04 Im Gläsernen Palast

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04 ::: IM GLÄSERNEN PALAST


Sie hatte sich einfach wortlos umgedreht und war gegangen. Jedes Wort an diesen Mistkerl war verschwendete Kraft; es gab wichtigere Dinge zu tun.

Der Sturm vor ihr hatte sich zu einer undurchdringlichen Wand verdichtet. Mit klammen Fingern raffte sie ihren Umhang um ihren Körper und stapfte durch die aufgetürmten weißen Massen.

Zahr verraten. Bei diesem Gedanken schnaubte Skye aufgebracht. Nur über meine Leiche. Es musste einen Weg geben diese Verschwörung zu stoppen, ohne ihn zu gefährden. Vielleicht sogar, ohne ihn mit diesem Unsinn zu behelligen.

Sehnsüchtig dachte sie daran, dass sie einfach durch die Luft und in Zahrs Gemächer fliegen könnte - doch sie konnte nicht. Der Schnee flog an ihr vorbei. Das vermaledeite Silber, dieses ärgerliche Edelmetall, das jede Kraft aus ihr herausgezogen hatte. So musste sie durch das Haupttor in den Palast zurückkehren.

Nicht sehr würdevoll, dachte sie enttäuscht und trat in den Schatten des Tores. Das grüne Leuchten ihrer Haare erlosch. Die Wachen verharrten regungslos, zeigten mit keiner Faser ihres Körpers, dass sie ihre Anwesenheit bemerkt hatten, bis einer der Männer zu sprechen begann.

»Königliche Hoheit.« Er nickte ihr zu, als sie ihn passierte. Sein Gesicht war durch einen metallenen Helm verdeckt, der vom besten Schmied des Palastes in der Form eines Bären angefertigt worden war. In den Augen des silbernen Tieres blitzten scharfe Rubine.

»Ihr habt mich nicht gesehen«, erwiderte Skye scharf und warf ihm einen Blick über die Schulter zu. Sein Mund zuckte leicht.

»Wie Ihr wünscht, Königliche Hoheit.«

Skye biss die Zähne zusammen und ignorierte diese unsägliche Dummheit. Nicht einen einfachen Befehl verstanden sie. Mit großen Schritten ging sie durch den Tunnelbogen und bog rechts in einen Gang ab. Fackeln leuchteten an den Wänden und loderten auf, als sie die Tür öffnete. Wenn man erst einmal innerhalb der Palastmauern war, so konnte man sich, wenn man wusste wie, ungesehen im Gebäude bewegen. Die Kälte hinter sich lassend folgte sie dem schmalen Flur, mit glatten Wänden aus spiegelnder Oberfläche, stieg Treppen hinauf und an anderer Stelle wieder hinab, bis sie vor einer weiteren Tür stand. Ohne darüber nachzudenken, glitten ihre Finger über das kühle Holz der Tür, ehe sie die Klinke fanden und herunterdrückten.

Vor ihr ergoss sich ein Raum aus Silber und Laken so rot wie Blut. Zahr hatte die besten Alchemisten des Landes an den Hof bringen lassen, damit diese eine Möglichkeit fanden, das Grün des Wasser, das durch den Lichtersee floss, in einer anderen Farbe zum Leuchten zu bringen. Doch sie hatten Bedenken geäußert, dass der König die Schöpfung nicht ehre. Und dennoch leuchteten nun die Wände der königlichen Gemächer in einem Rot, das so satt und rein war, dass die Augen zu schmerzen begannen, wenn man es zu lange ansah.

Die Vorhänge, die wie seidene Wasserfälle von den Decken hingen, standen offen und offenbarten Fenster, hinter denen der Lichtersee in den Himmel strahlte. Eines von ihnen war offen, und einzelne Flocken verirrten sich in den Raum und schmolzen, noch ehe sie den Boden berühren konnten. Das Fenster, das immer für Skye offen stand und durch das sie auch jetzt hätte kommen sollen.

Das Bild eines Mannes im Sturm schoss Skye durch den Kopf; sie konnte sein hämisches Lächeln sehen.

Nicht mit mir.

Als sie den Raum durchquerte, warf sie einen vorsichtigen Blick zum Bett und sah Zahrs Silhouette in dem Berg aus Kissen und Decken. Er lag auf dem Bauch, einen Arm von sich gestreckt, der andere diente als Stütze für seinen Kopf, der zur Wand gedreht war. Nur eine leichte, aber konstante Bewegung seiner Schultern verriet, dass er schlief.

Schneeflüstern [Leseprobe]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt