Off The Grid

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Social Media ist ja eigentlich schon was Geiles. Ich als früher Generation Z-Angehöriger habe mich ja inzwischen dran gewöhnt, dass meine Privatsphäre nicht gegeben ist. Tatsächlich bin ich mir sogar sicher, dass, würde man alle Accounts, die ich irgendwo gemacht habe, verbinden, man meine Biografie verfassen könnte. Fassen wir doch mal zusammen: Instagram weiss, wie ich aussehe, Snapchat, wo ich mich momentan befinde, Twitter, welche Prominente ich feiere, IMDb kennt meine Lieblingsfilme, Spotify weiss, was ich gerne höre und tumblr, welchen männlichen Prominenten ich gerne einmal in einer Seitengasse begegnen würde. Tom Hiddleston ist halt einfach auch ein Charmebolzen, aber ich schweife ab. Was ich sagen will: Ich gebe viel zu viel über mich selbst preis, und das freiwillig. Aber Social Media gehört halt heutzutage zum Leben dazu. Sogar meine Oma hat jetzt einen Facebook-Account, den sie zwar nicht wirklich benutzen kann, aber hey, das ist vielleicht sogar ganz gut so. Grade über Grosseltern findet man auf solchen Seiten Dinge heraus, die man gar nicht herausfinden wollte. Soziale Medien sind für alte Leute etwa so wie die Szene aus Oceans 12 mit den Lasern. Zack – plötzlich weiss die ganze Verwandtschaft, dass Opa immer noch nicht ganz über seine Zeit bei der SS hinweg ist. Erst neulich schrieb mein Grossvater doch auf Twitter: «Die Jugend immer mit ihren Ballerspielen! Früher hammer die Leute noch an der frischen Luft erschossen! #NormandyLifeStyle». Hab erst mal druntergeschrieben, dass er ja nie im zweiten Weltkrieg gedient hat. Seither bin ich von meinem eigenen Opa auf Twitter blockiert.

Was ich sagen will: Social Media, nein, grundsätzlich alle Technologie, ist anstrengend. Daher habe ich neulich den Entschluss gefasst, mal eine Woche «Off-The-Grid» zu verbringen. Und meine Erlebnisse während dieser Zeit habe ich in diesem Text zusammengefasst.

Montag

7:30

Meine Sachen sind gepackt, ich verlasse das Haus. Ich habe mir eine Hütte im Tägerwiler Wald gemietet und genügend Proviant, um eine Woche durchzustehen. Sämtliche Elektronik lasse ich zuhause; mein Laptop, mein Handy, nur meine Armbanduhr ziehe ich an. Es schadet ja nicht, zu wissen wie spät es ist, dann kann ich das auch grad in mein Protokoll einfliessen lassen. Ansonsten habe ich nur einen Notizblock und zwei Kugelschreiber dabei.

8:00

Ich bin an meiner Hütte angekommen. Sie ist spärlich eingerichtet: Ein einziger Raum mit einem Bett, einem Nachttisch mit zwei Schubladen, einem kleinen Tischchen mit zwei Stühlen, ich könnte also noch jemanden einladen, sollte ich einsam werden. Ausserdem habe ich einen kleinen Gasherd mit zwei Herdplatten. Die Toilette befindet sich in einem separaten Häuschen. Ich habe zwei Rollen Klopapier dabei, sollte das nicht reichen, habe ich ja noch die Blätter an den Bäumen um mich herum. Nachdem ich mich eingerichtet habe, ziehe ich los, um die Umgebung zu erkunden.

10:30

Ganz in der Nähe gibt es einen Weiher, in welchem ich baden gehen könnte. Allerdings könnte es sein, dass ich, um dort ungestört sein zu können, erst ein paar Enten verprügeln muss. Ich habe in meiner Kindheit genug Duck Hunt und Moorhuhn gespielt, dass ich die Viecher aber mit einer selbstgebauten Schleuder treffen können sollte.

11:00

Als ich wieder an der Hütte ankomme, entscheide ich mich, den Weiher mal zu testen. Ich ziehe die Badehose an, die ich mitgenommen habe, und mach mich auf die Socken.

11:15

Enten sind stärker, als sie aussehen. Die hier im Wald können sogar fluchen. Eine hat mich Hurensohn genannt.

11:30

Der Mittag kommt langsam näher, und in meiner Magengegend macht sich ein Hungergefühl bemerkbar. Vielleicht sollte ich was essen. Als ich einen Blick in meinen Rucksack werfe, merke ich, dass ich nur eine Dose Ravioli dabeihabe. Das kann nicht sein. Dann bemerke ich einen Zettel. «Das ist dafür, dass du versucht hast, mich zu verprügeln, du Motherfucker! Freundliche Grüsse, Donald Duck.» Die Enten haben mir also meinen Vorrat geklaut.

12:00

Geröstetes Entenküken schmeckt besser, als man denken würde. Auf jeden Fall besser als Weisskopfseeadler, aber ganz ehrlich, das beste Fleisch, dass ich bisher in meinem Leben gegessen habe, war Comodo-Waran.

Den Nachmittag verbringe ich damit, die Stille zu geniessen, durch den Wald zu streifen und Beeren zu sammeln. Ich drehe sogar jeden einzelnen Stein um, in der Hoffnung, einen Krog zu finden, aber irgendwie gibt's bei uns nicht so viele. Gegen 20:00 gehe ich schliesslich ins Bett, relativ früh, aber da ich ja sonst nichts zu tun habe, stört es mich nicht im Geringsten.

Dienstag

1:00

Ich höre Geschnatter vor der Tür, ausserdem Messerwetzen und laute Rapmusik. Zur Sicherheit verbarrikadiere ich die Tür mit dem Nachttisch.

8:00

Die Sonne, welche durch mein Fenster scheint, weckt mich. Das Geschnatter hat auch aufgehört. Als ich die Tür öffne, sehe ich, dass der Entenmob mir einen abgetrennten Pferdekopf auf die Schwelle gelegt hat. Na ja. Erstmal einen Tee machen. Als ich das Wasser aufsetzen will, stelle ich fest, dass der Gasherd nicht mehr funktioniert. Diese schnatternden Arschgeigen haben mir die Gasleitung gekappt. Langsam mache ich mir Sorgen.

8:30

Toilettengang. Leider bemerke ich zu spät, dass die Enten auch mein Klopapier geklaut haben. Als ich hilfesuchend aus dem Klohäuschen hinaushinke, stelle ich fest, dass um die Hütte herum nur Fichten wachsen.

12:00

Seit gestern Mittag habe ich nichts mehr gegessen. Mein Magen knurrt. Aber ich habe nichts mehr, und die Enten haben mir ausserdem mein Velo zerstört. Zu Fuss bin ich niemals schnell genug, die Bastarde sind ausserdem in einer grossen Gruppe. Ich weiss nicht, wie viele Enten es sind, und wo sie sich versteckt haben. Wer weiss, vielleicht haben sie sogar Fallen aufgestellt?

14:00

Um zu gucken, ob die Luft rein ist, werfe ich einen Stein in das Gebüsch um die Hütte herum. Keine Reaktion. Also gut. Es muss sein. Sonst schaffe ich es hier nie wieder raus. Ich nehme Anlauf und sprinte geradeaus ins Dickicht hinein. Wenn ich nur schnell genug bin, schaffe ich es, wieder auf den befestigten Wegen zu sein, bevor die Enten mich einholen können. Plötzlich höre ich ein lautes, langes Schnattern. Eine der Enten schlägt Alarm. Sie haben davon Wind bekommen. Scheisse. Als ich über meine Schulter blicke, sehe ich, wie eine regelrechte Armee an Erpeln aus dem Gebüsch hervorkommt und mir hinterherrennt. Nur noch ein kleines Stückchen, ich kann den Weg schon sehen. Da erwischt mich eine der Enten an der Ferse, packt zu und wirft mich um. Dabei schlage ich mit dem Kopf gegen eine Wurzel und verliere mein Bewusstsein.

Als ich wieder zu mir komme, bin ich allein. Keine Enten weit und breit. Allerdings sind meine Klamotten auch verschwunden. Perfekt. Das heisst jetzt also, dass ich irgendwie versuchen muss, komplett nackt und zu Fuss wieder zurück nach Hause zu kommen. Ich meine, sie hätten mit auch mit ihren stumpfen Schnäbeln zu Tode hacken können. Wäre auf jeden Fall schmerzhafter gewesen. Dann stelle ich fest, dass mein Hungergefühl inzwischen sehr stark zugenommen hat. Ich bin völlig dehydriert und mein Orientierungsgefühl habe ich auch verloren. Ich raffe mich auch und versuche, irgendwie wieder zurück zum Weg zu kommen.

Etwa 15:00

Ich stehe, blutüberströmt und nackt, vor meiner Haustür. Ich habe schon dreimal geklingelt, aber irgendwie will mir niemand aufmachen. Also klingle ich ein viertes Mal und schreie: «Mama, ich bins!» Die Tür geht auf. «Jung, wie siehst du denn aus?» schreit meine Mutter. «Lange Geschichte», sage ich und stürme direkt durch zur Dusche.

15:45

Die Woche ausserhalb der Zivilisation war also grade mal zwei Tage lang. Das buchen wir mal unter LEBENSERFAHRUNGEN ab. Eigentlich wollte ich das Ding mit Social Media noch für den Rest der Woche durchziehen, aber dann habe ich vorhin eine Nachricht bekommen. Jemand hat mir einen Link zu einem 20-Minuten Artikel und dem dazugehörigen YouTube-Video geschickt. «NACKTER JUGENDLICHER FÄLLT VELOFAHRER IM TÄGERWILER WALD AN». 30'000 Aufrufe. Vielleicht reicht das ja schon, damit Tom Hiddleston auf mich aufmerksam wird.

Gesammelte Werke meiner selbstWhere stories live. Discover now