2. Türen und Treppen

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Alles um mich herum war dunkel. Für ein paar Sekunden blinzelte ich, als müssten meine Augen sich an die plötzliche Dunkelheit gewöhnen. Das leise Brummen der Stadt, das zu jeder Tageszeit zu hören war, war verschwunden. Tatsächlich wurde jedes noch so kleine Geräusch von der Dunkelheit um mich herum verschluckt, die so ganz anders als der Nachthimmel über London war. Ich drehte mich um mich selbst, doch ich konnte nichts sehen. Natürlich nicht, ich war ja auch tot. Ich hätte erwartet, dass es mit jedem meiner Tode normaler werden würde. Dass ich die Augen aufschlagen würde und sofort wüsste, wo ich war. Doch wie all die Male davor dauerte es einen Moment, bis ich wusste was passiert war.

Der Pub. Die dunkle Straße. Plötzlich helles Licht. Reece.
Reece! Verdammt, wie konnte ich ihn nur vergessen? Je länger ich wartete, desto schwerer würde es werden, aus dieser verzwickten Situation wieder raus zu kommen.

Ich schloss meine Augen, und versuchte mich zu konzentrieren. Ich musste hier wieder weg, und zwar so schnell wie möglich.

Als ich meine Augen wieder öffnete, war sie dort, wie jedes Mal zuvor auch. Die hölzerne Tür, mitten im Nirgendwo stehend. Sie sah aus, als wäre sie schon tausende von Jahren alt.

Etwas in mir erwachte. Ein Verlangen, sie zu öffnen. Den eisernen Knauf zu drehen und herauszufinden, was sich dahinter befand. Es würde bestimmt nicht schaden, einmal kurz zu gucken. Nur für eine Sekunde.

Genau wie damals.

Plötzlich bemerkte ich, dass ich direkt vor der Tür stand, die Hand ausgestreckt in der Luft verharrend. Ruckartig stolperte ich ein paar Schritte zurück. Mein Kopf war benebelt, doch diesmal war es nicht der Alkohol. Es war etwas viel Stärkeres, eine Stimme in meinem Kopf, dir mir leise zuflüsterte: „Na komm, mach sie auf!"

Ich schüttelte den Kopf, als ob ich sie damit loswerden könnte. Sie wurde immer lauter, und das Verlangen immer stärker. „Mach schon. Ein kurzer Blick kann nicht schaden. Warum noch kämpfen? Da draußen wartet nur Schmerz auf dich. Komm schon, mach sie auf..."

Doch zur selben Zeit wurde ein anderer Gedanke langsam aber stetig lauter.

Noch nicht.

Ich wich ein paar Schritte von der Tür zurück, tiefer in die Dunkelheit hinein. In meinem Inneren versuchte die unheimliche Stimme, den Gedanken zu unterdrücken; ihn zu bekämpfen. Doch er wurde immer lauter und endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, gelang es mir mich umzudrehen und ich begann zu rennen, als würde mich etwas jagen. Weiter, immer weiter in die Dunkelheit und so weit wie möglich von der Tür weg.

Meine Umgebung schien zu explodieren, und Sinneseindrücke erschlugen mich aus allen Richtungen. Da war der Schmerz, allgegenwärtig und fast unerträglich. Es war unmöglich zu sagen woher er kam. Mit einem Mal war auch die Luft wieder gefüllt von dem Lärm der Stadt und dem Geruch nach Autoabgasen und so kalt, dass sie sich in meine Haut zu schneiden schien. Ganz am Rande meiner Wahrnehmung hörte ich eine stotternde Männerstimme, doch verstehen konnte ich kein einziges Wort. Mit aller Willenskraft unterdrückte ich ein Stöhnen. Ich war wie erstarrt, konnte mich nicht bewegen, während Wellen von Schmerz und Angst über mich hinweg rollten. Wenn doch nur die Stimme endlich aufhören würde zu reden, das machte mich wahnsinnig. Vor meinem inneren Auge sah ich immer noch die Tür, glasklar und gestochen scharf, eingebrannt in meine Erinnerung. Das beklemmende Gefühl, nicht Herr über meinen Körper zu sein, lag immernoch über mir, und ich schauderte bei dem Gedanken, wie nahe ich der Tür gekommen war. Dieses Mal war es so viel schwerer gewesen als sonst, mich loszureißen, wegzurennen. Ich zwang mich, nicht daran zu denken. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, mir Sorgen um soetwas zu machen.

Ich ließ meinen Blick wandern und sah schließlich den Ursprung der Stimme, kaum zwei Meter von mir entfernt. Reece stand mit dem Rücken zu mir, sein Handy gegens Ohr gepresst und redete schnell. Sein ganzer Körper zitterte, doch er drehte sich nicht herum, fast als würde er sich nicht trauen.
Das war meine Gelegenheit. Jetzt oder nie. So gut es ging den Schmerz ignorierend richtete ich mich auf. Für einen Moment wurde alles schwarz und ich taumelte, konnte jedoch kurz später wieder mein Gleichgewicht finden. Bedacht darauf, keine Geräusche zu machen, drehte ich mich um und begann weiter die Straße entlang zu laufen. Vielleicht würde ich es ja rechtzeitig in die nächste Gasse schaffen und mich irgendwo verstecken können.

19 TodeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt