Kunst

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Ein Greis und ein kleines Mädchen stehen vor einem alten Gemälde.

Und betrachten es stumm.

Um sie herum herrscht das ruhige Treiben

des verrumpelten Flohmarktes einer Kleinstadt.

Es weht ein kalter Wind und die Sonne ist vor kurzem untergegangen.

Ein paar Schneeflocken wehen dem Alten ins Gesicht,

und er zieht seinen Schal enger.


Auf dem Bild sind drei junge Männer zu sehen,

die, mit dem Rücken zum Betrachter, nebeneinander auf einer Bank sitzen,

umgeben von Sträuchern und Gras.

War da nicht gerade eine Stimme? Oder jetzt – das Lachen eines Kindes?

Die drei Personen auf dem Bild blicken auf einen breiten Fluss,

an dessen Ufer sich die Bank befindet.

Längs fließt er an ihnen vorüber, quer durch das Bild hindurch.

Alle drei haben T-Shirts und kurze Hosen an, einer trägt eine schwarze Schildmütze.

Ihre Bilder spiegeln sich im Licht der untergehenden Sonne

auf der fast stillen Wasseroberfläche.

Es liegt eine greifbare Abendstimmung in der Luft.

Nicht irgendeines Abends.

Sondern eines dieser Sommerabende, an denen man das Gefühl hat,

dass jeder auf irgendeine Art und Weise angekommen ist.

Und an denen sich die Zeit langsam und kostbar anfühlt,

wie ein golderner, zähflüssiger Honig, der aus einem Glas tropft.

Auf der anderen Uferseite schweben am Horizont ein paar rosa-farbene Wolken,

vor denen sich eine Häuserfassade abzeichnet.

Das Ufer auf der anderen Seite ist sehr breit und voller Menschen.

Alle schauen sie einem entgegen, aus dem Bild heraus.

Ein Mensch liegt da und hat seine Kopf auf dem Schoß eines anderen.

Zwei Kinder spielen Ball. Manche baden.

Doch sie sind zu weit weg, als dass sich ihre Gesichter erkennen lassen würden.

Ob es wohl fröhliche Gesichter wären, fragt das kleine Mädchen den Greis.

Doch der Alte ist mit seinen Gedanken woanders.

Beide schauen sie auf das Bild.

Alles scheint erstarrt. Sogar die Vögel auf dem Wasser.

Nur ein kleines Ruderboot scheint sich langsam den Fluss hinauf zu bewegen.

Von irgendwoher klingt eine leiße, beruhigende Jazz-Musik.

Eine Remix-Version, wie sie wohl vor 60 Jahren aktuell gewesen sein musste.


„Kann ich ihnen behilflich sein?"

Der Verkäufer des kleinen Standes schlendert herbei

und gesellt sich zu den Zweien.

„Es ist ein sehr schönes Bild", meint er.

Der alte Mann zückt seinen Geldbeutel.

„Ich will es gerne kaufen!"

Doch der Verkäufer winkt mit einer Geste ab.

„Nein, lassen sie mal! Es gehört ihnen.

Ich werde meinen Stand sowieso abbauen und weiterziehen.

Der Winter steht vor der Tür."



Zwei Schwestern stehen vor einem alten Gemälde und betrachten es.

Wie es neben dem großen Kamin der kleinen Berghütte hängt und vom Licht des Feuers angeflackert wird, während sich im Fenster dahinter die glühende Silhouette der Alpen aus dem Abendhimmel schält. Auf dem Bild sind ein kleines Mädchen und ein sehr alter Mann zu sehen.

Sie schlendern nebeneinander über einen spärlich besuchten Flohmarkt.

Die meisten Leute haben ihre Gesichter abgewandt.

Es muss sehr kalt sein, so wie sie angezogen sind.

Der Greis trägt etwas unter seinem Arm.

Alles ist wie erstarrt.

Nur ein paar Schneeflocken schweben durchs Bild.

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