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Kapitel 6

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          Kurzentschlossen packte Nathaniel meine Hand und machte kehrt. Fast wäre ich hingefallen, im Versuch, ihm zu folgen. Woher wussten die Männer des Bürgermeisters, wo Jeter und der Widerstand sich versteckten?

Der Polizist setzte sofort zur Verfolgung an. Nach Verstärkung rufend, gab er einen Warnschuss ab, der den Putz von einem Wohnhaus absprengte.

Mehr Motivation brauchte ich nicht. Unterröcke flogen und meine Absätze krachten gegen die unebenen Steine.

Nathan sah kein einziges Mal hinter sich. Sein Griff hielt mich wie in einem Schraubstock gefangen. Er schlitterte um die nächste Hausecke, der Wachmann uns dicht auf den Fersen.

Ein weiterer Schuss knallte. Wir schlugen einen Haken in eine Seitengasse und ich riskierte einen Blick zurück.

Der Polizist hielt inne, um seinen Kollegen zu rufen. Nur für einen kurzen Moment, dann waren wir um die Ecke verschwunden.

Nathan hob mich über einen niedrigen Zaun zwischen zwei Häusern, kaum einen Meter breit. Eine eher behelfsmäßige Absperrung zu einer Sackgasse. Mülltonnen versperrten uns den Weg, doch Nathan verlangsamte seine Schritte nicht.

Prompt rutschte ich auf dem Schlick der Steine aus, mein linkes Bein machte eine Drehung, die der Rest meines Körpers nicht mitmachte und ich schlug auf. Nathan war sofort an meiner Seite, um mich wieder hochzuziehen, doch mein Knie pochte empfindlich bei der Belastung.
Shit. Shit. SHIT!

„Da rein!" Nathan stoppte vor einem zerschlagenen Kellerfenster. Es war gerade groß genug, dass man sich hindurch quetschen konnte. Die Scherben waren herausgefallen und glitzerten am Boden des Gewölbes.
Ohne auf meine Antwort zu warten griff er die obere Fensterkante und schwang sich hinein.

Ich versuchte, es ihm gleichzutun, blieb jedoch mit den vielen Rocklagen stecken. Ich ruckte und hopste. Nichts zu machen.

Der erste Polizist rannte an unserem Zaun vorbei. Ich sah das schwarze Schimmern seines Helmes.

Ich begann panisch zu strampeln. Noch mal Shit!

Weitere Schritte wurden laut.

Nathan packte mich an den Knöcheln und zog.

In meinem Knie explodierte der Schmerz, aber der Stoff gab einen reißenden Laut von sich und dann schließlich nach. Mit einem Ruck verschwand ich aus der Sonne, gerade als der zweite Polizist in mein Sichtfeld kam. Ohne Gleichgewicht krachte ich gegen Nathan und riss ihn um.

In einem kurzen unübersichtlichen Moment ging meine Welt Kopf und ich kniff in einem letzten Anfall von Panik die Augen zusammen. Dann landete ich weich. Und dem gedämpften Stöhnen nach zu urteilen, auf Nathan. Hups.
Viel Strampeln und einige Fischbewegungen später, hatte ich mich wieder auf die Füße gekämpft.
Ich hasste Abenteuer. Das Kleid wäre in meiner Welt ein Vermögen wert gewesen.

Ein riesiger Fetzen Stoff hing von meiner Taille fort, die Ruinen meines Überrocks. Zwei weitere Risse zeigten sich in dem seidigen Mieder. Kurzum, ich sah aus wie eine sehr teure Vogelscheuche.

„Hast du dich verletzt?" Nathan saß zwischen mehreren Jutesäcken, die Schutzbrille quer über seinem Kopf drapiert, als hätte ihn eine ganze Stoffauslage umgerannt. Eine blutende Schramme zierte sein Kinn, doch er bemerkte sie nicht einmal.

Ich nickte, auch wenn mein Knie sich anfühlte, als hätte ich mir einen Baseballschläger dagegen geschlagen. Mein Puls raste wie eine Luftkissenbahn und mein Kopf war ein berauschtes Durcheinander aus schierer Panik und glücksgetränkten Erinnerungen an meine Zeit als Marathonläuferin. Endorphine kämpften mit Adrenalin und für den kurzen Moment hätte ich einfach weiter rennen können. Meine Haut prickelte und die Hitze in diesem Raum zwang kleine Schweißperlen auf meine Stirn. Kurzzeitig erleichtert nahm ich unser Versteck in Augenschein.

Der Firefly EffektWo Geschichten leben. Entdecke jetzt