer auf mich? Ich lief zu ihr hin und wollte sie fragen, was eigentlich ihr Problem ist. Da hörte sie auf zu schreiben und wandte sich auf ihrem Drehstuhl um. Sie hatte einen ausdruckslosen Gesichtsausdruck und starrte mich aus ihren glasig aussehenden Augen an. Ich beobachtete wie sie sich mit Tränen füllten und diese über ihre Wangen liefen. Ich wollte was sagen, aber wusste nicht was oder wie. Es war als hätte ich nie gelernt zu sprechen. Also schaute ich sie einfach nur an und wünschte, dass sie etwas sagt oder auch nur einen Funken Ausdruck in ihrem Gesicht erscheint.


Nach 2 Minuten 46 Sekunden gab ich auf, drehte mich um und lief auf die noch offen stehende Tür zu. Das war wohl wirklich das Ende unserer Freundschaft. Dieses Mal empfand ich keine Wut oder Zorn. Ich fühlte eine Leere in mir und wusste nicht ob ich diese jemals wieder füllen konnte. Ich drehte mich noch ein letztes Mal zu Zoey um.


Aus ihren Augen- und Mundwinkel lief Blut und ihre Augen hatten sich milchig verfärbt.


Ich schrie auf und lief zu ihr hin. 4 Sekunden später stand meine Mutter in der Tür. In der Zeit hatte ich sie in meine Arme geschlossen und versuchte alles um sie am Leben zu erhalten. Sie war eiskalt und ich fühlte weder ihren puls, noch hörte ich sie atmen. Meine Tränen Tropfen auf ihr Gesicht und wuschen ein wenig ihre Blut verschmierten Wangen.


»Hallo? Einen Krankenwagen schnell! Everbeenterenz 42...«


Die Worte meiner Mutter hörten sich dumpf und weit weg an, so wie auch die Sirenen, als der Krankenwagen endlich nach Ewigkeiten an kam. Ein Mann und eine Frau liefen herein und rissen mir Zoey aus den Armen. Ich schrie abermals und brach schließlich zusammen. Die Leere hatte sich gefüllt mit Schmerz und Schuldgefühlen. Ich hätte schneller sein sollen, sein müssen. Mich besser vorbereiten. Tief in meinem Inneren wusste ich, nach Lias Tod, dass es noch nicht vorbei war. Ich hatte beide verloren.


Auf einmal hörten meine Augen auf zu weinen und meine Atmung ging wieder kontrolliert und regelmäßig. Unterbewusst ballte ich meine Hände zu Fäusten und mein Körper spannte sich an, so als ob er sich für einen Kamp bereit machte. Ihre Tode durften nicht umsonst gewesen sein. Ich setzte mich auf und merkte, wie auch mein allerletzter Muskel bereit war. Bereit war, mich für Zoey und Lia zu rechen.



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