4. Stille

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Stille war etwas Seltsames. Eigentlich war sie nur ein anderer Ausdruck für Leere. Und doch war Stille nicht gleich Stille. So gab es die Stille Londons, wo, auch wenn jeder der 9 Millionen Menschen versteinern würde, es doch nie ganz ruhig war. Fast als hätte die Stadt ein Herz, dessen schnelle Schläge die Luft in Schwingung setzte. Vielleicht war das auch der Grund, warum ich so gerne hier lebte. Der Lärm der Stadt, selbst weit entfernt, hatte etwas Beruhigendes an sich.

Die Stille im Auto jedoch erinnerte mich an die der Dunkelheit der Pfade, die alles verschluckte und selbst das vor Angst pochende Herz lautlos schlagen ließ. Sie war die Definition von Nichts; ein Vakuum, das alles verschluckte und mir das dringende Gefühl gab, es mit Worten zu füllen, auch wenn es nichts gab, das ich hätte sagen können.

Reece neben mir saß wortlos am Steuer und schaute stur auf die Straße vor ihm, als wäre der Verkehr an einem Sonntag um 5:00 Uhr besonders schlimm. Als ich ihn gefragt hatte, ob er mich nach Hause bringen könne, hatte ich fest mit weiteren Fragen von ihm gerechnet. Vielleicht lag es an der schlaflosen Nacht, oder daran, dass ich so fertig aussah, doch er hatte zugestimmt. Außer den Richtungsanweisungen wechselten wir kein einziges Wort.

Nach kurzer Zeit bogen wir in die Straße ab, in der fast jedes Haus dem anderen glich.

„Hier wohnst du?", brach Reece das Schweigen, als wir vor einem unauffälligen Haus stehen blieben.

„Was hast du denn erwartet?", fragte ich verwirrt. Er zuckte nur mit den Schultern.

Für einen Moment schauten wir beide auf das Haus, als würden die dunklen Fassaden irgendetwas besonders Spannendes zeigen.
„Also...", begann ich, ohne recht zu wissen, worauf ich hinauswollte.

„...wie geht es jetzt weiter?", fragte Reece.

„Ich weiß es nicht.", gab ich zu. „Aber ich schätze mal der erste Schritt wäre, dass ich aus diesem Auto aussteige."

„Und dann geht jeder seiner Wege? Das kann ich nicht machen.", sagte Reece kopfschüttelnd. Natürlich konnte er das nicht. Wie auch? Eine Erfahrung wie diese war nicht gerade etwas, das man so einfach vergessen konnte.

„Die anderen werden ausrasten, wenn sie hiervon irgendetwas erfahren.", sagte ich seufzend.

„Ich möchte bleiben.", meinte Reece, als hätte er meine Antwort nicht gehört.

„Du möchtest – was?"

„Ich möchte bleiben.", wiederholte er, diesmal mit mehr Selbstbewusstsein.

„Warum?"

„Hast du eine Ahnung, wie besonders du bist?", begann Reece. „Wir haben so lange an der Uni beigebracht bekommen, wie man Menschenleben rettet und wann es zu spät dafür ist, und dann tauchst du auf und wirfst das alles über den Haufen. Du kannst nicht ernsthaft von mir erwarten so zu tun, als wäre alles beim Alten, während in Wahrheit genau das Gegenteil der Fall ist."

Ich sah ihn zweifelnd an. So wie er sprach klang es, als hätte er endlich das Forschungsobjekt gefunden, nach dem er so lange gesucht hatte.

„Ich will mich nicht aufdrängeln - auch wenn ich natürlich sagen könnte, dass ich jedem von heute Nacht erzähle, falls du mich jetzt hier einfach sitzen lässt.", begann er. Konnte das sein Ernst sein?

„Es würde dich sowieso keiner ernst nehmen.", sagte ich abweisend.

„Da unterschätzt du die Mediziner.", erwiderte Reece. „Setz ihnen ein unmögliches Problem vor und sie blühen voll auf."

„Also willst du mich erpressen?"

„Nein.", sagte er hastig, als würde sein kurzweiliges Selbstbewusstsein bereuen. „Worauf ich hinaus will ist, dass ich liebend gerne geduldet bei euch bleiben möchte. Ich könnte mich bestimmt nützlich machen."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 27, 2019 ⏰

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