3/4_Die Wesen

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Plötzlich erblickten die vollkommen überraschten Freunde am schwarzen Himmel einen merkwürdigen hellen Strahl – wie eine Lichtsäule. Es war nicht das Licht des Vollmondes, das wurde den beiden Jungen schlagartig klar...

Da senkte sich diese Säule auch schon zum Boden des Hotelhofes. Jonas bekam große Angst. Majestätisch schlängelte sich dieses Licht auf dem Boden entlang und löste sich kurz darauf auf. Zurück blieb nur eine große Rauchschwade, die im Mondschein unheimlich aussah. Jonas wie auch Michaels Herz pochten lautstark. War das alles bloß Einbildung?

Plötzlich löste sich die Rauchschwade auf und am Boden zurück blieben...Gestalten!

Der arme Jonas erschrak zutiefst-. Er klammerte sich an seinen Freund Michael, der ebenso gebannt und wie gelähmt auf das Spektakel im Hof sah. Die Jungen im Versteck konnten es nicht glauben, was sie sahen. Die Gestalten, die jetzt dort nicht weit weg vor ihnen standen, sahen schauerlich aus. Es waren ungefähr zwanzig Personen. Sie alle hatten eine kunstvolle und irgendwie gruselige Haarpracht und trugen sehr altmodische Kleider – genau solche Gewänder, mit denen sich adelige Leute früher kleideten. Die unheimlichen Personen trugen Schwarz. Ihre Gesichter waren bleich und wie leblos und ihre Augen strahlten einen merkwürdigen, verlassenen und zugleich stechenden Blick aus.

Auf einmal erschien eine zweite Lichtsäule am Himmel. Michael und Jonas schluckten schwer, als auch diese sich auf den Boden hinab bewegte. Im Mondschein sahen die Gestalten aus wie...Vampire! Hatte Fiona doch recht gehabt?

Jonas drückte sich enger an Michael. Es waren jetzt ungefähr vierzig solcher unheimlichen Wesen im Hof der Hotelanlage. Die vampirartigen Gestalten sammelten sich jetzt lautlos um den bereits bekannten Steinkreis des recht winzigen Hotelgartens. Mit hocherhobenen Gesichtern blickten sie alle zum Vollmond und schienen auf etwas zu warten. Jonas sah mit Schrecken, dass ab und zu Zähne im Mondlicht aufblitzten.

Nein, das durfte und konnte nicht wahr sein! Was sollten die zwei Freunde nun bloß machen? Für eine Flucht war es leider zu spät...

Weiter konnte keiner der beiden Jungen in offensichtlich aufsteigender Panik überlegen, denn da erschien auf einmal erneut eine Lichtsäule am Himmel und senkte sich genau vor den Kreis der Versammelten. Nach dem Verschwinden der üblichen Rauchschwaden erschien eine Gestalt in purpurrotem Kleid mit schwarzen, gelockten, hochgesteckten Haaren. Dieses Wesen hatte ein besonders bleiches Gesicht, was im Vollmondlicht fast schon strahlend weiß wirkte.

Nun herrschte unheimliche Stille.

Selbst die Blätter wagten nicht zu rascheln.

Mit langsamen Schritten kam diese rot gekleidete Gestalt zu dem Steinkreis und kniete nieder. Ihre dürren Finger strichen über den Steinboden. Dann richtete sich das Wesen auf und musterte die Menge. Es musste sich offenbar um die Anführerin der Vampire handeln.

Plötzlich stieß die Vampirin einen Laut aus. Es hörte sich schaurig an, doch die zwei Jungen im Versteck konnten seine Bedeutung nicht verstehen. Danach sanken alle Gestalten auf ihre Knie und senkten ihre Häupter. Es herrschte absolutes Schweigen unter ihnen. Der Vollmond beleuchtete eindrucksvoll das Schauspiel. Sogleich standen sie wieder auf und blickten wieder in Richtung Mond. Mit hoch erhobenen Armen sprach die Frau im purpurroten Gewand noch ein paar Sätze zum Vollmond aus. Dabei blitzten ihre Eckzähne bei jedem Wort im Mondenschein. Dann beugte sie sich zum Boden und berührte erneut den Steinkreis unter ihren Füßen. Wie durch Geisterhand schimmerte es auf einmal wie Silber zwischen den Abständen der Steine hervor.

Den beiden Freunden in den Büschen blieb der Mund vor Staunen offen stehen. Aus seinem Augenwinkel heraus sah Jonas, dass sich eine kleine Grube öffnete. Die Vampirin griff mit ihren bleichen Händen hinein und brachte offenbar eine kleine Schatulle zum Vorschein. Dieses kleine Schmuckstück glänzte schwach im Schein des Mondes. Die Anführerin der versammelten unheimlichen Gesellschaft öffnete sie und fischte eine wunderschöne Perlenkette mit weißen Perlen heraus. Ihre dürren bleichen Finger umspielten die Kette. Die Augen der Frau blickten wie leblos auf die Perlen. Sie reckte ihren großen Körper zum Himmel und stieß noch einmal einen schaurigen und unverständlichen Satz aus. Da schoss plötzlich ein greller Lichtstrahl direkt aus der Kette. Für einen Moment lang war alles herum so hell erleuchtet, dass man geblendet wurde. Doch im nächsten Augenblick bereits waren alle merkwürdigen Gestalten verschwunden - einfach weg, und das spurenlos!

Nur wenige Blätter raschelten nun sanft im Hintergrund.

Michael starrte Jonas atemlos an. Der Junge konnte es nicht begreifen. Auf dem Hof war alles eigenartig still.

„Hast du das ge...ge...gesehen?", stotterte Michael fassungslos. Jonas nickte noch immer ganz starr vor Schreck. Auch er konnte das Gesehene nicht glauben. Es gab also tatsächlich Vampire...

„Was haben sie da aus der Schatulle geholt? Konntest du es sehen?", fragte Jonas. Doch Michael zuckte mit den Schultern. Der Junge kroch langsam aus dem Gebüsch und stand auf. Vorsichtig schlich Michael zum Steinkreis. Dieser geheimnisvolle Platz sah noch immer aus wie beim letzten Mal: grau und überwachsen. Keine Spur von niedergetretenem Gras oder einer geöffneten Grube! 

Sein Freund Jonas war ihm behutsam gefolgt und sah ihm über die Schultern. Auch Jonas zweifelte an dem, was hier jetzt seine Augen im Mondschein erblickten. 

ALLEIN UNTER VAMPIRENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt