3.

14 1 0
                                        

Mein Körper stand unter Hochspannung. Vermutlich hätte man einen Toaster und eine Mikrowelle parallel zu mir als Stromquelle schalten können und es wäre wegen Stromüberlastung die Sicherung durchgeschmoren.

Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen - Gut, das hätte ich sowieso nicht, weil Norah kurzfristig bei mir übernachtet hatte. Doch dazu kam, dass sich in meinem Hinterkopf sich die panische Angst, das ich etwas lebenswichtiges vergessen habe einzupacken, gemütlich eingerichtet hat.

Meine beste Freundin stand neben mir und lehnte lässig an der Gleisabsperrung. Die Farben ihrer Markenklamotten und ihres Wanderrucksackes waren perfekt aufeinander abgestimmt und ihr Blick war träumend in die Ferne gerichtet. Wie so häufig wirkte sie so ausgeglichen und erwachsen, dass ich mich schwach, kindisch und klein vorkam.

Ich faltete unseren Infoflyer zum vermutlich 3.427.739.842-mal auf -könnte mich aber auch verzählt haben -  um nochmals nachzulesen, ob wir wirklich auf dem richtigen Gleis standen.

Dort stand es. Kursivgedruckt, schwarz auf grün:
Treffpunkt: 9:45 Uhr Heuston Station, Gleis 24
Abfahrt: 10:10 Uhr nach Galway

Einen Blick auf mein Handgelenk verriet mir die Uhrzeit. Es war 9:06 Uhr. Norah hatte mir zwar beteuert, dass es nicht auffallen würde, wenn wir 5 Minuten zu spät kämen, aber meine Nerven ließen ein späteres Losfahren nicht zu. Ich versuchte meinen sich überschlagenden Puls zu beruhigen, indem ich die anderen Reisenden beobachtete. Früher hatten Norah und ich immer ein Spiel gespielt, bei dem man sich zu jedem Fremden eine Geschichte ausdachte. Wo er herkam und wo er hin wollte? Was sich in seinem Gepäck versteckte und was sein finsterstes Geheimnis sein könnte?

So fiel mir eine Gruppe Jungen am anderen Ende des Bahnsteiges in den Blick. Es waren drei und der Kleinste wirkte so normal, dass er mir vermutlich nicht aufgefallen wäre, wenn er nicht zwischen den anderen Beiden gelaufen wäre. Sie waren durchtrainiert und braungebrannt. War der Kleinere schon groß, wirkte er neben dem Größeren wie ein Zwerg. Sie hatten wie wir ihre Wanderrucksäcke geschultert und schlenderten lässig auf Norah und mich zu. Der Größere wirkte neben dem etwas kleineren, dafür sehr von sich Überzeugten, etwas ungeschickt, aber das konnte auch nur täuschen, während sich der kleinste, ganz in schwarz Gekleidete im Hintergrund hielt.

»Na Norah, wie geht's?« Der Leader hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt, doch die Grünäugige griff nur nach diesen und drehte ihn auf den Rücken. Ich wusste aus eigener Erfahrung, wie schmerzhaft das sein konnte, aber dem Jungen, dessen Augen das selbe grüne Funkeln inne wohnte wie denen meiner besten Freundin, schien das nichts auszumachen und er hatte sich in weniger als einem Wimpernschlag befreit. »Ach Prinzessin, willst du uns nicht deine liebreizende Begleitung vorstellen?« Die Königin der erdolchenden Blicke funkelte ihn an.

»Liebend gerne«, gab sie ihm dann wie ausgewechselt zuckersüß die Antwort. »Mary, das ist Finley«, sie zeigte auf den Größten, der von Nahen einfach nur heiß war. Er hatte etwas längere, erdbeerblonde Locken und große, braune Hundeaugen. »Hi« Er deutete eine Verbeugung an und auf seinem Gesicht machte sich ein selbstgefälliges Grinsen breit, als wüsste er genau, dass er unwiderstehlich war. »Daneben L.B.«, fuhr Norah fort. L.B. hatte sich die Kapuze seines schwarzen Hoodys tief in sein blasses, kränklich wirkendes Gesicht gezogen und ich konnte nicht genau sagen, wie alt er war. 14 vielleicht. Er lächelte mich freundlich an und war mir sofort sympathisch. Obwohl er noch so jung wirkte, rieten mir seine stahlgrauen Augen, ihn nicht zu unterschätzen. »Und Yannik«, schloss sie. Angesprochener lächelte und verbeugte sich übertrieben tief: »Zu Euren Diensten.«

»Das größte Arschloch auf Gottes Erdboden«, fügte meine beste Freundin mit einem leichten Hauch eines triumphierenden Lächelns auf den Lippen hinzu. So kannte ich Norah ja gar nicht. Normalerweise war sie die toleranteste Person, die man sich vorstellen konnte, und war für jeden Spaß zu haben. Doch dieser Mensch schien aus ihr eine ganz andere Person zu formen. War das ihr Exfreund? Nein, davon hätte sie mir erzählt, außerdem war sie selbst zu ihren Exfreunden nicht so giftig. Wer war dieser Yannik? Die Ferien versprachen auf jeden Fall interessant zu werden.

»Jungs, das ist meine aller beste Freundin fürs ewige Leben, Mary Hale.«

The second dimensionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt