III

18 1 0
                                    

Faye saß am Rand der Aimiklippe, ließ die Beine am Abhang baumeln und beobachtete die glutrote Sonne, die ihre Strahlen über die weit entfernten Berge warf. Neben ihr, im kalten Gras, lagen drei Kaninchen mit je einem Loch zwischen den Rippen, das der Pfeil beim Aufprall hinterlassen hatte. Fayes erster Teil der Aufgabe war, bis Sonnenuntergang so viele Kaninchen im Wald zu jagen, wie es ihr nur möglich war, aber ihre Jagd war von einem falschen Schritt den Berg hinab beendet worden. Ihr darauf folgender Schmerzensschrei verjagte alle Tiere im Umkreis mehrerer hundert Fuß. Und so saß sie schon einige Zeit, bis sie, ihr verletztes Bein nicht zu sehr belastend, schließlich aufstand und in Richtung des großen Felsens humpelte, die Kaninchen in ihrer Linken haltend, rechts ihren Bogen.
Kaum, dass sie angekommen war, kam ihr ein vollbärtiger, stämmiger Mann entgegen. Er betrachtete sie durch seine zu Schlitzen gepressten Augen abschätzend, seine kaum sichtbaren Pupillen flogen zwischen ihrem Gesicht, den Kaninchen und der Verletzung hin und her. Faye stand nur da, darauf achtend, dass sie ihr Gesicht nicht verzog, wenn sie ihr Bein belastete. Irgendwann sagte er mit einer tiefen Stimme: „Gut gemacht, drei Kaninchen sind nicht schlecht. Dir macht es doch sicher nichts aus, wenn ich das halte?" Der Mann nahm Faye die Kaninchen und ihren Bogen samt Pfeilen ab. Sie ließ es zu, ohne mit einer Wimper zu zucken. Er fuhr fort: „Deine nächste Aufgabe findet eigentlich erst um Mitternacht statt, aber da du dich verletzt hast, schieben wir die Heilerprüfung vor. Kümmere dich um dein Bein, sämtliche Hilfsmittel sind erlaubt. Sei um Mitternacht fertig und bereit für die nächste Prüfung." Mit diesen Worten drehte er sich von Faye weg und verließ, mit ihrer Ausrüstung und ihrem Abendessen in spe, den großen Platz. Erst stand sie verdutzt da, nach kurzer Zeit verstand ihr übermüdeter Geist jedoch, was soeben passiert war. Hätte sie noch die Kraft dazu, würde sie sich gehörig darüber aufregen, dass sie wahrscheinlich die schwierigsten Prüfungen absolvieren musste. Stattdessen sackten ihre Schultern nach unten und sie schlich davon, in Richtung einer mondbeschienenen Wiese, auf der die Heiler ihres Stammes Kräuter sammelten. Faye musste unwillkürlich an Amea, ihre ehemalige Pflegerin denken. Sie war der verständnisvollste Mensch gewesen, den sie kannte. Wenn sie die Zeit dazu gehabt hätte, hätte sie sich jetzt am Liebsten bei ihr ausgeweint.
Aber jetzt war dieser Augenblick da, auf den sie mit all den gleichjährigen Kindern all die Jahre gewartet hatte. Und sie musste die Prüfungen einfach schaffen, sonst läge vor ihr eine Zukunft als Ausgestoßene. Könnte sie das überhaupt Zukunft nennen, so ohne Stamm?

Als Faye auf die Wiese trat, schien es ihr so, als hätte der Mond sein Licht doppelt so hell scheinen lassen, als zuvor. Sie sah sich um. Ein kleiner Fluss schlängelte sich über die Wiese, das Licht des Mondes spiegelte sich auf seiner Oberfläche. Dicht neben ihr wuchsen trichterförmige, gelbe Blumen aus dem Boden, ein wenig weiter rechts eine Ansammlung von dichtem Moos, das auf irgendeine Weise zu pulsieren schien. Am Ende der Wiese, dort, wo das Licht des Mondes langsam im nächsten Wald verschwand, standen dünne Stängel, an denen im Vergleich überproportional große, dicke Blätter hingen. Faye tat, fasziniert und bezaubert von der Vielfalt der Wiese, einen Schritt nach vorne. Und noch einen. Sie drehte sich im Kreis, konnte den Blick kaum von den hypnotisch umherschwirrenden Glühwürmchen heben. Sie schloss die Augen und atmete tief die Luft über der Wiese ein, es war fast so, als würde sie Mondlicht trinken. Dieses unbeschreibliche Gefühl sollte noch eine Weile anhalten.
Faye bückte sich nach dem Moos und streckte ihre Hände danach aus. Das Moos streckte sich ihr entgegen. Faye stockte der Atem, als sich das lange Moos langsam an ihrer Handinnenfläche hochbewegte und zwischen ihre Finger fuhr. Sie musste unwillkürlich lächeln. Sie grub ihre Hand unter die Wurzeln eines kleinen Teils des Feldes und hob ihn sanft aus. Das Moos schien nichts dagegen zu haben, vielmehr sah es so aus, als wollte es ihr helfen. Faye setzte sich auf den Boden und legte das Moos probehalber auf ihre blutige Wunde unter ihrem Knie und zog scharf die Luft ein, als das Moos sich um ihr Bein wickelte. Plötzlich schien es ein bläuliches Licht abzugeben und der Schmerz verschwand wieder so schnell, wie er gekommen war. Faye ließ sich ins weiche Gras fallen, am liebsten hätte sie jetzt ihre Augen geschlossen. Es war bald Mitternacht und deshalb beschloss Faye doch noch ein wenig liegen zu bleiben, um ihre Kräfte zu schonen.

Über ihr stand der volle Mond, sah auf sie herunter und fragte sich, was sie wohl als nächstes tun würde.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 14, 2019 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

KeeperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt