-One-Hundred-And-Fourty-Nine-

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Song Empfehlung des Hauses für dieses Kapitel:

She's in the rain von The Rose.
~Cookie

~~~

Heute war es soweit.

Jisungs Todestag.

Seit mittlerweile einer kompletten Stunde saß ich vor seinem Grab und starrte die Inschrift auf dem dunklen Stein an. Die Tränen auf meinen Wangen waren glücklicherweise getrocknet, meine Stimme war ein wenig heiser vom Weinen und mein Kopf war geleert. Wieder einmal hatte ich Jisung alles erzählt, was mir in den Sinn gekommen war, mindestens einhundert Mal gefragt, wieso er mich in dieser Welt allein gelassen hatte, warum ich ausgerechnet zu Got7 gekommen war, weshalb diese Jungs sich in meinem Herzen breit gemacht hatten und weswegen ich mich nun so allein führte, wenn ich doch so viele Menschen inzwischen um mich herum hatte, die mir etwas bedeuteten.

Noch immer war ich der Meinung, dass das Leben einfach unfair war. Aber wenigstens fing ein Licht an, für mich zu leuchten. Ein kleiner Stern, der langsam zu einer großen Sonne heranwuchs.

Da ich völlig in meinen Gedanken war, hier keine andere Menschenseele und keine Geräusche die Stille durchbrochen hatten, vernahm ich recht schnell die Schritte, die sich langsam annäherten. Die Person versuchte leise zu sein, aber auf einem absolut stillen Friedhof war das nicht möglich. Egal, wie gedankenverloren und unaufmerksam ich dadurch war.

Doch dann setzte sich diese Person neben mich und meine Augen kuschten kurz zur Seite. Ich saß auf dem gesteinerten Weg, da keine Bank genau vor Jisungs Grab stand und erst, als ich den Schirm über mir wahrnahm, registrierte ich, dass es angefangen hatte zu regnen. Aber das war mir egal. Ich würde Jisung an seinem Tag nicht allein lassen. Niemals.

"Geh weg, JB", murmelte ich leise. Normalerweise benutzte ich seinen richtigen Namen, weil es für mich angenehmer war. Dann fühlte ich mich nicht so distanziert, hatte weniger das Gefühl, dass die Jungs Idols waren, sondern konnte sie wie normale Menschen behandeln. Bis auf Bambam. Aber das lag daran, dass er zu mir sagte, dass er immer an etwas Ernstes dachte, wenn man seinen richtigen Namen benutzt. Doch heute wollte ich diese Distanz. Ich brauchte sie.

"Warst du oft hier?" Ohne auf meine Aussage einzugehen rutschte Jaebum ein wenig näher zu mir. Auch sein Blick ruhte auf dem Grab und den Schirm stellte er so hinter uns ab, dass wir beide von ihm geschützt wurden.

"Jedes Jahr nur einmal. Ich gehe ja normalerweise auch nur einmal nach Jeju. Und das eben an seinem Todestag", erklärte ich leise. Got7's Leader legte nun einen Arm um meine Schultern, um mich näher an ihn heranzuziehen und wehrlos ließ ich das zu, lehnte sogar meinen Kopf an seine Schulter. Ich brauchte gerade jemanden, egal, wie sehr es mir missfiel, das zuzugeben. Und niemand konnte mir besser Ruhe und Wärme schenken als Jaebum.

"Er fehlt dir, nicht wahr?"

"Ja."

Stille entstand wieder zwischen uns beiden und ich spürte, wie wieder Tränen in meine Augen steigen wollten. Doch das ließ ich nicht zu. Ich wollte nicht erneut weinen. Das hatte ich schon zu oft und zu lange getan. Ich musste lernen, stark zu werden und auf eigenen Beinen zu stehen.

Na ja... irgendwann zumindest...

Auch Jaebum schwieg und streichelte einfach mit seiner Hand über meinen Arm, was ich sichtlich genoss. Es beruhigte mich, jemanden bei mir zu haben, der sich um mich sorgte und für mich da war. Er brauchte keine Worte dafür, lediglich seine Anwesenheit beruhigte mich beinahe vollständig. Außerdem würden mich Worte nur zum Weinen bringen. Das wusste Jaebum. Er kannte mich. Vielleicht besser, als ich mich selbst.

Stumm lauschte ich den Regentropfen, die auf den Schirm herunter prasselten. In K-Dramen waren solche Momente ja romantisch und süß, doch gerade lag keine Liebe in der Luft. Zwischen mir und Jaebum gab es nichts in diese Richtung. Er war für mich eher ein... ein großer Bruder. Er war für mich der große Bruder, den ich nie hatte.

Ja... ja, das war er. Und nichts konnte dem widersprechen.

"Wann wirst du es Youngjae sagen?", fragte Jaebum schließlich leise, so als hätte er Angst, ich würde mich erschrecken, wenn er lauter sprach. Das war natürlich absurd, aber dennoch süß, da es wieder seine Sorge zeigte, die er ganz mir widmete.

Jinyoung hatte sich wirklich den richtigen Freund geangelt.

Aber etwa im selben Augenblick wurde mir klar, auf was er anspielte und ich schaute sofort zu ihm.

"Was?"

"Na, dass du ihn liebst. Denkst du wirklich, ich habe das nicht bemerkt?", lächelte er sanft. Trotz der Sicherheit in seinen Worten war er vorsichtig, vermutlich, um mich nicht versehentlich zu verletzen und strich über meine Wange. Dabei steckte er auch eine lose Haarsträhne zurück hinter mein Ohr und nun richtete ich meinen Blick auf die grauen Steine, die sich langsam durch den Regen dunkler färbten.

"Ich... ich weiß es noch nicht. Ich weiß ja nicht einmal, ob er etwas für mich empfindet", murmelte ich leise, deutlich deprimiert. Seit der Beziehung mit Bambam war ich vorsichtiger mit meinen Gefühlen geworden. Dabei wusste ich ganz genau, dass es dieses Mal echte Gefühle waren. Sie fühlten sich denen, die ich gegenüber Jisung empfunden hatte, so ähnlich an... das hatte ich in den letzten Tagen leider feststellen müssen.

"Er mag dich auf jeden Fall sehr", versuchte mich Jaebum zu ermutigen, jedoch führte das nur dazu, dass ich leise schnaubte.

"Ganz Got7 mag mich sehr."

"Stimmt auch wieder...", musste nun auch der Ältere zugeben und kurz war es still zwischen uns, weil er sich offensichtlich überlegen musste, was er als nächstes sagte. Dennoch entschied er sich für die richtigen Worte. Das tat er immer. Eine Fähigkeit, die jeder Leader besitzen sollte. "Aber vergiss nicht, Miso, solltest du Hilfe brauchen, ich bin jederzeit für dich da."

Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich schloss meine Augen, um mich mehr auf seine Nähe konzentrieren zu können. Dabei kam mir mein vorheriger Gedanke zurück in den Kopf und gleichzeitig blitzte Jisungs Gesicht vor meinen inneren Auge auf. Er war der einzige, den ich je 'Oppa' genannt hatte, da diese eigentliche Höflichkeitsform für mich eine viel tiefere Bedeutung hatte. Wenn ich jemanden 'Oppa' nannte, dann öffnete ich mich der Person vollständig und vertraute ihr. Wie beispielsweise einem älteren Bruder, der auf mich aufpasste. Ein wirklicher, großer Bruder und nicht einfach eine ältere, männliche Person.

Und ja, genau das war Jaebum für mich. Und er sollte es endlich wissen.

"Danke... Jaebum-Oppa."

Wieder kehrte Stille ein. Ich öffnete langsam wieder meine Augen und schaute zu ihm auf. Er erwiderte mein sanftes Lächeln, deutlich breiter als ich und anhand dem Funkeln in seinen Augen erkannte ich, dass er sich sehr darüber freute, von mir 'Oppa' genannt zu werden. Als wüsste er ganz genau, was dieses Wort für mich bedeutete.

Wir beide versanken wieder im Schweigen und stumm schaute ich das Grab an. Meine Gedanken wanderten ungewollt zu Jisung und auf einmal fiel mir etwas ein, was ich Jaebum unbedingt sagen wollte. Er hatte es verdient, diese Worte zu hören und es war an der Zeit, sie auszusprechen.

"Ich glaube, Jisung hätte dich gemocht", murmelte ich ehrlich und lehnte mich mehr an seinen warmen, Trost spendenden Körper. Ich spürte genau, dass Jaebum verwirrt zu mir hinab sah, doch mein Blick ruhte weiterhin auf dem Grab meines Exfreundes.

"Warum das?", wollte er letztlich leise wissen, als ihm klar wurde, dass ein fragender Blick allein nicht für eine Antwort ausreichte. Das kleine Lächeln auf meinen Lippen wurde breiter und es fühlte sich so an, als würde ein großes Pflaster auf das klaffende Loch in meinem Herzen geklebt werden, das Jisung hinterlassen hatte und das meine Freunde bereits versucht hatten, wieder zusammenzunähen. Aber ausschließlich Got7 war dazu in der Lage, es zu heilen. Ich musste es nur zulassen. Und endlich, endlich tat ich das. Es wurde immerhin Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen und mich ganz auf die Zukunft zu konzentrieren.

Die Zukunft, die ich dank den sieben Jungs hatte.

"Weil du auf mich aufpasst und dich um mich kümmerst. Jisung meinte immer, ich brauche so jemanden... und da er nun nicht mehr da ist, nimmst du diesen Platz ein. Darum wäre er dir sicherlich dankbar, würde er noch leben... mindestens genauso sehr, wie ich es bin..."

I Got 7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt