Kapitel 2 - Die Novizin
Durch das innere Stadttor zu treten kam Lyca vor, wie in eine andere Welt zu treten. Im ersten Ring waren die Straßen und Gassen voller Menschen gewesen, die Gerüche waren genauso vielfältig wie seine Bewohner selbst, das frische Brot beim Bäcker, der ledrige Geruch der frisch gegerbten Tierhäute, der Unrat in den Seitengassen.
Im zweiten Ring waren nur wenige Menschen unterwegs und die wenigen Leute die sie sahen, schlenderten in aller Ruhe die breiten Straßen entlang, als hätten sie alle Zeit der Welt. Sie kamen an einigen Männern vorbei, die ähnliche Roben wie der Magier bei der Auslese trugen, aber in anderen Farben. Lyca fragte sich, ob die Farben wohl etwas zu bedeuten hatten. Während sie darüber nach grübelte, fiel ihr auf, dass ihr Begleiter eine grüne Kordel um die Hüfte geschlungen hatte.
"Was bedeuten die unterschiedlichen Farben der Kleider?" Der junge Mann warf ihr einen knappen Blick von der Seite zu, aus dem sie nicht lesen konnte, was er von ihrer Frage hielt.
"Die Farben kennzeichnen die Schule der wir angehören." Wir. Sie schluckte. Musste sie sich von jetzt an auch zu diesem Wir dazu zählen?
"Und zu welcher Schule gehört Ihr?"
"Ich bin einer der Schüler von Master Lawin, er ist der Meister der Schule der Heilung." Dann musste der ältere Mann auf dem Stadtplatz Master Lawin gewesen sein, zumindest hatte der den jungen Mann seinen Schüler genannt. Er war also ein Meister gewesen, das erklärte dann vielleicht, warum seine Roben komplett grün gewesen waren, wohingegen sein Schüler nur diese grüne Kordel trug.
Schweigend liefen sie weiter und Lyca hatte das Gefühl, von den ganzen Eindrücken erschlagen zu werden. Der Geruch nach frisch gebratenem Fleisch, Blumen und Parfüm drang ihr in die Nase und sie konnte sich gar nicht satt sehen an all dem kunstvollen Buntglas, den Kästen mit den farbenfrohen Blumen und den feinen Kleidern der Bewohner. Sie war so mit Gucken und Staunen beschäftigt, dass sie fast in den Jungen hinein gelaufen wäre, als dieser plötzlich stehen blieb.
"Das hier ist der Haupteingang zur Akademie.", erklärte er. "Es gibt zwei weitere, kleinere Zugänge im Westen und Osten der Stadt, aber für den Moment musst du hier hindurch." Sie standen vor einem riesigen Tor mit breiten Eisenstreben. Dahinter stand eine junge Frau, die bei dem Anblick des Jungen lächelte. Sie trug ebenfalls eine graue Robe, allerdings war ihre Kordel weiß.
"Da bist du ja wieder. Ist denn immer noch kein Ende in Sicht?" Lycas Begleiter stieß ein entnervtes Seufzen aus.
"Du weißt ja wie das ist. Gefühlt ist ganz Astria heute nach Cyaran gekommen, aber die allermeisten hoffen nur, das Gold abgreifen zu können." Das Blut schoss Lyca bei diesen Worten in die Wange. Seine schlechte Laune schien das Mädchen jedoch überhaupt nicht aus dem Konzept zu bringen.
"Kopf hoch, bald hast du es ja geschafft. Aber beeile dich lieber, sonst bekommt Lawin wieder die Krise." Die beiden verabschiedeten sich und der Junge der sie hergebracht hatte verschwand, ohne noch einmal das Wort an sie zu richten. Währenddessen machte das Mädchen sich daran eine Tür zu öffnen, die in die linke Seite des Tors eingelassen war.
"Ich bin übrigens Keira.", stellte sie sich vor, während Lyca unsicher durch die Tür trat. Sie bekam eine Gänsehaut, als Keira die Tür mit einem lauten Quietschen ins Schloss fallen ließ. Keira lief forschen Schrittes voraus und sie bemühte sich, schnell hinterher zu kommen.
Zum ersten Mal fiel ihr Blick auf die Akademie, die sich groß und schwer vor ihnen auftat. Massive Eichentüren waren in eine eindrucksvolle graue Fassade eingelassen. Viele Fuß über der Tür befand sich ein gigantisches kreisrundes Fenster, in das mit Buntglas ein Adlerkopf eingesetzt worden war. Das Gebäude lief nach oben hin zu einem spitzen Dach zusammen und Lyca sah viele kleinere Türmchen, die im Hintergrund aufragten.
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Purpur - Die Magierin
RomanceLycas Schicksal wurde an dem Tag besiegelt, an dem ihre Eltern die feinen violetten Sprenkel in ihren Augen entdeckten. Denn das bedeutete, dass sie magisches Blut in sich hat. Obwohl sie große Angst davor hat, ihr altes Leben hinter sich zu lassen...