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BONUS - Die Sünden der Väter - 1

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Labor 8

Walhalla 23 - Tief im Inneren des Brockenberges

Ehemaliges Deutschland, 2158


Professor Doktor Heinrich Hagen hustete in sein rotes Taschentuch - rot, damit niemand das Blut darauf erkennen konnte. Der Hustenanfall brach ebenso gewaltsam wie abrupt über den Wissenschaftler herein und hätte sich keinen schlechteren Zeitpunkt suchen können. Er schüttelte Hagens schlaksige, zwei Meter große Gestalt und der Forscher kämpfte darum, kein Blut auf seinen weißen Laborkittel zu bekommen. Schweiß trat ihm auf die Stirn bei dem Gedanken, was ihn dies kosten könnte; keiner durfte wissen, wie es um ihn bestellt war. Keiner. Weder die ihm unterstellten Wissenschaftler, welche im Labor herum flitzten und die letzten Vorbereitungen für das Experiment trafen, und erst recht nicht ... er.

Hagen warf einen vorsichtigen Seitenblick zu seinem Gast, dem Grund seiner Sorge, und musste zu seiner Erleichterung feststellen, dass ihn anzusehen seinen Husten beruhigte. Wie ein Schreck, der einen Schluckauf beendete.

Amadeus Gruber, der Odin von Walhalla und damit der vielleicht mächtigste Mann der Welt, war eine schmerzhaft dünne Präsenz. Hochgewachsen und asketisch mager, gekleidet in einen makellosen viktorianischen Dreiteiler ganz in Schwarz. Sein einziges Zugeständnis zu Farbe war eine purpurne Krawatte, an welcher eine Diamantnadel glänzte. Purpur. Die Farbe der Könige, der Kaiser, und die des Todes. Eine weiße Mähne dünnen Haares fiel sanft auf seine Schultern und umgab ein hageres Totenschädelgesicht. Wenn Hagen ihn ansah, wurde er immer an die Abbildungen der apokalyptischen Reiter erinnert. An Tod und Pest ... und natürlich Hungersnot.

Zu denken, dass diese Kreatur einst sein bester Freund gewesen war...

Etwas zog sich in Hagen zusammen, als der Odin sich langsam umdrehte und ihn mit grauen Augen musterte. Fast so, als hätte er seine verräterischen Gedanken gelesen. Das eine Auge war kalt wie Stahl. Das andere war aus Stahl – ein seelenloser Orb, ohne jegliche Iris oder Pupille – das Auge des Odin, Zeichen seines Amtes und der wohl mächtigste miniaturisierte Supercomputer, der jemals gebaut worden war.

„Alles in Ordnung, alter Freund?", fragte Gruber. Seine Stimme passte zu seinem Erscheinungsbild. Kalt, kultiviert und kratzig, wie das Rascheln von Blättern im Winterwind.

Hagen räusperte sich und ließ das Taschentuch verschwinden. „Hmmm? Ja, alles bestens, Amadeus. Nur ein verschleppter Husten. Kaum der Rede wert."

Der Odin schüttelte langsam den Kopf und wandte sich wieder dem Panzerglasfenster zu, welches die gesamte Länge der Wand vor ihm einnahm. „Das hört sich nicht so an ... Sei so gut und melde dich diese Woche in der medizinischen Abteilung für eine ausgiebige Untersuchung. Du bist zu wichtig für das Projekt, als dass wir es uns leisten könnten, dich zu verlieren. Am besten, du nimmst dir ein paar Tage frei, sobald wir hier fertig sind. Verbring' etwas Zeit mit deiner Tochter - wie geht es Leonora überhaupt?"

Eine kalte Hand schloss sich um Hagens Herz. „Bestens. Sie liebt ihre Arbeit, auch wenn wir uns wegen ihrer Schichten nur noch selten sehen. Meist schläft sie schon, wenn ich nach Hause komme, aber was will man machen?"

Gruber seufzte und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Wartungstechnikerin ... Eine Verschwendung ihrer Talente. Leonora sollte dir dabei helfen, die Fehler in Archetype auszubügeln, oder ihre Fähigkeiten wenigstens einem der anderen Projekte beisteuern. Ich kann immer noch nicht verstehen, wie ich mich von dir dazu überreden lassen konnte, ihrem Stellungsgesuch zuzustimmen."

Hagen gab sich leichthin und lachte auf. „Oh glaub mir, das Thema hatten wir oft. Doch meine Nora ist ein praktisch veranlagtes Mädchen und liebt es, sich die Hände schmutzig zu machen." Seine Stimme verlor etwas von seinem Elan. „In der Hinsicht ist sie wie ihre Mutter." Er räusperte sich. „Geben wir ihr noch etwas Zeit. Es ist besser, einen bereitwilligen Mitarbeiter zu haben als einen rebellischen. Früher oder später wird ihr das Herumkriechen in alten Tunneln zu anstrengend – oder, was wahrscheinlicher ist – zu langweilig werden. Dann wird sie angekrochen kommen und um eine Position im Team betteln. Wirst schon sehen."

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