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  Am nächsten Tag war die Stimmung in der BAU schlecht.

Emily verspätete sich zum Meeting, weil sie Katie zuvor noch zum Arzt und anschließend zur Schule gebracht hatte und auch JJ und Morgan waren alles andere als gut gelaunt.
Spencer, dessen kleine Tochter wegen einer Mittelohrentzündung die halbe Nacht fiebernd und weinend von ihm durch die Wohnung geschleppt wurden war, schlief beinahe am Tisch ein.

Lediglich Hotchner versuchte das träge Team zum Arbeiten zu animieren, was nicht lange glückte, weil Derek mitten im Briefing einen Anruf bekam. Da sein Privattelefon klingelte und es offensichtlich wichtig schien, entschuldigte er sich und lief nach draußen.

Sein Gesicht verhärtete sich, als er auf die Nummer des Anrufers sah. Es war Hank. Sofort versuchte er zurück zu rufen, hatte jedoch nur die Mailbox am Apparat.
Nur wenige Sekunden später traf ein weiteres Lebenszeichen ein. Dieses Mal eine Kurznachricht.

„Ich hab Mist gebaut. Bitte hol mich aus der Patsche. Ich sitze in der 30. Straße an der Park Avenue und warte auf dich. Es ist dringend. Keine Cops."

Morgans Blick gefror. Das konnte jetzt wohl nicht sein Ernst sein.

Er saß mitten in der Besprechung eines neuen Falls. Er konnte hier jetzt nicht weg und ans Telefon ging Hank leider auch nicht.

„Scheiße", murmelte er. Das durfte doch alles nicht wahr sein.

Er wippte nervös mit dem Fuß auf und ab und war hin und her gerissen. Andererseits klang Hanks Nachricht dringend und er kannte seinen Jungen.
Sein Sohn schrieb solche Mitteilungen nicht wegen einer Kleinigkeit. Auch Hanks merkwürdiges Verhalten passte komplett ins Bild.

In einer Kurzschlussreaktion ging er zurück ins Nebenzimmer. Gut fühlte er sich nicht dabei, aber ihm blieb keine andere Wahl. Er musste es tun.

„Hotch? Ich hab einen familiären Notfall. Hank geht's schlecht und ich kann Savannah nicht erreichen. Wäre es okay, wenn ich ihn kurz abhole? Ich komme anschließend zurück ", unterbrach er seinen Chef, der nicht gerade begeistert schien. Das war zwar nicht einmal gelogen, aber noch ahnte Morgan nicht, was da wirklich auf ihn zukam.

„Wenn's denn sein muss. Na, los", machte ihm Hotchner viel sagend klar.

Mit ungutem Gefühl begab sich Derek in die Tiefgarage und startete den Wagen. Welchen Grund sein Sohn auch vorzuweisen hatte. Dieses Mal würde er nicht so ruhig bleiben. So langsam reichte es hin.
Eigentlich müsste Hank in der Schule sein. Warum war er nicht dort? Fragen über Fragen.
Als er in die Columbus Avenue einbog und in die besagte Seitenstraße fuhr, waren die Vorsätze plötzlich wie weggeblasen.

Ziemlich bleich und mit einer Platzwunde an der Stirn kauerte sein Sohn auf dem Fußweg. Es war sofort offensichtlich: Jemand hatte ihn zusammen geschlagen. Zum Glück lag die Straße etwas abseits, sodass nur selten Passanten vorbei kamen. Morgan parkte den SUV auf einem nebenstehenden Parkplatz und stieg aus, ehe er seinen Jungen kommentarlos in den Wagen zog.

„Was zur Hölle ist passiert?"

Hank antwortete nicht, krümmte sich stattdessen, weil er offenbar leicht angeschlagen war und sah schweigend vor sich durch die Windschutzscheibe.

Sie befanden sich nicht im besten Stadtteil von Washington DC, was man an den finster drein schauenden und am Wagen vorbei ziehenden Gestalten sichtlich erkennen konnte.

„Ich hab Mist gebaut. Großen Mist."

„Wer hat dich so zugerichtet? Verdammt, rede mit mir. Ich kann dir nur helfen, wenn du mit mir sprichst."

Völlig verzweifelt sah Derek seinen Jungen an, der mittlerweile den Tränen nahe schien.

„Ich bin in da in so was rein geraten und jetzt komme ich da einfach nicht mehr raus. Die Jungs aus meiner Clique meinten, ich müsste nur ein Päckchen Dope weiter leiten. Das habe ich auch gemacht und beim ersten Mal hat das richtig gut funktioniert. Ich wollte doch nur dazu gehören, aber beim zweiten Mal habe ich das einfach nicht gebracht. Der Kunde war noch jünger als Emmi. Der war maximal 10. Da hab ich kalte Füße bekommen und bin einfach abgehauen. Das Zeug hab ich anschließend ins Klo geworfen. In der Nähe der Bibliothek. Ich dachte, das kriegt keiner mit, aber die haben das irgendwie raus bekommen und jetzt will der Dealer das Geld zurück haben, in bar. 2000 Dollar. Die haben so lange gewartet, bis ich von der Turnhalle kam und mich anschließend zusammen getreten. Scheiße, Dad. Ich hab solche Angst."

Morgan fuhr sich ungläubig durch das Gesicht.
Irgendwie fühlte er sich wie im falschen Film.

„Sag mal bist du jetzt komplett verrückt geworden? Das kann doch nicht dein Ernst sein, oder?"
Hank begann stumm zu weinen.
Fassungslos über so viel Leichtsinnigkeit schüttelte Derek mit dem Kopf.

„Verdammt, das sind Gangs."

„Die bringen mich um", flüsterte der 14 Jährige leise und als Morgan zur Seite auf seinen sichtlich lädierten Sohn sah, hatte er wenig Zweifel an seinen Worten.
Es musste eine schnelle Lösung her.

„Pass auf. Ich bringe dich jetzt nach Hause. Anschließend fahre ich zurück zur B.A.U. Du wartest dort auf mich und gibst mir die Kontaktdaten dieses Bandenchefs. Den Rest klären wir dann."
Statt etwas zu sagen, griff Hank nach Dereks Hand und sah ihn flehend an.

„Du musst dich nicht für mich einsetzen."

„Werde ich aber", murmelte er, ehe er den Motor startete und mit vorwurfsvoller Miene zurück nach Hause fuhr...
____________



„Die hat echt Nerven aus Stahl."

Kopfschüttelnd saß Emily in der BAU und las zum wiederholten Mal die Nachricht ihrer Tochter, die sie über ihr Smartphone erhalten hatte.
Garcia, die interessiert zu ihrer Kollegin blickte, schmunzelte amüsiert.

„Will mich nach der Schule noch mit Jenna treffen. Wir besprechen unser erarbeitetes Referat. Darf ich gehen? LU Katie", las Emily die Nachricht auf ihrem Smartphone vor und zog skeptisch die Augenbrauen nach oben.

„Was zur Hölle ist jetzt wieder LU?", fragte sie in die Runde, weshalb Reid, der ebenfalls in der Nähe saß und gerade seinen Apfel verspeiste, resignierend abwinkte. In Technikfragen zog er eindeutig den Kürzeren.

„Das ist eine Abkürzung für love you, das bedeutet ich hab dich lieb", versicherte ihr Penelope. Emily lachte sarkastisch.

„Referat. Auf den Arm nehmen kann ich mich auch selbst. Meine Tochter und Referate. Das Referat heißt vermutlich Jason und ist 1,80 groß."

„Ich dachte ihr Angebeteter heißt Tyler?", mischte sich jetzt Rossi ein, der von seinem neusten geschrieben Buch aufsah und sofort die Aufmerksamkeit aller, insbesondere Emily auf sich zog.
Verblüfft sah Emily den Ältesten des Teams an.

„Mensch Rossi, da weißt du ja mehr als ich", kommentierte die Schwarzhaarige baff und ärgerte sich insgeheim darüber, dass ihre Kollegen offenbar mehr über ihre Tochter wusste, als sie selbst.

„Tja, Dave ist eben der Frauenversteher schlechthin", murmelte JJ und bekam daraufhin ein Grinsen von Reids Seite.

„Wie auch immer. Irgendwie hab ich da kein gutes Gefühl. Garcia, kannst du vielleicht ausnahmsweise nachsehen, ob sie sich wirklich mit jemandem aus ihrer Klasse trifft? Ich weiß, ich bin manchmal paranoid, aber seitdem Katie das Internet für sich entdeckt hat, bin ich wirklich vorsichtig geworden", merkte Emily entschlossen an. Vertrauen war ganz gut, Kontrolle umso besser.

„Wird erledigt, Liebes. Lässt du mir dein Telefon da? Dann kann ich Katies Nachrichten zurückverfolgen", bat Garcia.

Emily tat wie ihre Freundin gebeten hatte. Gerade im Moment, wo Kathryn sich unwillentlich von einer Gefahr in die nächste begab, ohne es wirklich zu beeinflussen, war sie dankbar darüber, dass Penelope über gute Recherchemöglichkeiten verfügte, auch wenn sich manchmal in ihr das schlechte Gewissen bemerkbar machte.

„Sag mal, mein Schokomuffin. Du sagst ja gar nichts?"

Morgan war völlig in Gedanken verloren und zuckte förmlich zusammen, als ihn Penelope ansprach. Plötzlich waren alle 5 Augenpaare auf ihn gerichtet. Die Blondhaarige IT Expertin hatte natürlich sofort bemerkt, dass etwas mit ihrem besten Freund nicht in Ordnung war.

„Ist es so schlimm mit Hank?"
Kleinlaut schüttelte er mit dem Kopf und wusste zeitgleich, dass er keine Chance hatte. Garcia merkte sofort, dass er log.

Tief im innersten fühlte er sich ziemlich schlecht dafür, immerhin verband er mit dem Team eine enge Freundschaft, die er nicht riskieren wollte. Und dennoch: Das hier war sein Deal. Das ging nur ihn und seine Familie etwas an.

„Nicht der Rede Wert. Nur Kreislaufprobleme aufgrund des Wetters."
Er konnte seinen Kollegen kaum in die Augen sehen.

Umso dankbarer war er, als Hotch aus seinem Büro kam, um den Rest der Besprechung fortzusetzen. Gedanklich war er ausschließlich bei seinem Sohn.

In seinem Kopf hatte sich ein Plan entwickelt. Allerdings war dieser alles andere als ungefährlich, denn sich mit Bandenführern anzulegen, blieb eine Tugend für sich. Derek war in einem Arbeiterviertel von Chicago aufgewachsen. Er wusste, was es bedeuten konnte, wenn man zwischen die Fronten geriet und wie schnell das Ausmaß schnell dramatisch werden und die Lage kippen konnte.

______________

Der Rest des Nachmittags zog sich unendlich in die Länge.
Glücklicherweise hatten sie keinen neuen Fall und konnten sich mit Weiterbildungsmaßnahmen befassen.
Morgan schien beinahe erleichtert, als er endlich nach Hause fahren und seinen Plan in die Tat setzen konnte. Emma war bei ihrer besten Freundin und Savannah bei ihrer Schicht im Betesda Krankenhaus, weshalb niemand außer Hank zu Hause war.
Zumindest dachte Morgan das, als er die Treppen nach oben lief.

„Großer, wo bist du?"

Beunruhigt schaute er in das Zimmer seines Jungen, erhielt aber keine Antwort. Das Bett war ordentlich gemacht. Nur von Hank fehlte jede Spur.
Hektik kam in seinen Körper, als er in sein Schlafzimmer schnellte und dann mit einem Mal völlig perplex auf den offenen Safe starrte. Sein Puls beschleunigte sich. Abwechselnd wurde ihm heiß und kalt.

Verdammt, das hatte er nicht wirklich gemacht. Das konnte nicht sein.
Schockiert lief er zu seinem Safe, aber es war eindeutig. Jemand hatte die Zahlenkombination eingegeben und er hatte eine böse Vorahnung wer das war.

Die sorgsam gesicherte Clock Pistole fehlte. Auch die Patronen waren verschwunden.
Hank kannte den Code.

„Verdammt!", schrie Derek und boxte mit der Faust gegen die Wand, ehe erneut Bewegung in seinen Körper kam.
Ein Blick auf sein Bett bestätigte Dereks Theorie.

Auf seinem Kopfkissen ruhte ein dahin gekritzelter Zettel samt der Mitteilung:

„Lass mich das selbst regeln. Danke für deine Hilfe."
Nervös presste er seine Zähne zusammen. Er musste seinen Jungen finden.  

children (criminal minds)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt