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Promises

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Leonora fuhr herum, als grelles Neonlicht auf sie und Anskar fiel. 

Nein-Nein-Nein-Nein! Nicht jetzt. Nicht so!

Ihre Augen weiteten sich, als sie den hageren Mann mit Nickelbrille, weißem Laborkittel über blauem Overall und tiefen Aknenarben erkannte. Tobias Specht, ein Assistent ihres Vaters. Ein paar Jahre jünger als sie selbst, sah er aus wie ein wandelndes Klischee: Ein Nerd, komplett mit Einstecketui für Stifte in der Brusttasche seines Kittels.

Was zur Hölle macht er hier!?

Leonora erstarrte wie ein Kind, das mit den Fingern in der Keksdose erwischt worden war. Der Laborassistent blätterte abwesend durch ein abgegriffenes Taschenbuch und trat ein. Noch hatte er sie nicht bemerkt.

Ruhig, ohne plötzliche Bewegung, erhob sich Anskar von seinem Hocker und schritt auf den Mann zu, der geistesabwesend murmelte: „Hey, Brecht. Ich bin durch mit deinem Buch. Ist nicht wirklich was für mich, aber danke dass—" Er hob seinen Blick und verstummte, als Anskar über ihm emporragte und starrte den vermeintlichen Wartungstechniker, dann Leonora überrascht an. „Was? Wer? Fräulein Hagen? Sind Sie das? Wo ist—" Die mausgrauen Augen hinter den dicken Brillengläsern weiteten sich, als das Licht vollends auf Anskars Züge fiel. Das Buch entglitt seinen kraftlosen Fingern. 

Er weiß es, schoss es Leonora durch den Kopf. Er weiß es!

Der Wissenschaftler setzte zu einem Schrei an, doch kein Laut kam über seine Lippen. Anskar schnellte vor und seine Hände schossen hoch. Die eine legte sich auf den Mund von Tobias, die andere in seinen Nacken; dann brach er ihm mit einer brutalen Drehung das Genick. Das Knacken der auseinander gedrehten Halswirbel hallte unendlich laut in Leonoras Ohren wider. Der Forscher erschlaffte, wie eine Marionette, der man die Fäden durchtrennt hatte.

Anskar fing den Toten mühelos auf und schleifte ihn tiefer in den Raum, sein Gesicht eine emotionslose Maske, die Augen kalt und leer. Dies änderte sich einen Moment später, wurde ersetzt von einem Ausdruck namenlosen Grauens. Er ließ die Leiche zu Boden fallen, als stünde sie in Flammen. Wenn überhaupt möglich, wirkte Anskar noch schockierter als Leonora.

Der Ausdruck des Grauens in seinem Gesicht spiegelte sich in Leonoras. Sie warf den Schock ab wie einen Mantel, sprang vor und betätigte den Schließmechanismus des Schotts. Die schwere Metallschleuse hatte sich kaum geschlossen, als sie mit funkelnden Augen herum fuhr und Anskar anfauchte. „Du Irrer! Warum hast du das getan?"

Anskar taumelte unter ihren Worten. „Ich ...", setzte er an und starrte auf seine Hände, so als gehörten sie jemand anderem.

„Was bist du? Ein gottverdammter Psychopath? Er war nur halb so groß wie du! Hättest du ihn nicht einfach k.o. schlagen können?"

Anskar hielt ihr seine Hände flehentlich entgegen und stammelte: „Bitte. Ich ... ich weiß nicht, warum ich das getan habe. Ich wollte nur ... Ich ..." Er brach ab, schluckte und rang nach Worten. „Es geschah automatisch. Ein Reflex! Bilder rasten durch meinen Kopf und ... Gefühle. Angst. Zorn. Und als nächstes lag er tot in meinen Armen." Er sah sie verzweifelt an.

Sie tat es. Körperhaltung, Mimik, ja sogar sein Geruch brüllten förmlich danach, wie verstört er war.

Finsternis! Das hätte nicht passieren sollen. Rein und raus wie der Wind. So war der Plan. Keine Opfer. Und jetzt? Erst Papa und nun das.

Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und begann, vor Anskar auf und ab zu gehen. Der Vernarbte ließ sich entkräftet in einen Stuhl fallen und stierte erschüttert seine Hände an. Mit einem Mal tat er ihr leid.

Anskar blickte sie an, der Ausdruck in seinen Augen verloren, voll von Schmerz.

Leonora seufzte. Du musst ihn besser kontrollieren. „Schon ok, Skar", sagte sie und machte einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu. Ein dünner Schweißfilm bildete sich auf ihrer Haut.

Anskar wich ihrem Blick zuerst aus, doch fand sich alsbald unwiderstehlich von ihren Augen angezogen. Augen, die sogar in der Düsternis des Labors seltsam hell leuchteten und seinen Blick einfingen wie das Funkeln eines Prismas.

„Schon ok", sagte Leonora, ihr Tonfall warm und schwer wie Honig. „Alles ist ok. Ich bin dir nicht böse. Es war ein Unfall."

Anskar sah aus, als wolle er ihr zuerst widersprechen, nickte dann jedoch zögerlich und sprach ihr träge nach: „Ein Unfall."

„So ist es. Nur ein Unfall." Sie trat an ihn heran und hüllte ihn in die Wolke aus Pheromonen, die von ihrem Körper ausging. Noch nie war es ihr derart leicht gefallen, die Gaben, die ihre Veränderung brachte, einzusetzen. Ihr betörend weiblicher Geruch erlaubte es Leonora, ihren suggestiven Griff enger um Anskar zu legen. Ihn in ihren Bann zu schlagen. Mit einem hatte ihr Vater Recht gehabt: sein Blut gab ihr Stärke – eine Stärke, die sie nutzen würde, um seinen letzten Wunsch zu erfüllen.

„Ich weiß, du hast Angst", flüsterte sie. „Das alles muss verstörend und neu für dich sein. Aber du musst mir vertrauen. Ich will dir nichts Böses, ich will uns beide von diesem Ort wegbringen. Aber ..." Ihr Blick huschte zu Tobias Leichnam. Er lag auf seinem Bauch, doch sein Blick war zur Decke gerichtet. Sie unterdrückte ein Schaudern. „... aber nicht so. Ich weiß, das ist verwirrend für dich. Aber dieser Ort war Zeit meines Lebens meine Heimat. Diese Leute sind ... waren meine Freunde. Ich ... Ich wünsche ihnen kein Leid, solange es sich vermeiden lässt. Verstehst du?"

Anskar starrte sie müde an, nickte aber. Langsam sickerten ihre Worte, ihr Wille, in seinen Verstand, machten ihn zu dem Werkzeug, das sie brauchte. Sie fuhr sich heimlich mit ihrem geschärften Zeigefingernagel über die Innenseite ihres Daumens. Ein Tropfen Blut, rot und schwer wie die Sünde, quoll träge hervor.

„Du musst auf mich hören, Skar. Verstehst du? Keine Morde mehr. Nicht, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt", sagte Leonora und strich mit ihren Händen über seine Wangen. Anskar nickte schwer und brachte ein gezwungenes Lächeln hervor. Leonora erwiderte dieses und strich den Tropfen Blut in einer zärtlichen Geste auf seine Lippen.

„Versprich es", bat Leonora.

Anskars Zunge schnellte reflexartig hervor, um die Feuchtigkeit auf seinen Lippen zu kosten. Einen Herzschlag später erschauderte er und stieß einen Seufzer aus. Fast augenblicklich verengten sich seine Pupillen auf Stecknadelgröße. Alle Anspannung wich aus ihm und einen Moment später rollte eine Träne über seine Wange. Er lächelte.

„Was immer du willst, Nora", beteuerte ihr Anskar und sah sie an, als sei sie die Liebe seines Lebens.

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