Türchen 1 🎁

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Seit Mitte November hängen in der Firma, in der Lisa arbeitet, geschmückte Äste mit roten Sternen. Auf diesen Sternen stehen Wünsche von Kindern, die aus nicht so gut betuchten Familien kommen. Familien, die vielleicht gerade so eben ein Dach über dem Kopf haben. Familien, deren Gedanken nicht sind, ob sie nun das dritte Geschenk kaufen sollen, sondern ob sie das Geld überhaupt für ein kleines Geschenk haben.
Den Kindern aus diesen Familien helfen unteranderem Lisa und ihre Kollegen, um die kleinen Wünsche zu erfüllen. Lisa hat sich schon ganz am Anfang einen dieser roten Sterne ausgesucht und das Geschenk hübsch verpackt abgegeben, damit es zu dem Kind kommt.
Einen Tag bevor die Geschenke abgeholt werden, hängt immer noch ein kleiner roter Stern an dem geschmückten Ast. Er sieht so verloren aus und scheint vergessen worden zu sein. Doch das darf nicht sein. Wenn dieser eine Stern keinen Paten findet, dann wird ein einziges Kind kein Geschenk bekommen. Auch wenn Lisa mit ihrem Geld keine grossen Sprünge machen kann, nimmt sie in der Mittagspause diesen dunkelroten Stern. Ihrer Kollegin wird sie Montag einfach Bescheid geben, damit sie das noch nachreichen kann. Sie ist sich sicher, dass egal welcher Wunsch dort noch draufsteht, sie ihn bis Montag besorgt hat und auch das letzte Kind glücklich ist. Die Zeit den Wunsch zu lesen hat sie nicht, denn sie muss weiter arbeiten und so steckt sie ihn in ihre Handtasche für später.

Zuhause fällt ihr der kleine rote Stern in die Hände und sie schaut neugierig wem sie noch einen Wunsch erfüllen kann. Auch wenn ihr Terminkalender, gerade die letzten Wochen vor Weihnachten, voll ist, wird sie morgen noch in die Stadt fahren und das Geschenk besorgen.
Stutzig dreht sie den Stern in ihren Händen. Auf den anderen Sternen stand ein Name, das Alter und der Wunsch und auf der Rückseite war der Stempel der Organisation, die diese Sterne in der Stadt verteilt hat. Bei diesem steht aber nichts von all dem drauf. In schönster goldener Schrift steht dort:
Lisa, schenke dir selber Zeit.
Zeit, um innezuhalten.
Zeit für deine Lieben.
Zeit ist kostbar.
Soll das ein Scherz ihrer Kollegen sein?
Sie hat da auch schon jemanden im Sinn und macht ein Foto, um es diesem jemandem zu schicken, doch als sie sich das Bild anschaut ist da nur ein dunkelroter Stern ohne Schrift.
Der Stern in ihren Händen hat aber eindeutig goldene Schrift.
Hat sie jetzt schon Halluzinationen?

Tage lang schaut sie diesen mysteriösen Stern nicht mehr an, sondern hetzt von einem Termin zum nächsten. Völlig erschöpft hat sie alles am letzten Tag vor Heiligabend erledigt und doch fehlte ihr die Zeit ihre Familie zu besuchen und eine gute Freundin anzurufen, die schon einige Male versucht hatte sie zu erreichen.
Zwischen den Festtage ist ja auch noch Zeit.
Als Weihnachten vorbei ist, ruft Lisa die gute Freundin an. Sie haben beide immer wenig Zeit, aber sie vergessen einander weder an Geburtstagen noch an Weihnachten.
Simones Mann geht ans Telefon.
"Hey Lisa."
"Hey Tom. Ich hoffe, ihr hattet schöne Weihnachten. Gibst du mir mal Mone?"
Stille an der anderen Seite und ein Räuspern.
"Lisa, das geht leider nicht."
Toms Stimme klingt unendlich traurig.
"Oh ist sie nicht da? Dann meld ich mich später."
"Lisa, Mone ist vor vier Tagen gestorben."
Was sagt Tom da? Gestorben? Mone? Das kann nicht sein.
Lisas Welt hört in dem Moment auf sich zu drehen. Die Zeit steht still. Das Einzige, das ihr einfällt, ist der kleine rote Stern, der an ihrem Weihnachtsbaum baumelt.

Lisa, schenke dir selber Zeit.
Zeit, um innezuhalten.
Zeit für deine Lieben.
Zeit ist kostbar.

Wie einleuchtend und wahr diese Worte doch sind.
Zeit ist so kostbar. Hetzt nicht von Termin zu Termin, sondern haltet inne, verbringt Zeit mit den Menschen, die euch etwas bedeuten, die ihr liebt. Die Zeit kann so schnell vorbei sein.
Jeden Tag beginnt der Sand durch die Uhr zu rieseln, aber wenn die Sanduhr ein Loch hat, dann rinnt euch die Zeit so viel schneller durch eure Hände. Und niemand sollte sich fragen, was wäre wenn und hätte.
Nein, geniesst jeden Augenblick. Behandelt ihn wie ein kostbares Geschenk.

Warten auf Weihnachten Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt