Kapitel 9

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Ich lehne mich gegen die Haustür, nachdem ich sie abgeschlossen habe. Wie kann Owen so nett sein und mit meinem furchtbaren Cousin befreundet sein? Ist es bei Freundschaften auch so, dass sich Gegensätze anziehen? Ich kann mir das eigentlich nicht vorstellen.

Als es plötzlich laut an die Tür klopft, springe ich beinahe einen Meter nach vorne, mit heftig klopfendem Herzen. Dabei stolpere ich gegen den Regenschirmhalter, der laut scheppernd zu Boden geht, was mich noch mehr erschreckt. O Gott! Das ist doch eine Szene aus einem Horrorfilm, kurz bevor mit einer Axt die Tür eingeschlagen wird. Trotzdem bin ich genauso blöd, wie die Hauptdarstellerinnen in eben diesen Werken, denn ich mache die Tür auf.

Davor steht Jodi.

»O mein Gott, ich bin so erleichtert, dass du zu Hause bist!«, ruft sie und fällt mir um den Hals.

Absolut perplex löse ich sie von mir. »Was interessiert dich das? Du hast mich doch einfach stehen lassen. Mitten in der Nacht.«

»Ich weiß, aber nach ein paar Minuten bin ich umgedreht, um dich abzuholen, weil das einfach nur Scheiße von mir war. Es tut mir so leid! Und dann konnte ich dich nicht finden! ich dachte wirklich, ich hätte dich auf dem Gewissen, dass du in irgendeinem Graben liegst, von einem LKW überrollt oder schlimmeres. Ich hätte nicht mit mir leben können!«

»Klar, es geht um dich.«

»Nein, es geht um dich. Ich hab mir solche Sorgen gemacht. Wirklich.«

»Wieso hast du es überhaupt getan? Wir waren immer die besten Freundinnen und dann lässt du mich wegen eines Typen im Dunkeln stehen? Es hätte sonst was passieren können!«

»Ich weiß, und es tut mir so leid. Echt. Das war einfach Scheiße von mir. Ich mach es nie wieder.«

»Du wirst auch nie wieder die Chance haben, so eine Kacke abzuziehen.«

»April, bitte, ich war geistig umnachtet, okay? Keine Ahnung, was mich da geritten hat. Es tut mir leid.«

Einen Moment frage ich mich, ob ich es sagen soll, aber dann entscheide ich mich für die Wahrheit, auch wenn das bedeutet, dass unsere Freundschaft weiter zerstört wird. Aber wahre Freundschaft muss so was doch aushalten. Oder?

»Owen hat mich nach Hause gefahren.«

Einen Augenblick sieht es so aus, als wollte sie mir die Augen auskratzen, aber dann sagt sie: »Okay. Ich bin froh, dass du heil nach Hause gekommen bist.«

»Das bin ich auch.«

»Ich steh auf Owen.«

»Ach, echt? Hätte ich nicht gemerkt.«

Sie zuckt mit den Schultern. »Aber es ist offensichtlich, dass er kein Interesse an mir hat. Ich mein, er konnte gar nicht schnell genug vor mir fliehen, nachdem du gegangen bist.« Ein wenig verloren sieht sie aus. »Na ja, andere Mütter haben auch schöne Söhne. Und vielleicht ist das deine Rache für die Sache mit Kevin.«

Ich reiße die Augen auf. Die Sache mit Kevin ist echt lange her. »Du glaubst, ich würde mich an dir rächen wollen?«

»Vielleicht. Das war damals auch ein arschiger Move von mir. Ich hätte es verdient.«

Vehement schüttele ich den Kopf. »Auf keinen Fall. Ich hab es dir damals vergeben. Das meinte ich auch so.«

»Ich hätte mir nicht vergeben.«

»Das zeigt nur, dass ich so viel netter bin als du.«

Sie grinst. »Musst du wohl. Nett sein kriegt keinen Sex.«

»Haha, sehr witzig. Ich dachte, du wolltest dich entschuldigen. Fällt dir wohl schwer.«

»Es ist wie Glas essen, aber du bist meine beste Freundin. Wenn ich mich nicht bei dir entschuldigen kann, wenn ich Mist baue, sehe ich schwarz für mich.«

»Danke.«

Sie umarmt mich. »Alles wieder gut?«

Ich nicke. »Aber wirklich. Wir müssen uns versprechen, dass wir einander immer nach Hause bringen, auch, wenn wir sauer aufeinander sind. Es kann so viel passieren. Wir müssen aufeinander aufpassen. Immer und zu jeder Zeit.«

»Ich verspreche es.« Einen Augenblick sind wir beide leise. »Und Owen? Magst du ihn auch?«

Meine Schultern zucken nach oben. »Ich hab echt keine Ahnung. Vor heute hätte ich mit neun geantwortet, aber wir haben uns im Auto unterhalten. Er ist nett.«

»Oh, bitte, er ist mehr als nur nett.«

»Ich mein, er ist echt einer von den Guten. Ich weiß ja, nett bekommt keinen Sex.«

»Na ja, dann musst du wohl herausfinden, ob du ihn magst.«

»Ist das okay für dich?«

»Muss es wohl.« Sie schaut zur Seite, bevor sie betont fröhlich sagt: »Hey, aber es gibt ja immer noch deinen Cousin. Der ist für dich tabu, alles andere wäre ekelig.«

Ich stecke mir den Finger in den Hals und mache Würgegeräusche. »Du bist ekelig, dass du überhaupt daran denkst!«

»Hey, ich sag doch, es ist ekelig. Stellst du mich ihm vor? Ach ne, vergessen. Er kann dich ja nicht leiden.«

»Willst du eigentlich noch einen Moment reinkommen?«

Jodi schüttelt den Kopf. »Nein, nein. Ich fahr nach Hause. Sehen wir uns an deinem nächsten freien Tag?«

»Da fahre ich nach Boston.«

»Was machst du da? Soll ich mitkommen?«

»Ich will meine Familie kennenlernen. Auch, wenn sie mich nicht mögen, und ich sie auch nicht, ich bin doch neugierig auf sie. Ich hab sonst keine Verwandten außer Dad. Und er ist ... du weißt ja, wie er ist.«

Sie nickt mitfühlend. »Ich weiß. Aber finde ich gut, wenn du dich ihnen vorstellst. Vielleicht wirst du dann auch in den Bostoner Adel erhoben.«

Das quittiere ich mit einem Auflachen. »Mach dir mal keine falsche Hoffnung. Ich sagte ja, die ersten Begegnungen waren nicht besonders erbaulich.«

»Erbaulich ... Du sprichst schon wie sie. Du würdest super reinpassen.«

»Das muss eine Beleidigung sein.«

Sie zuckt mit den Schultern. »Wie du meinst, aber ich fände es großartig, wenn du eine Vanderlind wärst. Du könntest aufs Walters gehen und ich hätte meine beste Freundin jeden Tag um mich. Das wäre doch ein echter Gewinn.«

»Ich würde auch nichts lieber.«

»Ich weiß. Hey, ich muss los. Ruf mich an, okay?«

»Mach ich.«

Nach einer weiteren Umarmung schließe ich die Tür hinter ihr. Was für eine Achterbahn der Gefühle. Erst benimmt sie sich wie die schlimmste Bitch, die je gelebt hat, und dann ist sie so groß, dass sie extra noch mal vorbei kommt, um zu sehen, ob es mir gut geht. Manchmal werde ich aus dieser Frau nicht schlau. Aber vielleicht muss man Menschen auch nicht verstehen, um sie ins Herz zu schließen.

Mein Blick fällt auf die Uhr an der Mikrowelle. Was habe ich mir dabei gedacht, heute auszugehen, wenn ich morgen vor der Arbeit im Café noch in die Bücherei will, um einen weiteren Artikel zu schreiben? Manchmal frage ich mich, ob ich ein bisschen dämlich bin oder ist das einfach nur jugendlicher Leichtsinn? Bisher hatte ich immer gedacht, der wurde mir durch mein Leben ausgetrieben, aber vielleicht bin ich doch nicht so erwachsen, wie ich werden musste.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 08, 2022 ⏰

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