Prolog

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Dunkelheit leckte an den Zipfeln des langen Mantels, der sich um die aufrechten Schultern der Frau hüllte. Sie kniete auf kaltem Steinboden, dessen Oberfläche glatt gerieben war durch die vielen Füße die ihn viele Jahre betreten hatten. Warmes, rot pulsierendes Licht fiel auf ihre Gestalt und ließ kriechende Schatten in den Falten ihres bestickten Gewandes entstehen.
Sie saß völlig still.
Nur ein seichtes Heben und Senken ihrer Brust hätte einem Außenstehenden signalisieren können, dass sie lebendig und echt war.
Ihre Hände waren geöffnet und lagen auf ihren Knien. Die Innenflächen waren zur Decke der Höhle gewandt, so als würde es anfangen zu nieseln und sie wolle die winzigen Tropfen auffangen.
Nur wenn man sich nahe genug an ihr stilles Gesicht wagen würde, könnte man erkennen, wie ihre Augen hinter ihren geschlossenen Lidern hin und herhuschten, so als würde sie sich im Traum umsehen.
Tatsächlich schossen Bilder durch ihren Kopf. Doch sie träumte nicht.
Die Bilder die sie sah waren mehr als Hirngespinste.
Oft waren es bedeutungslose Dinge - Wann der erste Schnee kam, wer in den nächsten Tagen ein Gespräch mit ihr suchen würde oder was im nächsten Brief stehen würde.
Es erschien ihr meist nicht wörtlich, es zeigte sich in Bildern, Farben oder Gefühlen.
Heute allerdings war es anders.
Die Bilder sprachen deutlicher. Härter. Ernster.
Bilder von furchtbaren animalischen Gestalten, Blut und Gewalt. Funkelnde Waffen und viele rasiermesserscharfe Zähne. Flügelschlagen von Raben, die sich um die Überreste kümmerten und wuselnde Gestalten. Fetzen von Pergament die sich langsam in Blut verwandelten.
Mit einem lauten Keuchen brach die hochgewachsene Frau aus ihrer Trance. Ihre Brust hob sich schnell und unregelmäßig, ihre Augen zusammengekniffen, so als könnte sie dadurch die Bilder vergessen. Übelkeit kratzte an ihrem Magen, ihre Finger krallten sich leicht in ihre Oberschenkel. Dann tastete sie schnell nach dem ledernen Einband ihres dünnen Notizbuches. Hektisch schlug sie es auf, während ihr beinahe noch der Stift aus den bebenden Fingern rutschte. Das Kratzen der Feder auf dem rauen Papier wurde von den hohen Wänden zurückgeworfen und nur von ihrem schnellen Atem begleitet. Die Worte der Prophezeiung schwebten immer noch unheilvoll über ihrem Kopf wie eine schwere Gewitterwolke.
Wenn das Wiesel unheilvolle Nachricht bringt, das Blut des Ursprungs bald den Krieg beginnt.
Ihre Augen flogen über die gekritzelten Worte, während ihr Atem langsam ruhiger wurde und ihr Herz zu seinem normalen Rhythmus zurückkehrte.
Als sich rasche Schritte näherten schlug sie das Buch zu und schob es in die Falten ihres Gewandes, um zu ihrer ruhigen Position zurückzukehren.
»Tharin«
Die Stimme war atemlos, ermüdet von einem langen Weg. Ihr Kopf wand sich leicht in Richtung des Eingangs zur Höhle, ihre ruhige Ausstrahlung wieder perfekt aufgesetzt wie eine Maske.
»Wir haben sie gefunden.«
Ihre Augenbrauen hoben sich leicht.
»In welchem Zustand?«,entgegnete sie und legte ihren Blick besorgt auf den Boten, während sie sich vom glatten Stein erhob.
»Sie arbeiten daran...«,kam nur eine ungenaue Antwort von dem jungen Mann, der daraufhin schnell zur Seite wich, als die Frau an ihm vorbei aus der Höhle eilte, das lederne Notizbuch mit der unheilvollen Nachricht tief zwischen ihren Röcken verborgen.


Die Bluthexen II - Denn Blut ist schönWo Geschichten leben. Entdecke jetzt