Kapitel 3

161 8 4
                                    

Der Regen trommelte leise gegen die deckenhohen Glasfenster seines Büros. Das einzige Geräusch im gesamten Anwesen.

Dementias Schluchzen war erstorben, als sie vor Erschöpfung in ihrem Zimmer eingeschlafen war und 5.0.5. verließ nur noch ganz selten das Labor, kümmerte sich schweigend um die dort großwerdenden Monster.

Nur für die Beerdigung vor ein paar Stunden war er erschienen, die einst gelbe Blume auf seinem Kopf grau und leblos.

Es waren nur sie drei gewesen, Black Hat selbst hatte die gesamte Nacht über das Grab ausgehoben. Seine Hände schmerzten noch immer, doch half ihm dieser physische Schmerz die Leere in seinem Inneren zu ertragen.

Flug befand sich nun auf einem kleinen Hügel, von dem man eine gute Sicht auf das Anwesen hatte. Es stand dort kein Grabstein, dafür hatte Black Hat den Setzling einer weißen Rose gepflanzt.

Sie würde wachsen und ein so viel schöneres Andenken sein, als ein kalter Stein...

Plötzlich durchbrach das schrille Klingeln des Telefons die Stille.

Black Hat ignorierte es – wie schon seit vier Tagen.

Diese nervigen Entschuldigungen von Bösewichten verstanden einfach nicht, dass er sich nicht mit ihnen abgeben wollte. Dass er keine Kraft dafür hatte, ihre Fragen nach neuen Artikeln über sich ergehen zu lassen, zu hören, wie sie nach seinem Wissenschaftler fragten, ihn teilweise beleidigten...

Er hatte sich jeden einzelnen Namen gemerkt, sobald er seine Kraft wiederfand, würden sie alle dafür bezahlen.

Nicht lange und es wurde wieder still.

Er atmete tief durch und betrachtete weiterhin den schwarzen Umschlag auf seinem Schreibtisch.

In schlecht leserlicher Schrift war mit roter Tinte sein Name darauf geschrieben, doch er konnte ihn nicht öffnen und den enthaltenen Brief lesen.

Er hatte zu viel Angst vor dem, was er erfahren würde...

Aber es war Flugs letzter Wunsch gewesen und im Namen aller unheiliger Geister – er war immer noch Black Hat!

Entschlossen atmete er tief durch, setzte sich auf und öffnete den Umschlag.

Zwei Sachen fielen auf die Unterlage – ein einfacher Bogen roten Briefpapieres, sowie ein kleiner schwarzer Samtbeutel.

Er entschied sich zuerst den Brief zu lesen.

Flug hatte sich große Mühe gegeben schön zu schreiben, aber dennoch wirkten, für das ungeübte Auge, viele Wörter unentziffbar.

Zum Glück hatte Black Hat lange geübt und konnte die Handschrift seines Partners ohne Probleme entziffern.

„Hallo Jefecito...

Etwas altmodisch vielleicht, aber ich konnte mir nicht sicher sein, ob eine Videoaufnahme nicht vielleicht in falsche Hände gerät. Ich hoffe du kannst meine Schrift entziffern. Aber was schreib ich da, natürlich kannst du...

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie du an diesen Brief kommen kannst – entweder hast du ihn per Zufall in meinen Schubbladen entdeckt oder ich bin tot. Da letzteres in meinem Beruf sehr viel wahrscheinlicher ist, geh ich von ebendiesem Fall aus.

Aber das ist in Ordnung.

Ich hätte nie damit gerechnet überhaupt so lange zu leben, einen neuen Job und eine Familie zu finden. Und das Unmögliche geschenkt zu bekommen – dich.

Ich verdanke dir so vieles und ich weiß, dass wir auch das zusammen hinbekommen. Wie immer, Jefe.

Dann fangen wir mal an...

Wie viele Tage ignorierst du das Telefon jetzt schon? Drei, vier?

Hör auf damit.

Die Firma sollte nicht darunter leiden, nicht nachdem wir so weit gekommen sind. Und ich hätte noch eine Bitte an dich – kümmere dich um 5.0.5. und Dementia. Sie brauchen jemanden, der für sie da ist. Bitte, tu das für mich. Es wird dir auch helfen, glaub mir.

Wo wir gerade bei Helfen sind... Erinnerst du dich noch an diesen jungen Wissenschaftler, Tommy Smith? Er hat zwar nicht ganz mein Niveau, aber es gibt schlechtere. Auf der Rückseite stehen seine Kontaktdaten – stell ihn ein, die Firma braucht einen Wissenschaftler."

Black Hat brach ab, neue heiße Tränen liefen über sein kantiges Gesicht.

Er würde alles tun, er würde auch diesen Smith einstellen, auch wenn er eigentlich keinen neuen Wissenschaftler wollte – er wollte Flug zurück.

Er brauchte Flug.

Er...

Er atmete tief durch und wandte sich wieder dem Brief zu.

„Es ist schon gut, Jefecito. Ich weiß, es fällt dir schwer...

Ich...ich konzentriere mich schon wieder nicht auf das Wichtigste!

Den eigentlichen Grund...Du hast sicherlich schon den kleinen Samtbeutel gesehen – öffne ihn bitte erst, wenn ich hier fertig bin.

Diesen Brief hab ich dir nämlich nicht nur geschrieben um dir Ratschläge zu erteilen, sondern eigentlich aus einem ganz anderen Grund. Vielleicht siehst du es als kindisch an, aber es ist eine Frage, die ich aus den tiefen meines Herzens an dich richten möchte, ein letztes Zeichen meiner unsterblichen Liebe dir gegenüber.

Es tut mir nur so leid, dass ich dich nicht persönlich und eher fragen konnte...

Black Hat – Jefecito – würdest du mir die Ehre erweisen, mich zu heiraten?

Das hört sich jetzt vermutlich merkwürdig an – wie sollte man auch jemanden heiraten, der bereits verstorben ist – aber ich wollte diese Frage unbedingt los werden.

Wenn du willst, kannst du den Beutel jetzt öffnen und mit seinem Inhalt machen, was du willst.

Leider geht mir der Platz und die Zeit aus, also will ich nur noch einmal sagen, dass ich dich mehr liebe, als alles andere auf dieser Welt und ich jeden einzelnen Moment mit dir und den anderen genossen habe.

Es war so viel mehr als ich verdiene.

Mit den sanftesten Küssen,

dein Flug."

Langsam glitt der Brief aus seinen zitternden Händen und er hielt die Luft an, im Versuch nicht zu hyperventilieren.

Einen Antrag – das wollte er diese Woche vorstellen, deshalb auch die Reservierung in ihrem Lieblingsrestaurant.

Sein Blick glitt zum Datum des Briefes – der Tag vor Beginn der Blutmondwoche.

Deswegen hatte er ihn nicht sofort gefragt...

Die Antwort war für Black Hat klar, es gab nur eine.

Zögerlich griff er nach dem Beutel, öffnete ihn.

Ein Ring rollte in seine Hände, die Handschuhe hatte er abgenommen.

Er war kalt und wunderschön.

Er war filigran, aber nicht zu zart, echt Silber, vier kleine Rubine, jeweils zwei links und rechts eines länglichen, tiefschwarzen Diamanten.

Sprachlos schob er ihn über seinen rechten Ringfinger – er passte wie angegossen.

Oh Flug...

Seine letzten Schutzwände zerbrachen und hemmungslos schluchzend sank er in seinem Stuhl zusammen.

It's alright...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt