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Ich hasse Beerdigungen schon seit ich denken kann. Das Witzige dabei ist, dass ich auf die meisten Leute wie jemand wirke, der total auf so etwas steht.

Wobei es nicht einmal die Tatsache ist, dass jemand gestorben ist, weswegen ich Beisetzungen nicht ausstehen kann. Mich stören die vielen Leute um mich herum, die alle heulen und mich umarmen wollen und mir ihre leeren Beileidbekundungen zukommen lassen. Und ich hasse es, dass meine Familie so tut, als würden die Worte, Blumensträße und Karten der Leute wirklich etwas für sie ändern.

Außerdem ist unser ganzes Haus voll mit Auflauf. Immer noch. Meine Mom hat sich einen zweiten Gefrierschrank angeschafft, der jetzt in der Waschküche steht und bis zum Rand mit mal mehr, mal weniger liebevoller Kochkunst vollgestopft ist. Die Bandbreite reicht von relativ gewöhnlichen Rezepten wie Nudel- und Kartoffelauflauf bis zu solchen, die schon vom Namen her ungenießbar klingen wie Bananen-Speck-, Kohlrabi-Hack- und Auberginen-Curryauflauf. Sicher ist das lieb gemeint und ich finde ja auch, dass das eine praktische Möglichkeit für die Schenker ist, alte Lebensmittel loszuwerden.

Aber ich meine mal ganz abgesehen davon, dass Rose so gut wie nie gekocht hat - zumindest nicht für uns - und es deshalb unlogisch ist, meiner Familie Essen zu schenken - Warum fangen die erst jetzt damit an? Gut neun Monate später?

Die alte Mrs Paddington kam ein paar Tage vor der Beerdigung mit dem ersten Exemplar in den Händen und einem gutmütigen Lächeln auf den Lippen zu uns. Sie ist so etwas wie ein Dinosaurier in unserer Straße, eigentlich müsste man Eintritt bezahlen, um sie sehen zu können - nur dass es nichts Interessantes zu beobachten gibt, weswegen ihr habgieriger Enkel, der es an jedem zweiten Wochenende im Monat erübrigt zu erscheinen, die Idee wohl noch nicht verwirklicht hat. Auf jeden Fall habe ich mich gewundert auf einmal Essen zu bekommen, habe mir aber gedacht, dass das ja auch nichts Anderes ist, als beim Pizza Service anzurufen - bis das Ganze irgendwann Überhand genommen hat, denn durch Mrs Paddington haben sich die anderen Nachbarn auch dazu animiert gefühlt, längst verstaubte Kochbücher herauszukramen und diverse Gemüsesorten mit ganz viel Liebe und Käse zu überbacken, um die Nährstoffversorgung der Familie Cavendar zu sichern.

Aber wenn Rose wirklich diejenige gewesen wäre, die dafür gesorgt hat, dass wir alle nicht vom Fleisch fallen, dann wären wir mittlerweile genauso tot wie die Polizei es von ihr behauptet - oder wir hätten uns angepasst.

Apropos Tod: Wenn jemand beerdigt wird, heißt das, dass es einen Todesfall gab. Zumindest im Regelfall, Ausnahmen bestätigen den ja bekanntlich. Verschenken diese vermeintlich freundlichen Nachbarn, Freunde und Familienmitglieder ihre fetthaltigen Speisen etwa mit dem Hintergedanken, die restlichen Verbliebenen - in diesem Fall uns - auch noch zur Strecke zu bringen? Wollen die vielleicht, dass wir an Leberverfettung sterben?
Kurzum: Beerdigungen langweilen mich. Ich finde sie heuchlerisch und schlichtweg unnötig und ich kann nicht verstehen, wie irgendjemandem damit geholfen wird, denn der Verstorbene selbst zum Beispiel wird schließlich schlecht aus seinem Sarg, oder in diesem Fall aus seiner Urne, klettern und etwas sagen wie: "Hey, danke, dass ihr alle da seid. Die Musikauswahl ist ganz hervorragend, echt lieb von dir, Onkel Thomas! Und der Sarg erst, wow, ihr seid klasse!"

Aber am allermeisten ärgert mich diese Beisetzung. Ich meine, wen wollen sie hier beerdigen? Sie vergraben eine leere Urne. Ich glaube nicht, dass Rose noch lebt. Aber genauso kann ich nicht glauben, dass sie tot ist.

Ich brauche etwas Handfesteres, als die Vermutung irgendeines Lokalpolizisten, der meint, dass sie etwa 150 Meilen nördlich von uns im Harrison River ertrunken ist. Ich weiß nicht einmal, wie die Polizei darauf kommt. Irgendetwas haben sie wohl gefunden; Haare, Kleidung - was weiß ich; worauf die bei der Spurensicherung eben so scharf sind. Ein paar Polizisten haben alles ganz genau mit uns durchgesprochen, aber Blut hat begonnen so heftig in meinen Ohren zu rauschen, dass ich kein Wort verstanden habe und irgendwann einfach aufgestanden und ins Badezimmer gerannt bin, um meinen spärlichen Mageninhalt über der Kloschüssel zu entleeren. Das war vor ein paar Wochen.

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