Das Lied aus meinem Herzen

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Hierraus könnte man ebenfalls ein ganzes Buch machen, taugt aber auch zur Kurzgeschichte... Lest selbst :)

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Ich spüre wie mich alle ansehen, während ich die drei Stufen zur Bühne erklimme. Ich bin furchtbar nervös und meine Hände fühlen sich feucht an, was in Anbetracht der Tatsache, dass ich gleich das größte Konzert meines bisherigen Lebens haben werde, nicht so gut ist. Die Scheinwerfer blenden mich etwas und ich kneife meine Augen leicht zusammen. Kurz verliere ich die Orientierung und weiß nicht wohin ich gehen soll, doch dann erblicke ich den Flügel und gehe schnell darauf zu.

Bitte lass alles gut werden, denke ich und lasse mich auf die Bank vor dem Flügel sinken.

Meine Hände spiegeln sich in dem schwarzen, blank polierten Lack. Die Tasten leuchten weiß und schwarz.

Ich sehe noch einmal auf. Schaue die Leute an, die mich wiederum erwartungsvoll ansehen. Sie sind nur wegen mir hier. Wegen dem "Wunderkind", wie mich die Zeitung beschrieben hat. Dem "Neuem Mozart".

Ich wische meine Hände möglichst unauffällig an meinem Rock ab, strecke die Finger und atme noch einmal tief durch. Vor meinen Augen zeichnet sich deutlich das Bild meiner spielenden Hände ab. Ich höre das Stück schon, bevor ich es spiele.

Ein Schauer läuft meinen Rücken herab. Wie damals, als ich meine erste Vorspielstunde hatte...

Ich lege nacheinander meine zehn Finger auf ihre Position. Genauer gesagt liegen am Anfang nur fünf Finger auf den Tasten.

Ich fange an zu spielen. Ruhig bewege ich meine Finger auf und ab, lasse sie von einem Ton zum nächsten springen und freue mich darüber, dass alles so klingt, wie es klingen soll.

Meine Gedanken beginnen abzuschweifen, während meine Finger automatisch weiter spielten.

Ich mache dieses Konzert allein wegen meinem Bruder. Er hat es schon geliebt mich spielen zu hören, als ich noch "Alle meine Entchen" spielte. Er hat mich dazu ermutigt weiterzuspielen, als eine Freundin meiner Mutter zu mir meinte, dass ich schlecht spiele, und ich schon fast aufgeben wollte.

Er ist immer für mich da gewesen. Doch vor einem Jahr wurde er krank. Die Diagnose der Ärzte: Blutkrebs.

Mein Bruder kam nach dieser Diagnose sofort ins Krankenhaus. Ich besuche ihn seitdem fast jede Tag dort. Ich habe das ganze Jahr über beobachtet wie er blasser, dünner und kahlköpfiger wurde.

Einmal, als es ihm ganz schlecht ging, wünschte er sich nichts sehnlicher, als mich spielen zu hören. Ich übte für ihn ein Stück aus seinem lieblings- Film ein und da die Ärzte mir nicht erlaubten ein Keyboard mitzubringen, nahm es auf und stellte es auf YouTube.

Mein Bruder teilte es auf Facebook und über Facebook wurde dieses eine kleine Video plötzlich weltberühmt. Ich bekam über einhunderttausend Klicks und wurde in den Kommentaren dazu aufgefordert noch mehr solche Videos online zu stellen.

Auch mein Bruder bat mich darum, und ihm konnte ich diesen Wunsch nicht abschlagen.

Eines Tages kamen meine Eltern zu mir, die Ärzte hätten mit ihnen geredet. Die Chemo- Therapie würde nicht anschlagen, und mein Bruder bräuchte eine "Knochenmark - Transplantation". Ich verstand nicht wirklich, was damit gemeint war, doch ich verstand, dass dies sehr teuer war und wir sie uns nicht leisten konnten.

Vollkommen verzweifelt stellte ich ein Video online, in denen ich meinen tausenden Abonnenten mitteilte, weshalb ich mit den Videos angefangen hatte und dass mein Bruder bald sterben würde. Ich weinte dabei sogar und erklärte, dass ich jetzt aufhören würde zu spielen, weil es ja doch keinen Sinn hatte, wenn mein Bruder mir nicht zuhören konnte.

Fast einen Monat hörte ich mit dem Klavierspielen auf, doch dann kam mir die Idee für ein Stück am Klavier. Anfangs noch zögernd, doch dann immer fixer setzte sie sich in meinem Kopf fest. Ich begann sie zu spielen und aufzuschreiben.

Schließlich war sie fertig. Es war ein Einzigartiges Stück, welches meine Lebensgeschichte erzählte. Von den vielen fröhlichen Stunden mit meinem Bruder, bis hin zu der traurigen Nachricht, dass er sterben würde. Es war ein Mix aus Gefühlen und als ich fertig war nahm ich es auf und spielte es als aller erstes meinem Klavierlehrer vor. Der war hellauf begeistert und schlug mir vor, ich solle dieses Stück doch in einem großem Konzert vorführen. Er könne dies veranlassen. Mein Lehrer wusste genau, wie schlecht es mir wegen meinem Bruder ging und er schlug vor, dass wir doch das Geld, das wir sammeln würden, in die Transplantation fließen lassen könnten.

So entstand dieses Konzert auf dem ich heute spiele. Die letzten Töne erklingen und langsam setzte ich meine Finger auf den letzten Akkord. Alle Zehn.

Ich schaue von den Tasten auf. Schaue mein Publikum an. Kurz ist es leise, doch dann bricht ein ohrenbetäubender Applaus aus. Die Leute johlen, pfeifen, klatschen und stampfen mit den Füßen. Sie klatschen für mich und meinen Bruder. Sie klatschen, weil ich meinen Bruder retten werde.

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