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Kapitel 9

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           „Was hast du vor?" Jules hatte Probleme mit mir Schritt zu halten, während ich den Flur hinuntereilte. Ich brauchte beide Hände, um das Band meines Hutes zu verknoten, weshalb er mir wiederholt Türen aufhalten musste.

„Ich werde Nathan vorwarnen", erklärte ich ein wenig außer Atem.

„Das kannst du nicht machen. Er könnte dich bereits an Jeter verraten haben. Wer sagt, dass du bei den Luftschiffdocks nicht erwartet wirst?" Jules gestikulierte wild mit den Händen durch die Luft.

„Deshalb ist es so unerlässlich, dass du nicht auf mich wartest. Wenn ich nicht zurückkomme, kehrst du durch den Gang zur Kapsel zurück und erzählst General Carstenson, was passiert ist." Wir erreichten die Eingangstür und ich fixierte ihn eindringlich. „Es ist wichtig, dass wenigstens Einer heimkommt, okay?" Die Ungewissheit war für die Zurückgebliebenen schrecklicher als alles andere, was man ihnen sagen konnte.

„Und wem soll ich dann von dir berichten?"

Jules Frage warf mich kurz aus der Balance. Wen ließ ich eigentlich zurück? Anthony. Sicher. Doch ob mir meine Hauspflanze mir wirklich hinterher trauen würde, war eher fraglich. Wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst war, blieb nur eine einzige Person.
„Marcus Twain. Er...", ich stockte, weil der Gedanke so lächerlich war, „Er ist ein Kollege von mir und wird es bestimmt zu schätzen wissen, wenn ihm jemand sagt, dass ich die Nächsten seiner drei Kleinkonferenzen verpassen werde."

Verdutzt legte Jules den Kopf schief, sicher, dass ich mich über ihn lustig machte. „Was ist mit deinen Eltern? Hat Carstenson ihre Adresse, dass ich sie ausfindig machen kann?"

Ich öffnete die Haustür und trat in den leichten Nieselregen hinaus, der die giftigen Gase der Luft direkt auf meiner Haut verteilte. „19975 Woodward Avenue. Frag Cage oder Williams nach ‚Queensbury' und sie sollten dich sofort zu ihnen bringen."
Und damit eilte ich die Treppe hinunter. Ungewissheit. Sie hatte mich mein Leben lang begleitet. Jedes Mal, wenn ich mein Apartment hinter mir gelassen hatte. Wenn Jules wusste, wo meine Eltern begraben lagen, konnte er mich vielleicht zu ihnen legen. Die Vorstellung beruhigte meinen Puls, als ich die Kapuze des Mantels hochschlug und meine Schritte des Vortags zurückverfolgte.

Es hatte wieder zu regnen begonnen. Das Kopfsteinpflaster glänzte zu meinen Füßen und die kalte Nässe suchte sich ihren Weg durch meine Kleidung. Mit zitternden Fingern klopfte ich an die kleine Notausgangstür im Rücken des Luftschiff-Bahnhofs.
Jetzt war es nur noch eine Frage der engen Beziehung zwischen Nathan und Jeter. Konnten die beiden Geheimnisse vor einander haben?

Schritte wurden hinter der schweren Tür hörbar und beschleunigten meinen Puls. Energisch presste ich die Kiefer zusammen, in einem Versuch das Zähneklappern zu unterdrücken. Es war egal, was Jeter wusste. Nathan durfte nicht zurück zum Haus des Bürgermeisters.

Mir öffnete ein breitschultriger Kerl, den ich im ersten Moment mit dem Anführer des Widerstands verwechselte. Er füllte den Türrahmen vollständig aus, auch wenn ihm so etwas wie Hals oder Nacken fehlte. Er nahm sich seine Zeit, mich im Gegenzug zu mustern.
„Nathan hat gesagt, dass du kommen würdest", übersprang er die Vorstellung.

Ich verlagerte mein Gewicht. „Und hat er auch Anweisungen gegeben, mich im Regen stehen zu lassen?"
Meine Augen wanderten suchend zu den kleinen Fenstern über uns hoch, in der Hoffnung eine verdunkelte Gestalt hinter ihnen auszumachen. Doch das Wasser heftete sich an meine Wimpern und machte mich beinahe blind.

„Hat er", bestätigte der Koloss vor mir, machte aber auch keine Anstalten die Tür direkt in mein Gesicht zu pfeffern. Mit verschränkten Armen baute er sich vor ihm auf, ein Sinnbild meiner eigenen Ängste und Befürchtungen.

Der Firefly EffektWo Geschichten leben. Entdecke jetzt