Die Liebe ihres Lebens

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Amelie war immer ein sehr fröhliches Kind gewesen. Kein Zufall, schließlich war sie in den ersten Tagen des März geboren - zu der Zeit, wenn das Leben begann. Blumen spießten, als sie die neue Welt erkundete, die ihr so fremd erschien. Sie erblicke andere Kinder, die im Sandkasten spielten, die Luft war rein, einige Vögelchen sangen. In den Blättern rauschte der Wind, bunte Farben mischten erklommen sich den Weg unter einem azurblauen Himmel. Er glich einem Ölgemälde, wie Amelie in ihren Gedanken meinte.

Links von Amelie lag ein kleines Kuscheltier, es war eine Katze, die sie zu der Geburt geschenkt bekommen hatte und die ihren Weg begleiten sollte. Rechts, auf der anderen Seite des des Kinderwagens, lag neben dem wenige Wochen altem Kind ihr erster Freund. Sie erhielt ihn viel früher als ihre Altersgenossen, viel früher konnte sie von einer Bekanntschaft gesegnet sein, die viele nicht verstanden, oder sie für selbstverständlich hielten. Beides nimmt sich nicht viel in er Erklärung der kommenden Erzählung.

Amelie war ein sehr lebendiges Kind, sie lebte in einem kleinen Raum bei einer viel größeren Familie. Sie spielte viel mit ihren Puppen, als sie größer war, setzte sie sich an ihr kleines Doppelfenster und zähle die Regentropfen, die am Fensterglas hinunterliefen. Von dort aus konnte sie auf die Straße blicken, auf die Menschen, die da unten lang liefen, bevor ihre Mutter sie ins Bettchen brachte. Sie ganz alleine, ihren Freund hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht bemerkt. Viel mehr war es, dass Amelie ihrem Freund alles anvertraute. Er war wie ihr Schatten, egal wo sie sich befand, egal wie hell es dort war, er war immer an ihrer Seite und wurde durch die Helligkeit nur viel Stärker, als sonst.

Abends erzählte sie ihrem Freund Geschichten, ganz viele kleine, von denen, die sie witzig fand, von denen, die sie traurig machten. Sie brauchte keinen mehr, der ihr nicht zu hörte, wenn sie was zu sagen hatte - oder der ihr Vorwürfe machte, weil sie so war, wie sie war. Sie war in diesem Moment so glücklich, so losgelöst. Sie war fast schon wie die Vögel, die sie damals sah, als sie unter blühenden Kirschbäumen mit ihrer Oma ging. Sie hatten die Hände ineinander gelegt und der Oma war immer aufgefallen, wie kalt sie doch waren. Amelie dachte, das wäre normal.

Als Amelie älter wurde, ungefähr zu Grundschulzeiten, da unterhielt sie sich oft mit ihrem Freund, der schon immer bei ihr gewesen war und sie niemals verlassen hatte. Sie unterhielt sich im Unterricht mit ihm, wenn sie wieder ganz unordentlich war, auf dem Pausenhof, wenn die anderen alle Teamkämpfe spielten und Amelie nicht Teil des Teams war. Sie spazierte mit ihm zusammen unter den Laubbäumen, die im Herbst ihre Blätter verloren, spielte „Fangen" und „Verstecken", doch ihr Freund fing und entdeckte sie immer. Amelie fand das schön, doch Amelie war nie so einsam, wie ihr Freund es ihr immer sagte. Sie hatte ihn und damit war sie glücklich. Weder Mutter noch Vater, weder Lehrerin noch Lehrer. Für sie war alles normal, wie es war. Entweder nannten sie es „unverweigerlich", „Eigenverdienst" oder sie hatten vor lauter Ignoranz ganz vergessen, dass Amelie überhaupt existierte. Warum sollte ihr Freund also recht haben?

Amelie hatte ihre Mutter nie gefragt, ob ihr etwas aufgefallen war. Zu ernüchternd wäre die Antwort gewesen, dachte sie. In diesen Momenten war ihr Freund immer ganz besonders nah, sie freute sich dann, denn sie war nicht mehr so unglücklich darüber, was passierte. Denn immer, wenn sie zu eine Geburtstagsfeier nicht eingeladen wurde, immer, wenn man ihr zeigte, wie sehr sie es doch verdiene, verachtet zu werden, immer, wenn sie im Schwimmbad ausgelacht wurde, immer dann wand sie sich an ihren guten Freund. An den, der sie niemals losließ, auch wenn alle anderen das Taten. Amelie hatte einen echten Freund gefunden, jemand, der viel wichtiger war, als die Existenzen, die um sie herum existierten.

Sie solle immer an sich selber glauben, meinte ihre Mutter. Eigentlich meinten das alle, egal wer mit ihr kollidierte. Egal, welchen Lebenslauf die Person hatte. Häufig waren es dieselben Leutchen, die ihr rieten „sie selbst zu sein", die auch sagten, dass man sie anders vielleicht lieber möge. Aber warum sollte sich Amelie für die anderen verändern, wenn sie doch einen so tollen Freund besaß, der immer für sie da war.

Die Liebe ihres LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt