Kapitel 1

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Neeles Sicht


Helsinki Herbst

Fröstelnd stehe ich vor dem großen Gebäude des Helsinki Flughafens. Grummelnd ziehe ich die Strickjacke fester um meinen Körper. Meine beste Freundin ist nun schon eine gute halbe Stunde zu spät.

Vor fünf Minuten bin ich nach draußen gegangen, um mich nach ihrem Auto um zu sehen, jedoch kann ich es weit und breit nicht entdecken.

Hätte ich gewusst, dass es hier schon schneit, dann hätte ich meine Winterjacke doch angezogen. Die steckt nämlich in meinem Koffer, welcher, wie solle es auch anders sein, immer noch in Berlin am Flughafen ist. Das ganze Theater deswegen ging zum Glück ziemlich schnell und ich muss mich nicht weiter aufregen.

Müde reibe ich mir über die Augen. Der Tag war anstrengend und nachdem ich fast zwei Stunden lang eingequetscht zwischen zwei alten, nicht angenehm riechenden, Männern sitzen musste, will ich einfach nur noch nach Hause.

Seufzend lasse ich mich auf einen Steinpoller sinken und verschränke die Arme vor der Brust, um mich zu wärmen.

Nachdem ich meiner besten Freundin Lennja, liebevoll Leni genannt, fünf Mal auf die Mailbox gesprochen und ihr gefühlt 100 Nachrichten geschrieben habe, stecke ich das Handy genervt weg.

Ich kenne sie. Pünktlich ist sie nie, deswegen mache ich mir keine Sorgen. Dennoch wird mir langsam richtig kalt und ich möchte nur noch in ihr warmes Auto steigen.

Als ich ihren kleinen roten Flitzer nach weiteren fünf Minuten endlich entdecke, schleicht sich nun doch ein Lächeln auf meine Lippen.

Ich habe sie vier Monate nicht gesehen, da ich beruflich in Deutschland unterwegs war. Die Wiedersehensfreunde keimt in mir auf.

Breit grinsend trete ich näher an den Straßenrand.

Leni hält direkt vor mir, springt aus dem Auto und stürmt auf mich zu, um mich lachend in ihre Arme zu ziehen.

"Ich habe dich so vermisst, Maus!", flüstert sie in mein Ohr und drückt mich, wenn es überhaupt möglich ist, noch fester an sich. Ehe ich etwas erwidern kann, löst sie sich von mir und spricht auch gleich weiter. "Komm! Wir müssen uns beeilen!", sagt sie aufgeregt und greift nach meiner Hand, um mich mit sich zu ziehen. "Du bist eiskalt!", stellt sie fest und sieht mich von oben nach unten an. "Ich musste ja auch gefühlt eine Ewigkeit auf dich warten!", meckere ich sie an. Schuldbewusst sieht sie mich an. "Tut mir leid, Süße! Ich wurde aufgehalten!" Sofort tritt wieder ein verträumtes Grinsen auf ihre Lippen. "Wo ist eigentlich dein Koffer?" Ich habe das Gefühl, dass ich nicht einmal zu Wort gekommen bin, seitdem meine beste Freundin vor mir steht. Ein müdes Lächeln huscht über meine Lippen. "Der steht in Berlin am Flughafen!", seufze ich. "Schon wieder?!" Ich lache. "Leider ja!" Mir passiert es ziemlich oft, dass mein Koffer nicht da ist wo ich bin und das obwohl ich schon von Fluggesellschaft zu Fluggesellschaft gewechselt habe. "Morgen ist er bestimmt da! Wir müssen jetzt los!", drängt sie mich! "Warum hast du es denn so eilig?" Gähnend lasse ich mich auf den Sitz neben ihr fallen. "Wir gehen gleich zum Spiel!", flötet sie und startet den Motor. Sofort schmeißt sie die Heizung an und ich bin endlich umgeben von einer angenehmen Wärme, weswegen ich mich zufrieden in den Sitz sinken lasse.

"Wir gehen zum Eishockey?!" Wie ein kleines Kind an Weihnachten reiße ich meine Augen auf und strahle sie an. "Das hat aber lange gedauert!", kichert sie. "Tut mir leid. Ich bin ein wenig müde.", murmele ich. "Und warum bist du diesmal zu spät gekommen, wenn wir es doch so eilig haben?", lache ich. "Hey! So oft komme ich auch nicht zu spät!", beschwert sie sich, muss aber auch lachen. "Ich werde dir den Grund gleich vorstellen!", sagt sie lächelnd. "Ist das der Kerl, von dem du seit Wochen am Telefon immer schwärmst?", frage ich grinsend. "Vielleicht?", zwinkert sie. "Aber keine Angst, auf dich wartet auch noch jemand!", fügt sie hinzu. "Was?!" Erschrocken richte ich mich auf und sehe sie von der Seite an. Unschuldig sieht sie mich an, als wir an einer roten Ampel halten. "Naja. Ich dachte, weil du Single bist und er auch, könnt ihr euch kennenlernen." Schon wieder erscheint das schiefe Grinsen auf ihren Lippen. "Warum willst du mich dauernd verkuppeln?! Ich bin zufrieden! Außerdem weißt du doch, dass deine ersten Versuche auch gescheitert sind!", erinnere ich sie augenverdrehend. "Ich will dich ja auch gar nicht verkuppeln! Diesmal nicht! Ich dachte nur, dass es besser ist, wenn du nicht alleine dort sitzen musst!", verteidigt sie sich. "Mich stört das nicht! Besser als von einem fremden Typen angebaggert zu werden!", beschwere ich mich. "Entspann dich doch mal! Du weißt doch gar nicht wie er ist! Auf jeden Fall sieht er gut aus!" Jetzt grinst sie wieder. Seufzend lasse ich mich zurück in den Sitz fallen und schließe die Augen. Jetzt weiter zu diskutieren würde sowieso nichts bringen.

Den Rest der Fahrt verbringe ich damit, die untergehende Sonne zu beobachten, welche hin und wieder zwischen den Häusern hervorblitzt. Ich liebe diese Stadt und ich bewundere immer wieder, wie sehr mir meine neue Heimat doch ans Herz gewachsen ist. Sobald ich finnischen Boden betrete, fühlt es sich an, wie nach Hause zu kommen.

Als wir vor dem Stadion halten und ich unter Protest das warme Auto verlassen habe, drehe ich mich mit großen Augen zu Leni um. "Was schaust du denn so?", fragt sie, während sie meinen Rucksack hinten in den Kofferraum wirft. Schnell klopfe ich meine Hosentasche ab und stelle mit Erleichterung fest, dass sich mein Handy immer noch in der linken Hosentasche befindet. Kopfschüttelnd beobachte ich, wie sie halb in den Kofferraum krabbelt. "Hast du meine IFK-Sachen dabei?", frage ich sie. "Was? Ja! Warte! Man wie weit kann so eine Tüte denn fliegen!", beschwert sie sich. Belustigt schiele ich zu ihr rüber und verschränke die Arme vor meiner Brust, da ein kühler Wind weht.

"Ah da!", ruft sie erfreut und hält mir eine weiße Tüte vor die Nase. "Hier ist alles drin!" Zufrieden nehme ich ihr die Sachen ab und ziehe mir Trikot und Mütze über. Lennja schließt das Auto ab und sieht mich abwartend an. "Los! Hopp Hopp! Wir haben nicht ewig Zeit!", hetzt sie mich. Genervt sehe ich sie an und hänge ihr den Schal über. "So! Jetzt kannst du da auch rein gehen!" Lächelnd betrachte ich sie. Seufzend lässt sie die Schultern hängen. "Na gut. Weil du es bist und wir uns ewig nicht gesehen haben. Können wir jetzt?!" Mit dem Daumen zeigt sie hinter sich zum Eingang. Ich schnaufe und gehe an ihr vorbei. Zufrieden folgt sie mir.

Zusammen schlängeln wir uns durch die Menschenmassen zum Eingang. Manchmal habe ich das Gefühl, dass uns die Menschen komisch an sehen, was natürlich nicht stimmt. Dennoch hätten sie allen Grund dazu, denn Lennja ist das komplette Gegenteil von mir. Ihre blonden Haare fallen glatt über ihre Schultern und mit ihrer schlanken Figur von 1,85 Metern Größe überragt sie mich gut einen Kopf. Sie hat wunderschöne blaue Augen und ist immer top gestylt. Ich hingegen habe dunkelbraune, fast schwarze lockige Haare, welche mir bis zur Brust reichen. Außerdem habe ich grüne Augen und als top gestylt würde ich mich auch nicht bezeichnen. Und im Gegensatz zu Lennja gehe ich eigentlich immer ungeschminkt aus dem Haus. Vor allem bin ich wegen meiner Größe nicht wirklich schlank. Leni sagt immer ich habe die Rundungen an den richtigen Stellen, jedoch bin ich mir da oft nicht sicher. Sie meint sie hätte auch gerne solche Kurven wie ich, aber ich glaube, das sagt sie nur, weil sie meine beste Freundin ist. Außerdem ist sie fünf Jahre älter als ich und somit 30 Jahre alt, was man ihr aber nicht ansieht. Und auch ihr Verhalten ist nicht immer sehr erwachsen, aber genau das macht sie aus.

"RIIKKUU!!", ruft sie plötzlich, stürmt auf einen großen braunhaarigen Mann zu und fällt ihm in die Arme. Sie küssen sich, als hätten sie sich Ewigkeiten nicht gesehen, dabei ist es vielleicht erst eine Stunde her. Schmunzelnd laufe ich auf die Beiden zu, bleibe jedoch etwas abseits stehen. Nachdem Leni sich von ihm gelöst hat, stellt sie uns einander vor. "Riku - Neele, Neele - Riku!"

Ich ergreife seine Hand und begrüße ihn mit einem einfachen "Hey.", das er ebenso lächelnd erwidert. "Du bist also der, der meiner Leni den Kopf verdreht hat.", scherze ich, während wir das Stadion betreten.

"Scheint so!", lacht Riku, legt seinen Arm um ihre schmale Taille und drückt ihr einen Kuss auf die rote Wange. Ich weiß jetzt schon, dass wir uns gut verstehen werden.

Als wir den VIP-Bereich betreten, staune ich nicht schlecht. Schon oft wollte ich ein Spiel von hier aus sehen und jetzt habe ich die Chance dazu. "Wie kommen wir denn zu dieser Ehre?", wende ich mich an Riku, da ich weiß, dass Leni nicht dahinter stecken kann. "Mein Kumpel, der auch gleich kommen müsste, hat uns die Plätze organisiert. Er kennt die Mannschaft.", fügt er zwinkernd hinzu. "Ah, okay!" Augenblicklich ist meine Stimmung wieder etwas gedrückt. Ich habe keine Lust meinen ersten Abend zu Hause mit einem fremden Typen zu verbringen, der sich wahrscheinlich für etwas Besseres hält. "Ich geh mal Bier holen!", rufe ich über die Fans hinweg, welche schon kräftig ihr Team anfeuern. Die beiden nicken und beschäftigen sich dann wieder mit sich selbst.

Vonmeiner Freundin werde ich heute wohl nicht viel haben    

What's the Story - My pretty BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt