Kapitel 3 - Der Meister
Die Sekunden die nur mit Schweigen gefüllt verstrichen, kamen Lyca vor wie endlose Stunden.
Noch immer kniete sie nackt und völlig schutzlos auf dem Steinfußboden des Badehauses. Des Badehauses für die Männer. Woher hätte sie denn wissen sollen, dass es zwei verschiedene gab? In der Dunkelheit hatte sie auch kein Schild gesehen draußen.
Der Fremde stand wortlos vor ihr, die Arme vor der breiten Brust verschränkt, ihn schien die Tatsache dass er splitternackt war, nicht mal peinlich zu berühren.
Lyca tat es ihrem inneren Selbst nach und straffte die Schultern. Wieso sollte ihr ihre Nacktheit peinlich sein. Dieser Fremde hatte anscheinend auch kein Problem damit und zu Hause war sie dauernd in Anwesenheit ihrer Geschwistern und auch der anderen Dorfkinder nackt gewesen, wenn sie alle gemeinsam im Fluss gebadet hatten. Sie wusste wie ein Penis aussah und sie war sich sehr sicher dass der Mann vor ihr wusste wie der weibliche Körper aussah.
Voller Entschlossenheit stemmte sie sich vom Boden hoch, bis sie dem Fremden gegenüberstand. Sie imitierte seine Pose und verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust.
Obwohl sie das Kinn stolz in die Höhe gereckt hatte, war sie über einen Kopf kleiner als er und musste zu ihm hoch blicken, was sie ärgerte. Verwunderung trat in sein ansonsten unbewegtes Gesicht und fasziniert beobachtete Lyca, wie seine Augenbrauen langsam nach oben wanderten. Nun erkannte sie auch, dass seine Augen keineswegs grau waren, wie sie zuerst gedacht hatte, sondern von einem dunklen Violett.
Sie schnappte leise nach Luft als sie erkannte dass er nicht bloß violette Sprenkel in den Augen oder einen Ring um die Iris hatte, sondern dass seine Iris komplett in diesem satten Violett gefärbt war. Ohne sich wirklich auszukennen, ahnte sie, dass er ein mächtiger Magier sein musste. Während sie versuchte abzuschätzen wie alt er wohl sein mochte, entging ihr nicht, dass sich sein Blick auf ihre leicht geöffneten Lippen gerichtet hatte. Sie schnaubte.
"Wenn du dann fertig bist mit starren, würde ich mich gerne anziehen gehen." Wo anfangs noch Scham gewesen war, machte sich jetzt Wut in ihr breit. Sie hatte einen Fehler gemacht, das sah sie ein, aber musste dieser gruselige Mann die Situation deswegen jetzt so elendig in die Länge ziehen?
Kurz machte er Anstalten etwas zu erwidern, schien sich dann aber eines Besseren zu besinnen. Er drehte sich auf dem Absatz um und verschwand mit ein paar langen Schritten in dem Raum, in dem Lyca ihre Sachen deponiert hatte.
Während sie noch etwas verwirrt überlegte ob sie ihm folgen sollte, erschien er wenig später im Türrahmen, mit einer schlichten Stoffhose und einem hellen Hemd an. Sie schluckte. Bisher war er der einzige Magier, den sie in Straßenklamotten und nicht in Magierroben gesehen hatte. Aber er musste ein Magier sein, seine Augen sprachen eine eindeutige Sprache.
"Zieh' dich an. Ich warte draußen auf dich, dann können wir gemeinsam zum Prinzipal gehen und ihm von deiner nächtlichen Exkursion berichten." Seine Stimme war monoton und der Ausdruck in seinen Augen kalt als er an Lyca vorbeiging und das Gebäude verließ.
Kurz starrte sie ihm fassungslos hinterher, beschloss dann aber, bevor hier noch mehr nackte Männer aufkreuzen konnten, zu tun was er sagte.
Sie war gerade in ihr weißes Nachthemd geschlüpft, das sie sich zum wechseln mitgebracht hatte, als ihr Blick auf ein kleines Fenster fiel, das in die Wand ihr gegenüber eingelassen war.
In ihrem Hirn arbeitete es schnell. Der Fremde wollte sie zu Prinzipal Keradin bringen, ihm erzählen dass sie nachts alleine unterwegs gewesen und das Badehaus für die Männer benutzt hatte. Mit den genauen Regeln der Akademie war sie nicht vertraut, aber sie hatte eine ungefähre Ahnung, dass der Prinzipal das wohl kaum gutheißen würde. Was, wenn er sie der Akademie verweisen würde? Bevor sie überhaupt ihren ersten Unterricht angetreten hatte? So sehr sie auch wieder zu ihrer Familie zurück wollte, so wenig konnte das der Ausgang all dieser Strapazen sein. Sie hatte doch nicht alles bis hierher durchgemacht, nur um jetzt verpfiffen und rausgeworfen zu werden.
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Purpur - Die Magierin
RomanceLycas Schicksal wurde an dem Tag besiegelt, an dem ihre Eltern die feinen violetten Sprenkel in ihren Augen entdeckten. Denn das bedeutete, dass sie magisches Blut in sich hat. Obwohl sie große Angst davor hat, ihr altes Leben hinter sich zu lassen...