Der Weg zur Hütte war mir länger als erwartet vorgekommen und immer wieder hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Die Jungen gingen mir einfach nicht aus dem Kopf, immer wieder musste ich daran denken, wie bekannt mir beide vorkamen und wunderte mich ununterbrochen, wie Danny so schnell aufholen konnte, auch wenn er kein Talent für Geschwindigkeit hatte.
Ich schob den Riegel mit einem flachen Stein auf und drückte die ächzende Tür vorsichtig auf, um durch einen kleinen Schlitz hindurch zu schlüpfen und sie dann wieder zu schließen und den Riegel wieder vorzuschieben. Müde ließ ich mich auf das armselige Pritschenbett fallen und schloss kurz die Augen. Fahles Mondlicht strömte durch die Ritzen im Dach und den Wänden und ließ mich durchatmen.
Als ich die Augen wieder öffnete, fühlte ich mich so, als wäre ich in einer anderen Welt. Die Holzplanken schimmerten in einem tiefblau und alles andere schien zu leuchten. Ich richtete mich langsam auf und sah zu einem kleinen Regal, auf dem diverse Dinge lagerten. Ein Bild mit einer bildschönen Frau und einem kleinen Mädchen, eine kleine Dose, in der sonst mein Siegelring lag, sowie ein Einmach-Glas mit Kleingeld.
Ich zog die gestohlenen Sachen aus meiner Tasche und ließ sie einen nach dem anderen in das Regal purzeln. Nur die Schatulle mit dem mysteriösen Objekt ließ ich in meinen Händen. Ich stopfte die Stichstahl-Handschuhe wieder in die Manteltasche und widmete mich der Kiste.
Vorsichtig und mit klopfendem Herzen öffnete ich das kleine, dunkle Ding und starrte wie versteinert hinein. Eine Kette mit einem Sichelmond, wie der auf meinem Schwert und Ring, glitzerte im Mondlicht und schien es aufsaugen zu wollen. Ich berührte das silberne Schmuckstück vorsichtig mit dem Daumen, nur um mich zu vergewissern, dass es echt ist und sah es an.
Dann sah ich zum Regal auf das Bild. Zitternd fingerte ich es heraus und legte die Schatulle daneben. Die Frau auf dem Bild trug exakt diese Kette. Meiner Mutter gehörte diese Kette. Schwer atmend fühlte ich die Erinnerungen auf mich zu rollen und zum ersten Mal seit Monaten ließ ich es zu, dass sie mir die Sicht nahmen und mich entführten.
Die Sonne strahlte hell auf die Pflastersteine des Midways und Mom lächelte mich an. Das eiskalte Vanille-Eis schmolz auf meiner Zunge und hinterließ den Geschmack, den ich so liebte. Wir trotteten an den verschiedensten Ständen vorbei, blieben ab und zu stehen und sahen uns die bunten Sachen an. Von Zuckerwatte bis hin zu Ohrringen und Ketten konnte man beinahe alles kaufen. Ich war so beschäftigt damit, mein Eis zu essen und die Stände zu beobachten, dass ich gar nicht mitbekam, wie sich der Griff meiner Mutter verkrampfte.
Immer wieder sah sie sich um und ihre strahlenden, grünen Augen huschten ununterbrochen hin und her, auf der Suche nach der Sache, die sie so unruhig machte. Ich hingegen merkte gar nichts, ich leckte munter weiter. Auch als meine Mutter mit abrupt wegzog, sah ich nicht einmal auf. Erst als die Menschen zur Seite wichen und kreischend wegliefen, sah ich auf und ließ vor Schreck mein Eis fallen.
Überall waren Wachen mit roten Umhängen verteilt und jeder von ihnen hatte eine gezogene Waffe. Mom ließ meine Hand los und zog ebenfalls ihr Schwert, doch allein würde sie dieser Masse an Wachen nicht standhalten können. Ich ließ mein Eis achtlos liegen und wich hinter Mom, doch das würde wenig bringen, wenn die Wachen erst angreifen würden.
Ihre Augen zusammengekniffen, der Mund zu einem Knurren verzogen und ihre Haltung alles andere als freundlich. So stand meine Mutter vor mir und beschützte meinen Körper mit ihrem. Dann verlief alles nur noch in Zeitraffer: Die Wachen, die auf uns zustürmten, meine Mom, die die ersten Schläge abwehrte und die plötzliche Hilfe von einer Frau und einem Jungen in meinem Alter.
Die Frau stieß einige Wachen weg und erstach eine, die drohte, mich von hinten zu attackieren. Mom fuhr kurz herum, lächelte knapp und drehte sich dann wieder zu den Wachen um. Der Junge huschte flink zwischen den Wachen hindurch, packte meine Hand und zog mich durch das Kampfgetümmel hindurch zu einer Bank, hinter der wir uns duckten.
Mom und die Frau schafften es.
Sie erledigten alle Wachen und als sie zu uns zurückkamen und Mom mich überglücklich umarmte, sah ich zum ersten Mal wirklich, wer uns geholfen hatte. Der Junge starrte mit seinen neugierigen, tiefblauen Augen zwischen mir, meiner Mutter und der Frau hin und her und blieb mit seinem Blick bei mir hängen. Die Frau sah mit ihren nussbrauen Augen zwischen ein paar roten Strähnen hindurch und atmete tief aus.
Mom ließ mich endlich los und mit Tränen in den Augen sah sie mich an und ich spürte die Freude und die weichende Panik auf mich einprasseln. Sie lächelte. Lächelte wirklich, nicht wie damals, wenn sie David gegenüberstand und der anderen wegen friedlich war.
Die Realität riss mich wieder in die kleine Hütte zurück. Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln und erst als ich die Schatulle schloss und sie mit dem Bild ins Regal stellte, fühlte ich mich nicht ganz so armselig. Perplex zog ich meinen Trenchcoat aus, legte ihn zusammen und holte mir einen Schlafanzug aus einem der Koffer. Nachdem ich diesen angezogen hatte, rollte ich mich auf der Pritsche zusammen und schloss meine Augen, in der Hoffnung von Träumen verschont zu bleiben.
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Der Füller, die Uhr und der Buchtrenner lagen neben einigen anderen langweiligen Sachen in meinem Rucksack und warteten darauf, verkauft zu werden. Das Kästchen hingegen würde ich ganz sicher nicht verkaufen. Zum einen, weil der Sichelmond nicht sicher verkauft werden konnte, ohne dass der Käufer, Verkäufer und vielleicht auch ich von den Familien gesucht würden, und zum anderen weil sie meiner Mutter gehörte.
Also ließ ich es neben dem Bild meiner Mutter stehen und steckte mir noch einen Schokoriegel, etwas Geld und ein kleines Klappmesser in die Taschen meiner Jeans. Nachdem ich mir auch das weiße T-Shirt und die Lederjacke meiner Mom angezogen hatte, warf ich mir meinen Rucksack über die Schultern und schlüpfte durch einen kleinen Türspalt nach draußen. Als ich die Tür wieder verriegelte, der Riegel einmal klickte und ich sicher sein konnte, dass niemand hineinkam, wurden meine Bewegungen geschmeidig und meine Augen wachsam.
Ab jetzt war ich Freiwild. Für Monster wie auch für Menschen. Ich trat auf die Straße, steckte die schwarze Strähne extra unter die Baseball-Cap und ging locker zur Lochness-Brücke, an der ich stehen blieb. Krampfhaft suchte ich nach Kleingeld und als ich es schließlich fand, klatschte ich es in der Mitte der Steinbrücke auf das Geländer, auf dem drei rote Kreuze signalisierten: „Achtung! Monster!"
Ich wollte den Rest der Brücke so schnell wie möglich hinter mich bringen, doch ich drückte mich ans Geländer, als ein schwarzer Geländewagen über die Brücke bretterte und hupend vorbeizog. Schon wieder das Sonnenwappen. Ich schüttelte alte Erinnerungen ab und verließ die Pflastersteine der alten Brücke. Als es hinter mir klimperte und kurz danach plätscherte, musste ich mich bemühen, nicht herumzufahren und hinzustarren.
Manchmal durfte man einfach nichts tun. Ob es nun eine Fehde zwischen den Familien war oder ein Monster, das seinen Tribut holte.
~~~(✿◠‿◠)~~~
Danke fürs lesen, über Feedback würde ich mich freuen
Bye, bye (ノ◕ヮ◕)ノ*:・゚✧
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Familia
ParanormalStell dir vor, Magie existiert, Monster existieren. Die Familien herrschen über Clockburnfalls wie die Mafia. Wer Magie in sich hat, versteht, welche Hirden dies jedoch bringt. Genauso auch Skye, die sich mit Diebstahl durch ein Leben zwischen Famil...