Vier.

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Der Kamin hatte bereits das ganze Haus gewärmt. Was bedeutete das Er schon länger zurückgekehrt war. Ohne mir die mit Schlamm bedeckten Schuhe auszuziehen, lief ich die Stufen hoch. Der vertraute Geruch von Feuer und Nelly's Teegebäck schwebte in der Luft. Ich rümpfte die Nase und nahm nun immer zwei Stufen auf einmal. Ich wollte diese Gerüche nicht. Ich wollte nicht hier sein. Doch im Moment wollte ich nichts weiter als in mein Zimmer zu gehen und meine nächste Flucht zu planen. Diesmal würde ich es schaffen. Diesmal würde es- die Worte blieben mir im Hals stecken.

Meine Bücher! All meine wunderbaren wunderbaren Bücher. In meinem Zimmer lagen Dutzende Seiten, herausgerissen zu meinen Füßen verstreut. Sämtliche Kleider waren aus dem Schrank gerissen worden, selbst der Balken der sie hielt, war zu Boden geworfen. Der Gedanke traf mich plötzlich mit voller Wucht. In Aufruhr lief ich zu meinem Nachtkästchen und zerrte die Schublade auf. Sie war LEER!

»Sei Dir sicher, Rebecca, solltest Du es noch ein Mal wagen wegzulaufen, setze ich mich in meinen Wagen, fahre nach Derbyshire und brenne Sein Haus nieder. Nachdem ich ihn zuvor darin erschlagen habe. Darauf hast du mein Wort, Liebste.« Durch seine plötzliche Anwesenheit hochgeschreckt, brauchte mein Verstand einen Augenblick um zu verstehen was er gerade gesagt hatte. Und vor allem von WEM er da sprach. Dann fiel mein Blick auf seine rechte Hand. »Nein. Nein. Nein. Nein. Nein« Ich kann nicht sagen weshalb gerade dieses Wort es war, das ich in endloser Schleife über meine Lippen hauchte. Mein Tagebuch. Er hat es gelesen. Jetzt weiß er es.  Er weiß alles. Sofort wird mir klar, weshalb er zuvor so seltsam war. Mir war mit einem Schlag so bang, dass meine Füße nachgaben. Immer noch das selbe Wort flüsternd sank ich zu Boden. Unter meinem Gewicht knitterten die Kapitel all meiner liebsten Welten, in die ich zuvor unzählige Male geflüchtet war. Aus Angst ihn anzusehen, starrte ich auf den Boden und erkannte dabei die Schrift auf dem Papier, neben meinem linken Knie. "Er könnte Dich ein ganzes Leben lang, mit der tiefsten Inbrunst seiner Seele lieben, und vermag es dennoch nicht Dich so zu lieben wie ich an nur einem einzigen Tag."

Ich war verloren und nun lachte selbst das Schicksal über mich. »Du hast mich lange genug Gedemütigt. Und ich Narr, habe Dir lange genug tatenlos dabei zugesehen. Ich setze dem nun ein Ende. Hörst du? In einem Punkt lag Richmond nicht falsch. Ich werde dich daran erinnern wie gut du es hier hast. Von nun an, Rebecca, wirst Du Morgens aufstehen und deine Pflichten erfüllen, als die glückliche Frau an meiner Seite die du bist. Abends wirst Du Dich zu mir legen, wie es sich für mein Weib gehört. Und irgendwann wirst du mir Kinder schenken. Du wirst eine vorbildliche Mutter sein. Von heute an, bis das der Tod uns scheidet, wirst Du mich achten, und Du wirst mich lieben, Rebecca. So wie Du es versprochen hast. So wie ich Dich liebe! Und dann, nur dann, wird der Mann, dieser Abschaum von dem Du bis heute noch dachtest, es gäbe kein Leben ohne ihn, meine Erlaubnis haben, überhaupt weiter zu leben. Du weißt, von wem ich spreche, nicht wahr, Rebecca? Sag es, sag seinen Namen, liebste. Und sag das Du ihn nie wieder siehst. Sag das Du nie wieder an ihn denken wirst. Ich will es hören. Ich will sehen wie es über Deine anbetungswürdigen Lippen kommt.«
»Du bist ein herzloses Monster!« Schrie ich ihm meinen Ausbruch ins Gesicht. Ich werde es nicht wagen zu weinen! Niemals werde ich ihm diese Genugtuung verschaffen. Mit einem plötzlichen Hieb seinerseits, fegte mein Tagebuch an die Wand und fiel hinter mir zu Boden. Der Knall war so ohrenbetäubend, dass ich zusammenzuckte. In einer Mischung aus Zorn und Angst, blickte ich schließlich zu ihm hoch. Sein Gesicht war vollends von Schmerz verzerrt. Er trat einen Schritt auf mich zu. Ich blieb wo ich war. »Reize nicht einen Mann der alles und jeden für dich zermalmen würde, Rebecca. Ich würde alles tun Unwiderruflich ALLES um dich zu halten. Du weißt das ich vor nichts zurück schrecke, nicht wahr? Du weißt das Dein Dasein allein alles ist, was ich je an Glück erfahren habe. Das werde ich mir nicht nehmen lassen. Hörst du?« Seine Stimme klang nun ganz anders. Er sprach langsamer.. ruhiger. Und er sah mir in die Augen, direkt in meine Seele. Vielleicht kam es mir nur so vor, doch ich glaubte zu sehen wie Seine dabei war zu zerbrechen. »Ich widerspreche dir nicht. Es ist wahr..« Er drückte die rechte Hand an seine Brust, schloss die Augen und als erwartete er jeden Moment zu ertrinken, holte er tief Luft. »Es schlägt kein Herz in meiner Brust. Denn du, als das reine Wesen, dass du bist.. Rebecca, du bist mein Herz! Und nun weißt du es, du weißt weshalb du mich nicht verlassen darfst. Es würde meinen Tod bedeuten.« Ich sah die Verletzlichkeit in seinem Blick und fühlte trotz alle dem was nun zwischen uns stand, Verachtung mir selbst gegenüber. Ich hasste es der Grund für sein Leiden zu sein. Doch es änderte nichts daran, dass ich nicht hier sein wollte.

»Und wenn es mein Unglück bedeutet? Wünscht man seinem Herzen so viel leid?« Ich konnte das Zittern meiner Stimme nicht gänzlich verbergen. Dennoch zeigten meine Worte eine unerwartete Wirkung. In einer Geste der Frustration, fuhr Er sich durch das volle Kastanienbraune Haar. »Ist es das? Denkst du ER ist dein Glück? Ich bin dein leid, denkst du das? Läufst du deshalb fort? Willst du- willst du zu ihm, statt bei mir zu sein?« Einen Augenblick lang bröckelte seine Fassade und ich konnte dahinter den Mann erkennen, für den ich mich vor so vielen Jahren entschieden hatte. Doch er verweilte nicht lang und das Monster kehrte statt seiner zurück. »Genug. Das ist belanglos. Ich gebe dir noch eine Gelegenheit. Sag es, Rebecca.« Da er nun wusste, dass er ein längst gebrochenes Herz nicht brechen könne, wollte er meine Seele brennen sehen. Genauso wie ich durch einen Blick in seine lodernden Augen, wusste, dass mir keine Wahl blieb. Denn eines konnte ich nach all der Zeit mit Gewissheit über ihn sagen, er kannte keine Drohungen. »Ich werde ihn nie wieder sehen« Ihm waren bloß versprechen bekannt. »Ich werde nie wieder an ihn denken.« Er trat so dicht an mich heran, dass ich seinen warmen Atem an meinen Wangen spürte. Mein Herz brannte wie eine Hand die man zu lange über eine Flamme hielt. Mit zwei Fingern hob er mein Kinn an. Zwang mich ihn anzusehen. »Seinen Namen, Rebecca. Sag diesen widerlichen Namen, auf dass er Dir von heute an ewig auf der Zunge brennen möge, sodass Du ihn nie wieder über sie bringst. Sag IHN!«

»Charles.. Charles Worthington«
Sowie mir der letzte Buchstabe entkam, presste Harrison Graham seine Lippen auf meine. Er küsste mich mit solch einer Inbrunst, dass mir schwindlig wurde. Seine Hände hielten mich immer noch fest, als seine Lippen sich längst von mir gelöst hatten. »Ich hoffe du hast verstanden was ich bereit bin zu tun, Rebecca.« Am ganzen Leibe zitternd sehe ich ihn an und was ich in genau diesem Moment verstehe, war, dass der Blick zuvor, als Richmond mich zurückbrachte, keineswegs Enttäuschung spiegelte. Es war Besessenheit. Der Mann, den ich geheiratet hatte, der Mann, der nun ebenfalls vor mir kniete, war vollends besessen. Und niemand denn ich selbst, war das Objekt seiner Obsession. Nachdem ich dies erkannte, erlaubte ich mir schließlich doch zu weinen.
Ich sagte mir, was sind schon ein paar Tränen mehr, in dieser lichtlosen Welt.
Also weinte ich um mich selbst. Ich weinte um Harrison, um sein Herz, dass ich  gebrochen hatte. Und um das Monster, dass ich dadurch erschuf. Ich weinte um die Frau. Ich weinte um das Mädchen. Ich weinte um all die Entscheidungen dieser Welt. Doch vor allem, weinte ich um Charles. Die meisten Tränen, widmete ich dem Verlust seiner schützenden Arme um mich.

Und ich weinte noch lange nachdem Harrison das Zimmer verlassen hatte.

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